Ein Mann vor einem zertörten Haus in der umstrittenen Region Bergkarabach
AP/Aziz Karimov
Gewalt im Kaukasus

Hauptstadt von Bergkarabach bombardiert

Der bewaffnete Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan rund um die umstrittene Region Bergkarabach heizt sich weiter auf: Am Freitag wurde die Hauptstadt Stepanakert laut armenischen Angaben mit Raketen angegriffen, dabei seien viele Bewohner verletzt und zahlreiche Häuser zerstört worden. Die aserbaidschanische Armee sprach wiederum von schwerem Artilleriefeuer auf Dörfer und Städte auf seinem Staatsgebiet.

Die Gefechte der verfeindeten Nachbarländer dauern trotz internationaler Appelle für einen Waffenstillstand seit fast einer Woche an. Es sind die schwersten seit Jahren: Bei den Kämpfen im Südkaukasus sind nach armenischen Angaben in Bergkarabach deutlich mehr als 200 Menschen getötet worden. Es gab jedoch abweichende Informationen. Aserbaidschan zählte zuletzt nach eigenen Angaben 19 tote Zivilisten und 55 Verletzte.

Fachleute warnen davor, dass sich die aktuellen Gefechte zu einem blutigen Krieg entwickeln könnten – immerhin gehören sowohl Armenien als auch Aserbaidschan zu den zehn am stärksten bewaffneten Staaten der Welt. Beide Staaten geben sich gegenseitig die Schuld an der aktuellen Gewalt.

Video-Aufnahme des Armenischen Außenministeriums von einem Angriff in Stepanakert, der umstrittenen Region in Bergkarabach
AP/Armenian Foreign Ministry
Von der armenischen Regierung verbreitete Bilder zeigten Detonationen

Aserbaidschan und Armenien befinden sich seit Jahrzehnten im Streit um Bergkarabach. Die Region gehört völkerrechtlich zum muslimischen Aserbaidschan, ist aber christlich und armenisch geprägt. Bergkarabach hat sich als Republik Arzach selbst für unabhängig erklärt, wird aber international nicht anerkannt. Beide Länder beanspruchen die Region für sich und sehen sie als historischen und rechtmäßigen Teil ihres Territoriums. Der Streit hat auch dazu geführt, dass sich seit Jahren armenische Truppen in einer Pufferzone rund um Bergkarabach befinden. Aserbaidschan fordert ihren Abzug.

Armenien will Zurückhaltung der Türkei

Dazu kommt die geopolitische Komponente: Eine Einmischung von internationalen Akteuren wie der Türkei und Russland könnte den Konflikt enorm zuspitzen. Die Minsk-Gruppe der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OSZE) versucht nun angesichts der eskalierenden Gewalt erneut, in dem Konflikt zu vermitteln. Sie forderte die beiden Staaten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Keiner der Gegner solle dafür Vorbedingungen stellen. Darauf wollen sich die Länder jedoch nicht einlassen.

Karte zeigt die Region Bergkarabach und von Armenien kontrollierte Gebiete
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BBC

Armenien teilte mit, dass man grundsätzlich zu Gesprächen bereit sei. Allerdings könne es diese nur geben, wenn sich die Türkei aus dem Konflikt heraushalte. Die Türkei und das ölreiche, autokratisch regierte Aserbaidschan sind eng verbunden, oft ist die Rede von einem „Brudervolk“. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Aserbaidschan bereits seine Unterstützung zugesagt. Dazu kommt, dass Armenien und die Türkei seit dem Genozid im Ersten Weltkrieg tief verfeindet sind.

Warnung vor Dschihadisten

Weil Armenien zudem traditionell von Russland unterstützt wird, zeichnet sich hier auch ein weiterer Stellvertreterkonflikt zwischen Moskau und Ankara ab. In Armenien lässt die türkische Involvierung die Alarmglocken schrillen. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan teilte zuletzt mit, Terroristen würden „unter Ägide der Türkei“ auf aserbaidschanischer Seite kämpfen. Konkret soll es sich um ausländische Söldner und Dschihadisten aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen handeln. Auch Russland und Frankreich hatten das verlautet.

Recep Tayyip Erdogan und Ilham Aliyev
AP/Presidential Press Service
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev

Das Außenministerium in Baku kommentierte den Vorstoß der OSZE-Gruppe zunächst nicht, gab aber die Schuld an der Eskalation Armenien. Aserbaidschan müsse auf die Angriffe reagieren und werde seine Militäroperation fortsetzen, hieß es. Bereits zuvor hatte die aserbaidschanische Regierung ihre Forderung an Armenien bekräftigt, alle Truppen aus der umkämpften Region abzuziehen. „Wenn Armenien ein Ende dieser Eskalation will, muss es die Besatzung beenden“, sagte der außenpolitische Berater von Präsident Ilham Aliyev, Hikmet Haciyev.

Eskalation mit Anlauf

Die aktuelle Eskalation hat sich laut Fachleuten abgezeichnet. Die Krisenforscherin Olesya Vartanyan von der International Crisis Group sprach von „zahlreichen Signalen“, auf die wochenlang niemand reagiert habe. So gab es bereits im Juli an der Grenze Artilleriebeschuss mit mehreren Toten. Zwar endete die Gewalt nach wenigen Tagen, trotzdem goss sie in beiden Staaten wieder Öl ins Feuer.

In Aserbaidschan kam es etwa im Sommer zu großen Demonstrationen, in denen ein Krieg mit Armenien und die „Mobilisierung“ gefordert wurden. Dabei drangen auch Demonstrierende ins Parlament ein. Diese Proteste richteten sich auch gegen die autokratische aserbaidschanische Regierung, die seit Jahrzehnten von der Familie Aliyev beherrscht wird. Das erdölreiche Land stecke zuletzt aufgrund verfallender Energiepreise in einer Wirtschaftskrise. Laut Beobachtern könnte das die Entscheidung für die jüngsten Angriffe angetrieben haben.