„Selbstporträt als Märtyrerin“ , 1613-14
Privatsammlung
Artemisia Gentileschi

Siegeszug der Altmeisterinnen

Als junge Frau ist sie vergewaltigt worden, später hat sie sich in ihrer Kunst an den Männern gerächt: So will es das Klischee über die Barockmalerin Artemisia Gentileschi. Eine gefeierte Schau in der Londoner National Gallery hievt die 1654 Verstorbene endgültig in den Olymp der Malerei. Auch der Prado in Madrid präsentierte jüngst Altmeisterinnen, und der Kunstmarkt giert nach ihren Werken. Warum blieben sie so lange im Schatten?

Die britische Kunstkritik ist sich einig wie nie: Mit ihrer Schau „Artemisia“ hat die National Gallery 2020 einen Coup gelandet. In den Sozialen Netzwerken wird die Barockmalerin gar schon zur „Beyonce der Kunstgeschichte“ hochgejubelt. Tatsächlich blieb die im 17. Jahrhundert gefragte Künstlerin lange vergessen. Viele ihrer Bilder schrieb man ihrem Vater Orazio oder männlichen Kollegen zu, niemand erforschte das Werk. Erst seit den 1960er Jahren wird das starke Oeuvre langsam wiederentdeckt. Seit damals stieg Gentileschi zur berühmtesten unter den Altmeisterinnen auf, nicht zuletzt durch den Kriminalfall in ihrer Biografie.

Als 17-Jährige wurde Artemisia von einem Malerkollegen ihres Vaters vergewaltigt. Als der Fall vor Gericht kam, musste jedoch das Opfer und nicht der Täter leiden, denn dieser beschuldigte sie der Prostitution. Für den Gegenbeweis musste die junge Frau ihren Unterleib begutachten lassen. Zur Wahrheitsfindung wurde sie sogar mit Daumenschrauben gefoltert. „Es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr!“, soll die Verzweifelte laut den Gerichtsakten ausgerufen haben. Der Vergewaltiger Agostino Tassi wurde zwar verurteilt, kam aber frei, da ihn der Papst protegierte. Um dem Alptraum zu entkommen, heiratete die Künstlerin bald und zog nach Florenz.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Artemisia Gentileschi „Judith köpft Holofernes“, um 1613-14
Gabinetto fotografico delle Gallerie degli Uffizi
Artemisia Gentileschi: „Judith köpft Holofernes“, um 1613/14
„Maria Magdalena in Ekstase“, um 1620-25
D.Provost Private collection 2018
„Maria Magdalena in Ekstase“, um 1620–25

„Yael und Sisera“, 1620
Szépművészeti Múzeum, Budapest
„Yael und Sisera“, 1620
„Susannah und die Alten“, 1610
Kunstsammlungen Graf von Schönborn, Pommersfelden
„Susannah und die Alten“, 1610
„Selbstporträt als Allegorie der Malerei“, um 1638-9
Royal Collection Trust/Her Majesty Queen Elizabeth II, 2019
„Selbstporträt als Allegorie der Malerei“, um 1638/1639
„Selbstporträt als Heilige Katharina von Alexandria“
The National Gallery, London
„Selbstporträt als Heilige Katharina von Alexandria“, 1615/1617

Gewaltakt gegen den Aggressor

Dunkelrotes Blut spritzt aus dem Hals des Feldherrn, den Artemisia etliche Jahre später malte. Ihre Interpretation der Bibelgeschichte von „Judith und Holofernes“ ist drastisch: Die attraktive Frau säbelt dem Aggressor ihres Volkes den Kopf ab. Dabei dreht sie sich weg, wie um ihr Kleid nicht zu besudeln. „Gentileschi macht die begleitende Dienerin zur Komplizin Judiths, auch das ist neu“, sagte Gudrun Swoboda vom Kunsthistorischen Museum (KHM). Die Kuratorin der Gemäldegalerie gestaltete letztes Jahr die gelungene Ausstellung „Caravaggio & Bernini“. Darin hing auch Gentileschis „Maria Magdalena in Ekstase“, eine packende Hell-Dunkel-Malerei nach dem Vorbild Caravaggios.

Susanna und die Spanner

„Diese Präsenz des weiblichen Körpers ist für damals unübertroffen“, schwärmte Swoboda und betonte die Andersheit des femininen Blicks auf die biblischen Frauenfiguren. Die Ausstellung in London demonstriert diese Fähigkeit gleich zu Beginn mit Gentileschis Frühwerk „Susanna im Bade“. Wie erschrocken sich die Nackte von den beiden Alten wegdreht, die sie bedrängen, beweist ebenso viel Sensibilität wie malerisches Können. Noch dazu schuf sie das Werk mit 16 Jahren. Kein Wunder, dass Orazio Gentileschi in einem Brief seine außergewöhnlich talentierte Tochter lobte; ihre drei auch vom Vater unterrichteten Brüder konnten da nicht mithalten.

Artemisia wäre später auch gut im „self-fashioning“, also in der Inszenierung ihrer Person, gewesen, betonte Swoboda. „Meine erlauchte Herrschaft, ich werde Ihnen zeigen, was eine Frau alles vermag“, schrieb die Künstlerin an einen adeligen Auftraggeber. Diesen Stolz demonstrieren auch ihre Selbstbildnisse.

Ungeheuer plastisch und modern wirkt etwa die „Allegorie der Malerei“, die Artemisias Züge trägt und unterhalb der Malpalette signiert ist. Das in London ausgestellte Bild ist eine Leihgabe aus der Königlichen Sammlung der Queen. Ein anderes Selbstporträt war der Ausgangspunkt für die jetzige Schau: 2017 ersteigerte die National Gallery für knapp vier Millionen Euro das „Selbstporträt als Heilige Katharina von Alexandria“. Die Malerin stellt sich hier mit Krone und zerbrochenem Reifen als Märtyrerin dar.

Gesucht auf dem Kunstmarkt

Gentileschi bescherte auch dem Wiener Auktionshaus Dorotheum schon ein Spitzenergebnis. 2018 wurde dort ihre dramatisch beleuchtete „Lukrezia“ um 1,88 Millionen Euro versteigert. „Das Gemälde war eine Neuentdeckung und ungeheuer ausdrucksstark“, erzählte Mark MacDonnell, Leiter der Altmeistersparte. Dass Gentileschis Bilder früher oft fälschlicherweise männlichen Zeitgenossen zugeschrieben wurden, erklärt sich der Experte damit, dass die Kunsthistoriker wohl mit so viel Sinnlichkeit bei einer Malerin nicht fertig geworden wären.

Aber jetzt sei die Zeit für die Altmeisterinnen endlich reif, schließlich hätte sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft gewandelt, und es säße mehr weibliches Personal an den Schalthebeln der Museen. MacDonnell verwies auf das National Museum for Women in the Arts in Washington, wo 2019 eine Schau zu den flämischen Malerinnen des Goldenen Zeitalters zum Hit wurde.

In die Kuriositätenkammer verbannt

Über seine italienischen Filialen konnte das Dorotheum auch schon andere Altmeisterinnen akquirieren und weit über ihren Schätzwerten versteigern. Darunter Werke der Italienerinnen Sofonisba Anguissola und Lavinia Fontana aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Letztes Jahr wurden die beiden vom Madrider Prado in der Schau „Die Geschichte von zwei Malerinnen“ gewürdigt.

Das schönste Selbstbildnis der Adelstochter Anguissola hängt übrigens im Wiener KHM. Lange zählte das 1554 entstandene Kleinformat zur Sammlung der Wunderkammer und nicht zur Gemäldegalerie: das kuriose Produkt einer Frau. Dafür ist Anguissola bis heute die einzige Altmeisterin, der das Haus am Ring jemals eine Ausstellung gewidmet hat. Das war aber nicht unter der Ägide von Direktorin Sabine Haag seit 2009, sondern vor einem Vierteljahrhundert, nämlich im Jahr 1995.