Europagebäude  in Brüssel bei Nacht
ORF.at/Florian Bock
Noch kein Ergebnis

Türkei-Frage sprengt ersten EU-Gipfel-Tag

Mit der größten außenpolitischen Frage ist der erste Tag des EU-Sondergipfels am Donnerstag in Brüssel eröffnet worden – Lösung gibt es bisher keine: Die Türkei hat die Mitgliedsstaaten gespalten, eine Einigung war bis zum späten Abend nicht möglich. Nun wird die Außenpolitik wohl auch am Freitag das Geschehen bestimmen, denn die Türkei-Frage ist auch für einen anderen außenpolitischen Brocken entscheidend.

EU-Ratschef Charles Michel hat gleich zu Beginn des Tages die Agenda auf den Kopf gestellt: Die Türkei-Frage rund um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer hätte eigentlich erst am Abend behandelt werden sollen, Michel verlegte sie aber an den Anfang. Die Situation im Mittelmeer war damit von Anfang an das bestimmende Thema des Sondergipfels.

Die Vorzeichen für die heikle Frage standen dabei gar nicht so schlecht: Unmittelbar vor dem Gipfel wurde bekannt, dass sich Griechenland und die Türkei unter Schirmherrschaft der NATO einander angenähert hatten. Auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich optimistisch – sie sei sicher, dass sich der Gipfel hinter Griechenland und Zypern stellen werde.

EU-Ratspräsident Charles Michel  mit Mund-Nasen-Schutz
Reuters/Olivier Hoslet
Mit Maske begrüßte Ratschef Michel die Staats- und Regierungsspitzen

Hintergrund ist, dass die Türkei im östlichen Mittelmeer Erdgasfelder erforschen lässt, was Griechenland und Zypern für illegal halten. Die EU hatte der Türkei deshalb Ende August ein Ultimatum gesetzt und mit zusätzlichen Sanktionen gedroht.

Deutschland gegen, Österreich für Sanktionen

Doch die Positionen der Mitgliedsstaaten klafften weit auseinander, wie schon im Vorfeld des Gipfels offensichtlich wurde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel etwa machte sich für ein „konstruktives“ Verhältnis mit der Türkei stark – also tendenziell ohne Sanktionen. Im Kontrast dazu stand etwa Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Kurz sagte im Vorfeld, dass er es für „notwendig“ halte, dass die EU „nicht wegsieht“, sondern „klar reagiert“. Die EU müsse dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan „rote Linien“ aufzeigen. Das bedeute den „Abbruch der Beitrittsverhandlungen“ sowie das „Agieren mit Sanktionen gegenüber der Türkei“.

Auch Erdogan selbst schaltete sich vor dem Gipfel in das Geschehen ein und holte gegen die EU aus. „Die Europäische Union ist als Geisel der Frechheiten Griechenlands und der griechischen Zyprer zu einem einflusslosen und oberflächlichen Gebilde ohne Weitblick verkommen.“ Es gebe kein einziges Problem in der Region, das auf Initiative der EU gelöst worden sei. Vielmehr hätten Interventionen der Union Krisen nur vergrößert.

Zypern und Griechenland lehnten Entwurf ab

Nach einigen Stunden verlautete unter anderem „Politico“, dass ein erster Entwurf zu den Schlussfolgerungen des Gipfels von Griechenland und der Türkei abgelehnt worden sei. Offenbar gingen die darin geforderten Maßnahmen nicht weit genug – denn am späten Abend wurde über einen weiteren Entwurf berichtet, der deutlich schärfer formuliert wurde.

Türkei-Frage als Vorbedingung für Weißrussland-Einigung

Die Türkei-Frage ist nicht nur aufgrund der derzeitigen Situation im Mittelmeer zentral – auch eine Einigung zu Weißrussland hängt von dem Thema ab. Denn Zypern blockierte eine Einigung bisher – außenpolitische Entscheidungen müssen aber einstimmig beschlossen werden.

Eigentlich stand auch die Situation in Weißrussland auf der Agenda – ohne Einigung bei der Türkei wäre eine Beschlussfindung aber ohnehin sinnlos gewesen. Stattdessen wurde die Sitzung für zwei Stunden unterbrochen, und Ratschef Michel suchte in kleinen Runden einen Kompromiss. Um Mitternacht ging der Gipfel erneut in eine Pause, wie der Sprecher von Michel per Twitter mitteilte.

Freitag bringt wohl dichten Zeitplan

Ohne wesentlichen Fortschritt wird wohl auch der Freitag primär den außenpolitischen Fragen gewidmet werden. Über die Situation rund um den russischen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wurde während des Abendessens diskutiert, hieß es. Debattiert werden soll auch noch das Verhalten gegenüber China. Darüber hinaus stehen wirtschaftliche Themen auf dem Plan – der Freitag könnte sich ebenfalls in die Länge ziehen. Schon am 15. Oktober sollen die Staats- und Regierungschefs dann zum nächsten – regulären – Gipfel zusammentreffen.