Radfahrerin und eine Auto bei Einbruch der Dunkelheit
APA/Hans Klaus Techt
Bastion der Emotion

Verkehr als Katalysator im Wien-Wahlkampf

Stau auf der Südosttangente, Stau auf dem Radweg: Im heurigen Wiener Wahljahr ist Mobilität ein Thema, dem niemand in der Stadt entkommt. Nicht zuletzt die Pandemie hat den Fokus auf den öffentlichen Raum gelenkt – Verteilungskampf inklusive. Den Parteien dient das Thema teils dazu, Stammklientel zu mobilisieren, teils führt es aber auch zum internen Dilemma, sagen Politexperten.

Was für Wienerinnen und Wiener omnipräsent ist, kocht im diesjährigen Gemeinderats- und Landtagswahlkampf auch politisch hoch: Fluch und Segen des städtischen Verkehrs. Im Gegensatz zur vorangegangenen Wien-Wahl bekam das Thema heuer wieder mehr Bedeutung. 2015, im Jahr der großen Flüchtlingsbewegung, waren Asyl und Integration die vorherrschenden Wahlmotive.

Heuer ist das anders: „Es ist in diesem Wahlkampf eine logische Entdeckung aller Parteien“, sagte Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at. Die Materie an sich begünstige weder eine linke noch eine rechte Partei, punkten könnten theoretisch alle damit. „Es ist eher überraschend, dass der Verkehr in Österreich bisher eher nebenbei mitlief“, so Filzmaier.

Als umfassendes Thema, abseits einzelner Projekte, sei es bisher von den politischen Akteuren unterschätzt worden, betroffen sei schließlich jeder und jede. Die autofahrende Bevölkerung ärgert sich über schwindenden Parkraum, Staus und hohe Kosten. Radfahrer und Radfahrerinnen wünschen sich mehr Platz und sicherere Straßen, der Ruf nach stärkerem Schutz für Fußgänger und speziell Kinder im Straßenverkehr ertönt – und schließlich sehnen sich alle nach einem Mehr an Grünflächen.

Antrieb auf dem Weg zur Wahlurne

„Dem Thema entkommt man nicht“, so Filzmaier, „in keiner Lebenssituation.“ Deshalb sei auch die Emotionalisierung so groß. In diesem Jahr befeuerte die Pandemie das Thema zusätzlich – die Menschen zog es vermehrt ins Freie, die Verteilung von öffentlichem Raum rückte in den Fokus.

Auch Berhard Hoser von SORA befindet, dass das Thema bedeutsamer wurde. Heute könnten sich im Vergleich zur letzten Wien-Wahl junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren auch eher vorstellen, ohne eigenes Auto auszukommen. „Einen Rückbau der Autoinfrastruktur können sich jedoch nicht am ehesten die ganz jungen Menschen vorstellen, sondern die Gruppe zwischen 30 und 45 Jahren. In dieser Gruppe ist das Bewusstsein am stärksten, dass Autos sehr viel Platz im öffentlichen Raum einnehmen und dieser anders genutzt werden kann“, so Hoser.

Für Filzmaier eignet sich der Verkehr auch als Motiv, für eine bestimmte Partei zu stimmen. Profitieren würden dabei aber Parteien wie FPÖ und Grüne – „denn die müssen keine mehrheitsfähigen Positionen haben“. Während die anderen Parteien in ihren Wahlprogrammen darauf bedacht scheinen, niemanden zu verärgern, haben sich Blau und Grün gleichermaßen das Verkehrsthema auf die Fahnen geschrieben, wenn auch von diametral entgegengesetzten Positionen aus.

Potenzial für zwei Parteien

Die Grünen, die verstärkt bei Jüngeren und Frauen punkten, wollen die Verkehrswende in Wien und somit weniger Autoverkehr. Die FPÖ hingegen will für ihre Stammwählerschaft das Auto kostengünstig erhalten und kann sich gleichzeitig medienwirksam an den Regierungsparteien reiben. Die autoaffinsten Personen sind laut SORA zwischen 45 und 59 Jahre alt und eher bei den Männern zu finden – im Jahr 2015 hatte die FPÖ in dieser Gruppe großen Erfolg.

Die politische Auseinandersetzung im Wahlkampf war mitunter aktionistisch geprägt: Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) brachte ihre Partei mit neuen Begegnungszonen, dem Vorschlag nach Tempo 30 innerhalb des Gürtels oder einer „autofreien“ City in die Schlagzeilen. „Pop-up-Radwege“ und „Gürtelpool“ wurden zum Kampfbegriff für politische Widersacher.

Gürtelpool Aufnahme von oben
ORF
Der „Gürtelpool“ sorgte im Sommer zuhauf für Schlagzeilen

Profitieren von der Aufregung

Die Grünen selbst, so Filzmaier, hätten dabei wenig zu verlieren – Gegenwind tue sich primär beim politischen Gegner auf. Und selbst von dieser Aufmerksamkeit profitierten die Grünen. Doch auch der eigene Koalitionspartner schien nicht mit allen Vorschlägen glücklich zu sein: Zuletzt erteilte Wiens Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig der „autofreien City“ eine Absage und nannte den Vorstoß eine „Überschrift, die für eine Pressekonferenz gewählt worden ist“. Laut Rechtsgutachten gebe es Bedenken gegen das Projekt.

Die SPÖ tue sich bei dem Themenkomplex Verkehr schwer und müsse die „Quadratur des Kreises“ versuchen, so Filzmaier. Innerhalb des Gürtels konkurriere man mit den Grünen um Stimmen, außerhalb des Gürtels mit der FPÖ. Das sei ein schwer zu schaffender Spagat. Daher spiele die SPÖ beim Wahlkampfthema Verkehr auf Zeit.

Rote „Zwickmühle“

Auch Hoser sieht die SPÖ in einer „Zwickmühle“: Man wolle Autoaffine nicht verprellen. „Auf der anderen Seite muss sie gerade in Wien junge, klimaschutzbewusste Menschen ansprechen. Für diesen Wahlkampf hat sie sich entschieden, das Thema Verkehr eher zu umschiffen“, so Hoser. Das sei „angesichts des Dilemmas verständlich“, aber nicht zukunftsweisend. Denn prinzipiell liege hier eine große Chance für die SPÖ.

„Denn gerade Menschen mit geringerem Einkommen sind auf die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum angewiesen. Das hat die Corona-Krise nochmals vor Augen geführt.“ Haushalte im unteren Einkommensdrittel seien den negativen Folgen des Autoverkehrs eher ausgeliefert, und jene, die sich das Leben gerade so leisten können, hätten Angst, dass Mobilität für sie noch teurer und schließlich nicht mehr finanzierbar wird.

Schwierige Positionierung

Eine Erzählung, die soziale Ungleichheit, ein Kernthema der SPÖ, adressiert und mit der Aufwertung des öffentlichen Raumes verbindet, hätte sehr viel Potenzial, sagte Hoser. Dazu müsste sich die SPÖ allerdings entscheiden, den Diskurs an sich zu ziehen und mitzubestimmen. Das dauert natürlich länger und ist für diese Wahl zu spät".

Auch die übrigen Wiener Parteien haben es mit dem Thema Mobilität und Verkehr schwer. NEOS habe gute Gründe, seine Ansichten zum Thema nicht allzu offensiv zu kommunizieren, sagt Filzmaier. „Man hat hier sehr klare grüne Positionen, da ist man in dem Bereich aber bestenfalls Zweiter.“ Die ÖVP leide hingegen – ähnlich wie die SPÖ – an einer inneren Gespaltenheit. So sei die Bezirkschefin der Josefstadt eher unglücklich mit den Vorstößen des Kollegen aus der Inneren Stadt, die ÖVP in Döbling wiederum habe gänzlich andere Anliegen. Filzmaier: „Da versucht man eher unter der Decke zu halten, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht.“

An „Öffis“ führt kein Weg vorbei

Weniger umstritten ist die Rolle des öffentlichen Verkehrs – keine Partei, die nicht dessen Ausbau und eine bessere Anbindung an die Außenbezirke oder Wiener Vororte fordern würde. Selbst SPÖ und Grüne, die in ihren Wahlprogrammen die bisherigen Errungenschaften der Stadt auf diesem Gebiet anpreisen, sehen Nachbesserungsbedarf – die „Öffis“ sollen mehr genutzt werden.

Fast komplett leere U-Bahn in Wien
ORF.at/Christian Öser
„Weltweit zählt Wien zu den Städten mit dem dichtesten Öffi-Netz“, heißt es im SPÖ-Wahlprogramm

Die Forderungen divergieren aber, auch was die Jahreskarte betrifft: Die ÖVP will zusätzliche Leistungen daran knüpfen, die FPÖ fordert kostenlose „Öffis“ für Wiener Pensionisten, für die Grünen soll die Karte für ein Jahr für alle gratis sein. NEOS wiederum fordert als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr sowie als „Touristenattraktion“ eine neue Stadtseilbahn zwischen Hütteldorf und Ottakring.

Weitere Konflikte programmiert

Streitereien über den Verkehr werden jedenfalls auch nach der Wahl am 11. Oktober nicht versiegen, wird doch bereits über neue Projekte zur Parkraumbewirtschaftung nachgedacht – zudem wurde im Sommer die vierspurige „Stadtstraße“ in der Donaustadt bewilligt. Sie soll bis 2023 gebaut werden, hat aber nur dann wirklich Sinn, wenn auch der Lobautunnel kommt. Und der ist nicht gerade frei von Konfliktpotenzial.

Eine Grafik zeigt das Ergebnis der Wiener Gemeinderatswahl 2015
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Wahlbehörde

„Die Autobahn mit dem Tunnel durch das Naturschutzgebiet Lobau ist ein veraltetes, klimaschädliches und wirtschaftsschädigendes Projekt. Es bringt nicht nur den Nationalpark in Gefahr, sondern auch das Wiener Trinkwasser. Zudem schaufelt die Autobahn stinkenden Verkehr in die Stadt und zieht den Handel aus Wien ab“, heißt es zu dem Projekt im Wahlprogramm der Grünen. Ihr Problem dabei: Der Koalitionspartner treibt den Tunnelbau voran, zuletzt sagte Ludwig, er sei überzeugt, dass die Umfahrung kommen werde und „dass das nicht mehr verhinderbar ist“. Unterstützung ist ihm dabei etwa von der FPÖ sicher – und auch von der Wiener ÖVP, die ebenso wie die Grünen als potenzieller Koalitionspartner gilt.