Lotte de Beer
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Meyer-Nachfolge

Lotte de Beer wird Volksoperndirektorin

Erstmals wird eine Frau eines der großen Wiener Opernhäuser leiten: Wie die Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer heute bekanntgab, wird die Niederländerin Lotte de Beer 2022 als Nachfolgerin von Robert Meyer zur künstlerischen Direktorin der Volksoper bestellt.

De Beer konnte sich nach ihrem Studienabschluss 2009 an der Hochschule der Künste in Amsterdam in Rekordgeschwindigkeit einen Namen in der europäischen Musiktheaterlandschaft machen. Nach ersten Inszenierungen an der Oper Leipzig folgten Einladungen zum Holland Festival, zur Münchener Biennale sowie ans Aalto Theater Essen, an die Nationale Opera Amsterdam, nach Malmö und an die Bayerische Staatsoper.

2013 gründete sie gemeinsam mit dem Dirigenten Steven Sloane die Amsterdamer Compagnie Operafront, deren künstlerische Leiterin sie bis heute ist. 2015 wurde sie mit dem International Opera Award in der Kategorie „Newcomer" ausgezeichnet. In Österreich waren am Theater an der Wien (u. a. „Die Jungfrau von Orleans“, „Les pecheurs des perles“) und bei den Bregenzer Festspielen („Moses in Ägypten“) Arbeiten de Beers zu sehen.

Andrea Mayer, Lotte de Beer und Christian Kircher
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Kulturstaatssekretärin Mayer und Bundestheater-Holding-Chef Christian Kircher präsentierten die designierte Volksoperndirektorin

„Oper für das Volk“

De Beer habe in ihrer Bewerbung geschrieben: „Die Volksoper bietet die Gelegenheit, Oper für das Volk zu machen“, so Mayer. Das sei ihr als richtiger Ansatz erschienen. Die junge Regisseurin verfüge über „viel, viel Hintergrundwissen über musikalische Traditionen“, genauso aber über die Kreativität, Neues zu schaffen.

„Sie wird neue Akzente behutsam mit bestehenden verbinden und damit neues Publikum genauso erreichen wie das Stammpublikum.“ Die Volksoper habe „alle Voraussetzungen, ein Haus zu sein, das das Wiener Publikum erreicht und gleichzeitig die ganze Welt inspiriert“, zitierte Mayer aus der Bewerbung.

Pressekonferenz „Neue künstlerische Geschäftsführung für die Volksoper Wien“

In einer Pressekonferenz stellten die Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer und der Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Christian Kircher, die Niederländerin Lotte de Beer 2022 als designierte künstlerische Direktorin der Volksoper vor.

„Zeit für Poesie“

Die ausgezeichnet Deutsch sprechende Niederländerin erklärte auf der Pressekonferenz, dass sie sich in der Lockdown-Zeit dazu entschieden habe, sich in Wien zu bewerben. Die Welt, für die sie gelernt habe, Theater zu machen, schien plötzlich verschwunden zu sein. „In Zeiten, in denen es friedlich ist, hat die Kunst die Aufgabe aufzurütteln, zu schockieren, zu dekonstruieren“, so de Beer. In dunklen Zeiten müsse Theater dem Publikum einen poetischen Ausweg aus der Welt geben. Sie kämpfe deshalb dezidiert gegen den vermeintlichen Widerspruch von „hoher Kunst“ und Unterhaltung.

Ihre besondere Herzensangelegenheit sei das Genre Operette, das sie gerade in schwierigeren Zeiten als besonders wichtig empfinde. „Statt schockieren will ich verzaubern.“ Das junge Publikum sei für diese Kunstformen verloren gegangen – sie plane, es zurückzuholen, und glaube, dass man verschiedene Publikumsgruppen vereinigen könne.

„Ich liebe meinen Job als freischaffende Regisseurin – aber ich glaube, es ist Zeit für mich, Beziehungen aufzubauen, mit Menschen auf und hinter der Bühne und natürlich mit dem Publikum.“ In einem ersten Schritt suche sie nun nach einem starken musikalischen Partner oder einer Partnerin, mit der oder dem sie gemeinsam sich „dem Allerwichtigsten“ widmen wolle: „dem Publikum“. Als Direktorin plane sie weiterhin zu inszenieren – eine eigene Regie pro Saison am Haus und eine weitere andernorts: „Regie ist mein Herz.“

Keine Angst vor Pandemiesparplänen

Bedenken wegen pandemiebedingt dräuender Sparvorgaben habe sie dabei nicht, sagte die 39-Jährige: „In Österreich ist es so toll, dass alle der Meinung sind, dass Kunst genau jetzt wichtig ist und es dafür auch Geld geben muss. Und dafür werde ich kämpfen.“

Lotte de Beer
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De Beer will verzaubern statt schockieren

Meyer hätte gerne verlängert

Der seit 2007 amtierende Meyer streute seiner Nachfolgerin Rosen: „Ich freue mich über die Wahl meiner Nachfolgerin“, so Meyer in einem ersten Statement. „Es ist eine hervorragende Entscheidung. Wir haben uns bereits kennengelernt und wunderbar verstanden.“ Man werde nun gut zusammenarbeiten, um eine optimale Übergabe für die Volksoper zu ermöglichen.

Meyer hatte zunächst bekundet, sich für eine weitere Amtsperiode bewerben zu wollen, in einem „Kurier“-Interview vor einem Monat allerdings davon berichtet, im Juli bei einem Termin mit der Staatssekretärin erfahren zu haben, „dass eine Vertragsverlängerung nicht in ihrem Sinn sei. Sie will für die Volksoper eine Veränderung haben.“

Mayer bedankte sich in der Pressekonferenz bei Meyer und lobte seine „hervorragende“ Arbeit und die Verdienste für die Volksoper, die Stadt Wien und Österreich. „Er hat mir versichert, dass er für eine sehr, sehr gute Übergabe“ sorgen würde.

Robert Meyer
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Meyer hätte sich noch eine weitere Amtszeit vorstellen können, bekam aber eine Absage

Über 30 Bewerberinnen und Bewerber

Der Posten des künstlerischen Geschäftsführers des Traditionshauses am Gürtel wird ab 1. September 2022 auf fünf Jahre besetzt. Dass mit dem Auswahlprozess letztlich auch eine „Weichenstellung“ für die Volksoper verbunden gewesen sei, habe diesen besonders spannend und bedeutend gemacht, sagte Holding-Geschäftsführer Kircher. De Beer habe dabei alle Beteiligten nicht zuletzt mit ihrer großen Empathie und ihrem grundlegenden Konzept überzeugt: „Es geht nicht um Dekonstruktion, es geht um Kontinuität im Sinne eines Aufbaus auf Vorhandenem.“

Im Rennen um die Direktion waren acht Frauen und 26 Männer. Laut Ausschreibung wurden gute Branchenkenntnisse ebenso vorausgesetzt wie die der Musikliteratur – „verbunden mit gesichertem künstlerischen Beurteilungsvermögen“. Zu den Aufgaben der Volksopernintendanz gehört etwa die Weiterentwicklung des Ensembles und die zeitgemäße Fassung des Begriffs „Volksoper“. Nicht zuletzt soll dabei der Aspekt der Kulturvermittlung für ein breites Publikum Berücksichtigung finden.

Der Bestellungskommission gehörten Elisabeth Sobotka (Intendantin der Bregenzer Festspiele), Karin Bergmann (ehemalige Burgtheater-Direktorin), Jürgen Meindl (Leiter der Sektion Kunst und Kultur im BMKÖS) und Bundestheater-Holding-Chef Kircher an – sie übergaben einen Zweiervorschlag an Mayer, die „nach ausführlichen Gesprächen mit beiden“ die Entscheidung für de Beer traf.

Lotte de Beer zur Volksoperndirektorin ernannt

Mit Lotte de Beer wird ein Generationswechsel in der Wiener Volksoper eingeläutet. Die 39-jährige Regisseurin will neue Publikumsschichten in das Wiener Musiktheater holen.

Vornehmlich erfreute Reaktionen

Die ersten Reaktionen auf de Beers Bestellung fielen positiv aus. „Ich freue mich sehr über diesen Karriereschritt, denn er basiert auf ihrem Können und Fachwissen im Bereich des künstlerischen Musiktheatermanagements und auf ihrer jugendlichen Energie, die für die Volksoper ab 2022 genau richtig sind“, hielt Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien, fest. „Natürlich bin ich stolz darauf, dass das Theater an der Wien wieder ein wichtiger Katalysator für eine Künstlerin ist, um an die Spitze im Operngenre zu gelangen.“

„Die Entscheidung für Lotte de Beer, eine Regisseurin von europäischem Format, ist eine gute Entscheidung; ich kenne und schätze sie aus der Zusammenarbeit u. a am Theater an der Wien“, gab SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda in einer Aussendung bekannt. Es sei auch ein Vorteil, dass mit de Beer eine regieerprobte junge Frau die Direktion übernimmt. „Sie kann damit eine spannende Positionierung der Volksoper im Kontrapunkt zu Theater an der Wien und Staatsoper vornehmen“, so Drozda. SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin Ruth Manninger gratulierte und nannte die Entscheidung „erfreulich, wenn auch spät“.

Für die Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, wird mit dieser Entscheidung ein „dringend notwendiger Generationswechsel vollzogen“. „Als Operettenliebhaberin freue ich mich besonders, dass die Volksoper mit Lotte de Beer eine ausgewiesene Operettenspezialistin als Direktorin bekommen wird. Sie ist ein Garant dafür, dass es gelingen wird, sowohl die langjährigen Volksopernbesucher*innen zu begeistern als auch jene anzusprechen, die mit Operette nur die Vorlieben ihrer Großeltern verbinden“, meinte sie und sprach dem scheidenden Direktor Meyer großen Dank aus: Er habe „die Volksoper in ein ruhiges Fahrwasser gebracht und ein vielfältiges Repertoire angeboten“.

FPÖ findet Meyer „unschön abserviert“

Für FPÖ-Kultursprecher Volker Reifenberger haftet der Bestellung „allerdings ein fahler Beigeschmack an, da der seit dem Jahr 2007 amtierende Direktor der Volksoper Robert Meyer von der grünen Kulturstaatssekretärin Mayer unschön abserviert wurde“, kritisierte er in einer Aussendung. „Direktor Meyer kann auf eine überaus erfolgreiche Zeit zurückblicken. (…) Es ist schade und ein Zeichen schlechten Stils, wie man sich vom amtierenden Volksoperndirektor trennt. Dieser hätte jedenfalls mehr Wertschätzung und zumindest die faire Chance auf eine erfolgreiche Wiederbewerbung verdient gehabt“, so Reifenberger.