Filmszene aus „Vergiftete Wahrheit“
TOBIS Film GmbH
Teflon-„Verschwörung“

Ökothriller mit allzu wahrem Kern

Ein Anwalt wechselt die Seiten, um es mit einem Goliath der US-Chemieindustrie aufzunehmen: In „Vergiftete Wahrheit“ zeichnet Regisseur Todd Haynes in kühlen Farben den Prozess rund um einen Vergiftungsskandal, der fast 20 Jahre andauerte. Ein düster-spannender Ökothriller nach einer wahren Geschichte.

PFOA oder C-8, so heißt die Verbindung, ursprünglich entwickelt, um Wasser von Panzern abperlen zu lassen. Als zentraler Bestandteil von Teflon feiert sie in den 1960ern Erfolge, als „magische Substanz“ des modernen Zeitalters. Zur Versiegelung von Teppichen, zur Haltbarmachung von Gefäßprothesen, für wasserabweisende Stoffe wie Gore-Tex und natürlich zur Antihaftbeschichtung für Millionen von Pfannen und Töpfen: Überall ist Teflon im Einsatz, produziert von dem angeblichen Vorzeigeunternehmen DuPont direkt im Herzen der USA.

„Wähle eine Pfanne, wie du einen Mann wählst“, so heißt es in einer britischen 70er-Jahre Werbung für Teflon-Pfannen, „Was drinnen ist, das zählt.“ Was wirklich in Teflon drinnen ist, das zeichnet der Film „Vergiftete Wahrheit“ in düsteren Farbtönen, in fahlem Grün-Braun nach (Kamera: Ed Lachman).

Das ganze Ausmaß der Katastrophe veranschaulicht ein heruntergekommener Bauernhof in Parkersburg, West Virginia. Die braunen Wiesen sind zum Friedhof geworden, Hunderte Kühe mussten erschossen werden, weil sie toll geworden waren, trübe Augen hatten, riesige Gallenblasen und Tumore.

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Filmszene aus „Vergiftete Wahrheit“
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Mark Ruffalo spielt Robert Bilott, einen aufstrebenden, pragmatischen Firmenanwalt
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An Bilotts Seite seine Frau Sarah (Anne Hathaway)
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Bilott wird gerade zum Partner in einer renommierten Anwaltskanzlei ernannt (in der Rolle als Boss: Tim Robbins) …
Filmszene aus „Vergiftete Wahrheit“
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… als ihm ein Bauer sein vom Chemiekonzern DuPont vergiftetes Land zeigt
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Der Gerichtsstreit als Sisyphosarbeit: Bilott wühlt sich durch Aktenberge
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Fast 20 Jahre, von 1998 bis 2017, dauert der Kampf gegen DuPont
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An Bilotts Seite: Anwalt Harry Deitzler (Bill Pullmann)
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Bei den Dreharbeiten: Mark Ruffalo mit Regisseur Todd Hanyes

Gift im Grundwasser

Warum? Dafür hat der wütende Bauer (Bill Camp) keine Beweise, aber eine einzige Erklärung: DuPont hat das angrenzende Grundstück zur Giftmülldeponie gemacht. Der Schlick geht ins Grundwasser und in den angrenzenden Ohio River, mit Folgen auch für den Menschen. Der Stoff löst fötale Missbildungen und Krebs bei Erwachsenen aus: Eine wahre Geschichte, die in einen fast 20-jährigen, bis 2017 dauernden Prozesses gegen den Chemieriesen mündete, den Nathaniel Rich 2016 in einem Artikel im „New York Times Magazine“ aufarbeitet. Auf diesem basiert „Vergiftete Wahrheit“.

Der, der diesen Kampf David gegen Goliath – im realen Leben wie im Film – aufnimmt, ist Robert Bilott, dessen Job es eigentlich ist, Chemieunternehmen wie DuPont zu vertreten. Mark Ruffalo, der den Film auch produziert hat, setzt diesen Anwalt großartig in Szene: Er zeichnet einen Mann, der sich vom pragmatischen, aufstrebend-slicken Juristen zum hartnäckigen Umweltaktivisten entwickelt, in den sich die zermürbende Arbeit immer mehr einschreibt.

Gerichtsstreit als Sisyphusarbeit

Warum Bilott den Fall überhaupt übernimmt? Besagter Bauer ist mit seiner Oma befreundet – und Bilott ist sich der Kooperationsbereitschaft DuPonts sicher: Ein blitzsauberes Unternehmen, denkt er, will doch solche Vorwürfe aus der Welt räumen – gewaltiger Irrtum. Ein Zimmer bis zur Decke voll mit Kartons, gefüllt mit Akten, ist Sinnbild der aufreibenden Sisyphusarbeit, die sich auch mehr und mehr zur Belastungsprobe für seine ein wenig klischeehaft gezeichnete Beziehung auswächst (als Ehefrau: Anne Hathaway).

670 Millionen US-Dollar Schadenersatz

Dass aus „einer kleinen Sache für einen Freund der Familie“ ein Prozess epischen Ausmaßes wird, hat damit zu tun, dass C-8 neu ist. Es gelten in den 1990er Jahren noch keine gesetzlichen Obergrenzen, die Grenzwerte werden nur von der Firma definiert, die diese offiziell allerorts einhält. Am Ende, nach vielen Teilerfolgen und Rückschlägen, setzt sich Bilott jedenfalls durch: DuPont musste bis jetzt Geldstrafen in Höhe von 670 Millionen US-Dollar zahlen, der Anwalt erhielt für sein Engagement den Alternativen Nobelpreis.

Vielleicht am überraschendsten an diesem solide erzählten Thriller mit der definitiv spannenden und wichtigen Geschichte ist, dass dahinter Regisseur Haynes steckt, Schöpfer von stilistisch unverwechselbaren Filmen wie „Carol“ und „I’m Not There“. „Vergiftete Wahrheit“ ist dagegen fast ohne erkennbaren Stil – sieht man von der Farbpalette ab, die einen stimmigen Rahmen liefert – für die Tristesse der betroffenen Community und für die unternehmerische Zermürbungspolitik.