Biden-Wahlveranstaltung in Dallas, Texas
Reuters/Eric Thayer
US-Wahl

Texas könnte für Erdbeben sorgen

Der zweitgrößte US-Bundesstaat Texas gilt seit Jahrzehnten als Republikanerhochburg – bei der Wahl im November hoffen viele Demokraten dennoch auf ein blaues Wunder. Ganz unbegründet ist das nicht: Denn geht es nach aktuellen Umfragen, dann ist heuer ein politisches Erdbeben möglich – mit Texas als Schlüsselstaat.

44 Jahre ist es her, dass sich der Demokrat Jimmy Carter die Wahlleutestimmen im US-Bundesstaat mit der zweitgrößten Bevölkerungsanzahl nach Kalifornien sichern konnte. Carter, der damals auch die Präsidentschaftswahl gegen den Republikaner Gerald Ford gewann, war zugleich der letzte Demokrat, dem das in Texas gelang.

In Reichweite scheint ein blauer Sieg im „Lone Star State“ (Staat des einsamen Sterns) auch heuer. Während Analysen der Website RealClearPolitics sowie der Statistikseite FiveThirtyEight US-Präsident Donald Trump noch mit 4,2 beziehungsweise 1,6 Prozent (Stand: Freitag) vor seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden sehen, ist sein Vorsprung in Umfragen im Vergleich zum Wahlergebnis 2016 stark geschmolzen.

TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump
Reuters/Brian Snyder
Trump und Biden liegen in Texas in einigen Umfragen bereits Kopf an Kopf

Trumps Vorsprung schmilzt weiter

Damals entschied Trump den Bundesstaat noch mit einem Vorsprung von neun Prozentpunkten vor der Demokratin Hillary Clinton für sich. Auch damals war der republikanische Vorsprung im Vergleich zu früheren Wahlen der geringste seit Antreten von Bob Dole im Jahr 1996. „Sieht man sich die Daten an, dann ist es ganz klar, dass Texas bei der Wahl 2020 ein Swing-State ist“, hieß es bei CNN bereits im Juli. Und: Gerade was die Umfragen in Texas betrifft, so wurden Demokraten bei den Wahlen der letzten Jahre stets unterschätzt.

Mit 38 Stimmen sind in Texas so viele Wahlmännerstimmen wie in keinem anderen „Swing-State“ zu holen. Die Wahl zum US-Präsidenten gewinnt, wer 270 oder mehr Wahlmännerstimmen holt. Insgesamt werden in den 50 US-Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington 538 Stimmen von Wahlmännern und -frauen vergeben. Von der Bevölkerungsstärke eines Staates hängt ab, wie viele Stimmen ein Staat erhält. In fast allen US-Bundesstaaten gilt die Regel, dass der jeweilige Sieger des Bundesstaates alle Wahlmänner zugeteilt bekommt.

Demokraten glauben an ihre Möglichkeit

Geht es nach namhaften Demokraten, dann ist für Biden jedenfalls alles möglich. Auch die Chancen auf einen demokratischen Senator sowie Zugewinne im Repräsentantenhaus scheinen nicht schlecht. „Euch muss ich ja nicht sagen, dass Texas der am härtesten umkämpfte Staat unseres Landes ist“, sagte Hillary Clinton bei einer Spendenveranstaltung in Texas.

TV-Debatte von Beto O’Rourke und Ted Cruz 2018
AP/San Antonio Express-News/Tom Reel
Beto O’Rourke gilt seit seinem Beinahe-Sieg bei der Senatswahl 2018 als demokratischer Hoffnungsträger

Optimistisch zeigte sich auch der frühere texanische Kongressabgeordnete Beto O’Rourke in der „Washington Post“: „Es ist eine strategische Chance, die Biden nützen muss, denn wenn er Texas gewinnt, dann gewinnt er die Wahl.“ O’Rourke gilt seit seinem Beinahe-Sieg gegen den amtierenden republikanischen Senator Ted Cruz 2018 als demokratischer Hoffnungsträger.

Die knappe Niederlage war zugleich die beste demokratische Performance bei einer Senatswahl seit 1988 – O’Rourke unterlag Cruz nur mit drei Prozentpunkten. Nicht nur O’Rourkes Erfolge ließen die Demokraten in Texas wieder Hoffnung schöpfen, auch im Rennen um den Posten des Generalstaatsanwalts und des Vizegouverneurs der USA kamen sie knapp an ihre republikanischen Gegenspieler heran.

Wahlverhalten in Stadt und Land

CNN-Journalist Harry Enten sieht mehrere Gründe für das gute Abschneiden der Demokraten in Umfragen. Wesentlich sei etwa, dass höher gebildete weiße Wählerinnen und Wähler nun eher demokratisch wählten. „Am besten sieht man das anhand der Vororte von Austin, Dallas und Houston, wo O’Rourke viel besser abschnitt als der demokratische Kandidat sechs Jahre zuvor.“ „Die Vororte lassen Donald Trump links liegen“, sagte Julian Castro, ehemaliger demokratischer Minister für Wohnbau und Stadtentwicklung.

Clinton konnte 2016 zwar vier der fünf bevölkerungsreichsten Bezirke – in denen sich auch die Städte Houston, Dallas, Fort Worth, Austin und San Antonio befinden – für sich gewinnen. Dennoch gewann Trump. Der Grund? „In Texas leben Millionen ländlicher weißer, konservativer Wähler, die sich von der modernen Demokratischen Partei befremdet fühlen und diese mit einer hohen Wahlbeteiligung übertrumpfen können“, heißt es in der „Washington Post“.

Gouverneur mit taktischem Manöver

Dass die Republikaner tatsächlich nervös werden, zeigte sich in einer ungewöhnlichen Entscheidung des republikanischen Gouverneurs Greg Abbott, der von Demokraten für seinen Umgang mit der CoV-Krise kritisiert wird, Anfang Oktober. Mit einem Dekret beschränkte er die Wahllokale für frühe Stimmabgaben auf eines pro County. Das trifft vor allem bevölkerungsreiche Bezirke und Städte.

Autos bei Drive-in-Stimmabgabe in Houston
APA/AFP/Getty Images/Go Nakamura
Die Wahllokale für frühe Stimmabgaben wurden vom republikanischen Gouverneur auf eine Station pro County beschränkt

Das Dekret bedeutet nämlich, dass Wähler – vor allem in weitläufigen ländlichen Gegenden – lange Wege auf sich nehmen müssen, um zu den Wahllokalen zu kommen. In bevölkerungsreichen Städten kann es wiederum wegen des großen Andrangs zu langen Wartezeiten kommen. Das könnte dazu führen, dass Angehörige von Risikogruppen aus Furcht vor einer Infektion daheim bleiben.

Wer in Texas per Briefwahl wählen will, muss dafür überhaupt erst einen triftigen Grund angeben – die Angst vor dem Coronavirus zählt dabei nicht. Fest steht damit auch, dass das Wahlergebnis zumindest für Texas noch am Wahlabend vorliegen wird.

Hispano-Amerikaner als große Unbekannte

Als große Unbekannte gilt auch das Wahlverhalten der Hispano-Amerikaner. Laut Zählungen der US-Statistikbehörde gehört mit knapp 38 Prozent ein großer Teil der Bevölkerung des Staats jener Gruppierung an, 45 Prozent sind weiß, knapp zwölf Prozent schwarz, knapp vier Prozent gehören asiatischstämmigen Minderheiten an, weniger als ein Prozent sind amerikanische Ureinwohner.

Zum Vergleich: Rund 16 Prozent der gesamten US-Bevölkerung sind Hispano-Amerikaner. Anders als Clinton dürfte Biden bei jener Wählergruppe weniger gut abschneiden, schätzt Enten. Andererseits dürften sich, so eine „New Statesman“-Analyse, auch Trumps Republikaner heuer kaum um Stimmen jener Wähler bemühen, wovon die Demokraten profitieren könnten.

Menschen in Fort Worth, Texas
Reuters/Loren Elliott
Hispano-Amerikaner gelten als wesentliche Wählergruppe im „Lone Star State“

Der Barrett-Faktor

Daran, dass die Demokraten in Texas triumphieren, glaubt der republikanische Senator Paul Bettencourt aber nicht. Als wesentlichen Faktor sieht er den Streit über die Nachfolge der liberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg am Obersten Gerichtshof der USA. Bettencourt ist zuversichtlich, dass die von Trump favorisierte Kandidatin Amy Coney Barrett dem Präsidenten Stimmen aus dem christlich-konservativen Lager sichern wird.

Demokraten wollen in Texas auf Stimmenfang gehen

Noch scheint der Fokus von Biden auf anderen „Swing-States“ wie Pennsylvania, Wisconsin, Michigan und Minnesota zu liegen, heißt es in US-Medien. Doch die Anzeichen, dass Biden nun auch in Texas offensiv auf Stimmenfang gehen könnte, mehren sich.

Die Lokalzeitung „The Dallas Morning News“ und die Nachrichtenwebsite The Hill berichteten, dass Bidens Kampagnenteam für die letzten vier Wochen vor der Wahl sechs Millionen US-Dollar an Werbeausgaben in Texas aufgebracht hat. Konkret wird auf Informationen der Firma Advertising Analytics, die Daten zu Ausgaben für Wahlwerbung sammelt, verwiesen.

Noch kein Wahlkampfauftritt Bidens

Mit Werbung in spanischer Sprache werde der Fokus Berichten zufolge verstärkt auf Hispano-Amerikaner gelegt. Biden selbst absolvierte zwar noch keinen Wahlkampfauftritt in Texas, er entsandte allerdings den Ehemann seiner Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris, Doug Emhoff.

Von Trump-Seite gibt es offiziell aber große Zweifel, ob Bidens Offensive noch viel bewirken könne. Trumps Sprecherin Samantha Cotton sagte dazu: „Zu all dem Gerede darüber, dass Texas blau wird: Die Biden-Kampagne wartete mit ihrem Wahlkampf bis 29 Tage vor dem Wahltag.“ Unklar ist nicht zuletzt, was für Auswirkungen Trumps Infektion mit dem Coronavirus auf das Wahlergebnis haben wird – in Texas sowie im ganzen Land.