Van der Bellen: „Augenmaß“ bei Einschnitten im Grundrecht

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat heute beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Bundes-Verfassungsgesetzes zu „Augenmaß und Umsicht“ bei den wegen der Pandemie nötigen Einschränkungen von Grundrechten gemahnt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) versicherte, dass Politiker nach bestem Wissen und Gewissen im Auftrag und Interesse des Volkes handeln.

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Parteien warnen vor zu weit gehenden Grundrechtseingriffen

Auch die Parteien sowie Organisationen würdigten das Bundes-Verfassungsgesetz – und deponierten in Aussendungen gleichzeitig Forderungen zur Weiterentwicklung.

Die Opposition verband ihre Würdigung der Verfassung mit Kritik an den von der Regierung ergriffenen Maßnahmen gegen die CoV-Verbreitung: Die CoV-Krise dürfe „kein Deckmantel für antidemokratische Einschnitte und einen autoritären Umgang mit den BürgerInnen sein“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in Richtung Regierung – und unterstrich die wichtige Rolle nicht nur des Verfassungsgerichtshofes, sondern auch der Opposition, ausgestattet „mit einer möglichst umfassenden Kontrollfunktion“.

FPÖ kritisiert „Großangriff auf Verfassung“

Die FPÖ sah in einer anlässlich des Jubiläums abgehaltenen Pressekonferenz die Demokratie in Gefahr und warf der Regierung einen „Großangriff auf die Verfassung“ vor. Klubobmann Herbert Kickl und Verfassungssprecherin Susanne Fürst nannten den heutigen Festakt einen „Akt der Heuchelei“ und einen „Akt des Zynismus“.

Mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Nationalratpräsident Wolfgang Sobotka und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) würden dort die „Saboteure der Bundesverfassung“ deren Geburtstag feiern. Das Grab der Verfassung werde Stück für Stück tiefer gegraben, sagte Kickl.

Grüne und NEOS drängen auf Abschaffung des Amtsgeheimnisses

Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger haben die CoV-Maßnahmen die Notwendigkeit eines in der Verfassung verankerten Grundrechtskatalog gezeigt. Das würde „zu mehr Wissen und damit mehr Sensibilität in der Bevölkerung bei Grundrechtseingriffen sorgen“. Auch eine einheitliche Verfassungsurkunde hält sie für geboten. Außerdem drängte Meinl-Reisinger auf den „Paradigmenwechsel“ vom Amtsgeheimnis zur Informationsfreiheit.

Das Amtsgeheimnis durch ein modernes Informationsfreiheitsgesetz zu ersetzen, sieht Grünen-Verfassungssprecherin Agnes Sirkka Prammer als „vordringlichste Aufgabe“. Als weitere gebotene Änderungen erachtet auch sie einen Grundrechtskatalog und ein „einheitliches Verfassungswerk“.

Amnesty fordert Erweiterung der Grundrechte

Amnesty International forderte die Erweiterung der Grundrechte um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die aktuellen menschenrechtlichen Herausforderungen wie Corona oder Klimakrise würden zeigen, wie notwendig die Absicherung der sozialen Rechte für den Zusammenhalt der Gesellschaft sei.

Die Umsetzung einer Vorgabe der Verfassung verlangten Behindertenvertreter: Die gebotene Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung sei „noch lange nicht eingelöst“, betonte die Lebenshilfe – und forderte konkret, auch Menschen mit intellektueller Behinderung für ihre Tätigkeit in Werkstätten ein Gehalt, Kranken- und Pensionsversicherung zu gewähren und nicht nur ein Taschengeld.