Coronavirus-Teströhrchen
Reuters/Lisi Niesner
Testen! Testen! Testen?

Strategie ruft neue Kritik hervor

Täglich nimmt die Zahl der positiven CoV-Testungen zu – das lässt auch die Verunsicherung steigen und neue Maßnahmen zunehmend möglich erscheinen. Doch gibt es Umstände, die dabei zu berücksichtigen sind: ein wesentlicher Faktor ist, dass die Zahl der durchgeführten Tests im Vergleich zum Frühjahr erheblich gestiegen ist. Zur Test- und Quarantänestrategie geht die Meinungsschere zwischen Experten und Politik auseinander.

Expertinnen und Experten weisen zunehmend drauf hin, dass die Fallzahlen der positiv Getesteten als Indikator für das Pandemiegeschehen überbewertet würden. In diesem Zusammenhang üben Gesundheitsexpertinnen und -experten verstärkt Kritik an der Teststrategie: Statt „ungezielter Massentestungen sollten Screenings auf Risikogruppen beschränkt werden“, hieß es etwa zuletzt von der Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Die Expertinnen und Experten führen ins Treffen, dass diese Strategie ein falsches Sicherheitsgefühl vermittle. Denn auch ein negativer PCR-Test (das derzeit gängigste Verfahren) sei nur eine Momentaufnahme, schließe eine Infektion nicht aus und entbinde nicht von Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, beschreibt dasselbe Problem und die daraus folgenden Konsequenzen für Betroffene von einer anderen Seite.

„Ein Viertel der positiv Getesteten nicht infektiös“

Es sei jetzt klar, dass „20 bis 25 Prozent, also rund ein Viertel der positiv Getesteten, nicht infektiös sind“, erklärte Weiss gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ (Mittwoch-Ausgabe). Dafür gebe es verschiedene Gründe wie etwa jenen, dass die Infektionen asymptomatisch verlaufen und die Viruslast zu gering sei. Zudem könnte die Infektion ein paar Wochen alt sein. Sie könne dann noch nachgewiesen werden, man sei aber nicht mehr infektiös.

Ein weiterer Grund sei ein falscher positiver Test. Hintergrund: Bei einer geringen Vortestwahrscheinlichkeit bei Massentestungen ist rein statistisch die Wahrscheinlichkeit von falsch positiv Getesteten weit höher. In diesem Zusammenhang sprach sich der Tiroler Infektiologe dafür aus, das Quarantänemanagement zu überdenken.

Behörden sollen „differenzierter“ vorgehen

Politik und Behörden sollten „differenzierter“ vorgehen und mit asymptomatischen Patienten anders verfahren als mit jenen mit Symptomen. In diesem Zusammenhang wies die ÖGIT zuletzt darauf hin, dass ein positiver PCR-Befund bei einer symptomfreien Person „noch keine Infektionsdiagnose“ darstelle und nichts über die Infektiosität der getesteten Person aussage.

Coronavirus-Teststraße beim Wiener Ernst-Happel-Stadion
Reuters/Lisi Niesner
Gurgeltest vor dem Wiener Ernst-Happel-Stadion

Relevant dabei ist der Ct-Wert, der als Mengenmaß der vorhandenen Virus-RNA gilt: Je niedriger der Ct-Wert, desto höher die Virenlast. Das deutsche Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass sich das Virus ab einem Wert von 30 nicht mehr vermehren kann. Auch in den Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zur „Entlassung von Covid-19-Fällen aus der Absonderung“ wird dieser Wert genannt – mehr dazu in science.ORF.at.

Keine einheitlichen Standards

Allerdings: In Laboren gibt es keine verbindlichen Standards, wie hoch der Wert für einen positiven Test sein muss. Hier setzt die Kritik an, wonach viele positiv Getestete nicht mehr infektiös sind.

Die Schätzungen, wie viele als infiziert geltende Menschen das betrifft, gehen allerdings auseinander. CoV-Skeptiker sehen darin einen Ausgangspunkt für ihre Haltung – verbreitet werden, etwa in einschlägigen Kanälen, enorm hochgespielte Zahlen.

Jedenfalls zeigt der prinzipielle Nachweis des Virus mittels PCR-Test nicht gleichzeitig an, wie infektiös Menschen sind bzw. in welcher Phase der Infektion sich der Getestete befindet: Klingt sie bereits ab, ist die Infektiosität tatsächlich geringer, eine niedrige Virenlast kann aber auch zu Beginn der Infektion auftreten – also noch vor der hochinfektiösen Phase. Auch die Qualität der genommenen Probe kann den Ct-Wert beeinflussen.

Public-Health-Experten Fidler und Sönnichsen zur Pandemie

Die Public-Health-Experten Armin Fidler und Andreas Sönnichsen erklären ihre unterschiedlichen Positionen zum Coronavirus und zu den Eindämmungsmaßnahmen.

AGES: Keine unabhängige Zertifizierung für PCR-Tests

Auch gibt es laut AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) in Europa keine unabhängige Zertifizierung für PCR-Tests. Mittels „CE“- Kennzeichnung würden die Hersteller gewährleisten, dass ein Test den rechtlichen und qualitativen Standards entspricht, wie es europaweit im Medizinprodukterecht geregelt ist. Lediglich wenn Probleme auftreten, müsste ein Test vom Markt genommen werden. Er könnte dann erst nach eingehender Überprüfung vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) wieder verwendet werden.

In dieser Kerbe schlug am Mittwoch Martin Haditsch, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, Infektiologie und Tropenmedizin, der bei einer Pressekonferenz in Wien betonte, als Privatperson zu sprechen. Von allen verfügbaren PCR-Tests wäre auch kein einziger für Testungen an gesunden Personen zugelassen, so Haditsch. Außerdem sei meist nicht bekannt, welche CoV-spezifischen Erbgutsequenzen sie eigentlich nachweisen, weil die betreffenden Agenzien (Primer) für die PCR-Tests oft nicht bekanntgegeben werden würden.

Generell zeigen die hochsensiblen PCR-Tests verlässlich an, ob sich Erbgut des Coronavirus in einer Probe befindet. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses dauert es aber in etwa drei bis vier Stunden. Als Hoffnungsträger für die Eindämmung der Epidemie gelten daher nun vielfach auch Antigen-Schnelltests, die schon nach rund 15 Minuten anschlagen. In ersten Tests erwiesen sie sich zwar als ungenau, trotzdem könnten sie bald breit eingesetzt werden.

Kritik an unzertifizierten Masken

Auch abseits der Tests rufen Präventionsstrategien neue Expertenkritik hervor: Der Mediziner Andreas Sönnichsen, Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin der MedUni Wien, übte indes Kritik am Gebrauch von unzertifizierten Masken. Selbstgenähte, unsachgemäß gebrauchte Masken seien kaum wirksam, so Sönnichsen bei einer Pressekonferenz.

„Belege aus Studien, die für das Maskentragen sprechen, sind äußerst dürftig“, sagte Sönnichsen. Die Risikoreduktion sei etwa 20 Prozent, aber nur, wenn offiziell getestete Masken korrekt getragen und regelmäßig gewechselt würden. Es gebe keine Evidenz, dass „selbstgeschusterte Stofffetzen“ helfen, möglicherweise, so der Mediziner, seien sie eher schädlich, wenn sie zu selten gewaschen und deshalb von Bakterien besiedelt würden.

„Schaden größer als Nutzen“

„Bei den Covid-Maßnahmen, angefangen vom Lockdown bis zu den jetzigen Maßnahmen kann man ziemlich sicher sagen, dass der Schaden größer ist als der Nutzen“, meinte er. Andere Krankheiten würden schlechter versorgt, deshalb gebe es zum Beispiel eine Übersterblichkeit wegen Herzinfarkten. In den Kliniken wurden viele medizinische Maßnahmen eingestellt und reduziert für CoV-Patienten, die dann gar nicht kamen, sagte er.

Selbst mit drakonischen Maßnahmen könne man das Virus nicht ausrotten, demnach müsse man die von ihm ausgelöste Erkrankung unter die „normalen Risiken des Lebens“ einreihen, meinte Sönnichsen, der festhielt, ausschließlich seine private Meinung kundzutun. Als Mediziner müsste man immer danach trachten, mit einer Behandlung vor allem keinen Schaden zu verursachen. Man müsse sich daran gewöhnen, mit CoV zu leben und „akzeptieren, dass Menschen daran sterben, so wie an Verkehrsunfällen, Influenza und Zigarettenrauch“.