Jugendliches Paar geht spazieren
ORF.at/Dominique Hammer
Wien-Wahl

Junge ticken ein bisschen anders

Deutliche Unterschiede im Wahlverhalten hat es bei der Wien-Wahl in den unterschiedlichen Altersgruppen gegeben. Je älter die Wählerinnen und Wähler, desto größer wurde der Anteil der SPÖ- und ÖVP-Stimmen. Dennoch war die SPÖ auch bei den unter 30-Jährigen die stärkste Partei – ganz anders als bei der Nationalratswahl 2019.

34 Prozent der 16- bis 29-Jährigen wählten laut Wahltagsbefragung von ISA und SORA für den ORF in Wien die Sozialdemokraten. Auf Platz zwei folgten die Grünen mit 27 Prozent – keine große Überraschung, kann die Partei bei Wahlen doch zumeist beim jüngeren Publikum punkten. Zehn Prozent entschieden sich für NEOS, nur sieben Prozent für die ÖVP. Und die FPÖ stürzte auch bei den Jungen ab – auf gerade fünf Prozent.

Erstaunlich sind allerdings die zwölf Prozent – und damit doppelt so viel wie in anderen Altersgruppen – für sonstige Parteien, also vor allem Links, Bierpartei und Soziales Österreich der Zukunft (SÖZ). Überhaupt überraschten die drei Kleinen bei der Wahl: Links, das sich links der SPÖ und der Grünen positionierte, kommt laut Hochrechnung auf zwei Prozent, doppelt so viel wie das Vorgängerbündnis Wien Andas 2015. Die Bierpartei schaffte mit einem beeindruckenden Social-Media-Wahlkampf laut Hochrechnung ebenfalls zwei Prozent. Und das in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommene SÖZ mit der Ex-Liste-Pilz-Abgeordneten Martha Bißmann kommt überraschend auf 1,6 Prozent.

FPÖ auch bei Jungen abgestürzt

Deutlichster Unterschied zur Wien-Wahl 2015 ist der Absturz der FPÖ. Denn vor fünf Jahren kamen die Freiheitlichen bei den unter 30-Jährigen noch auf 24 Prozent und konnten vor allem bei jungen Männern punkten. Die SPÖ war 2015 auch bei den Jungen mit 35 Prozent stärkste Kraft, es folgten als Dritte die Grünen mit 20 Prozent, NEOS mit elf und die damals insgesamt abgeschlagene ÖVP mit sechs Prozent.

Junge in der Minderheit

Laut Auskunft der für Statistik zuständigen MA 23 der Stadt Wien sind derzeit rund 230.000 Wienerinnen und Wiener mit österreichischer Staatsbürgerschaft 16 bis 29 Jahre alt und waren damit für den Gemeinderat wahlberechtigt. Das entspricht allerdings nur einem Anteil von rund 20,5 Prozent aller 1.133.011 Wahlberechtigten – und das, obwohl Wien seit 2015 das „jüngste“ Bundesland ist, also jenes mit dem niedrigsten Altersschnitt. Nicht zu eruieren ist, wie viele Junge von ihrem Wahlrecht auch Gebrauch gemacht haben. Der Rückgang bei der FPÖ, der auch aus der Wählerstromanalyse abzulesen ist, lässt darauf schließen, dass auch bei den unter 30-Jährigen viele ehemalige freiheitliche Wähler der Wahl fernblieben.

Deutlicher Unterschied zu Österreich gesamt

Die jungen Wienerinnen und Wiener ticken jedenfalls ein bisschen anders als die Jungen in Österreich insgesamt. Bei der Nationalratswahl im Vorjahr lagen Grüne und ÖVP mit je 27 Prozent gleichauf, 20 Prozent der unter 30-Jährigen wählten damals FPÖ, 14 Prozent die SPÖ und acht Prozent NEOS. Erklärt werden können die deutlichen Unterschiede einerseits mit der traditionell starken SPÖ in Wien und andererseits mit dem fast bei jeder Wahl auftretenden Stadt-Land-Gefälle, das zumeist auch mit einem Gefälle bei der formalen Bildung einhergeht – vor allem bei Universitätsstädten wie Wien.

Andere Themen wichtig

Der Unterschied zu den älteren Wählergruppen wird auch in der Nachwahlbefragung zu den Wahlmotiven deutlich. Bei der Frage nach den meistdiskutierten Themen dominiert zwar auch bei den Jungen das Coronavirus, die Thematik Arbeit und Wirtschaft ist – wohl auch in diesem Zusammenhang – präsenter als bei den älteren. Ebenfalls wichtiger als bei anderen Wählergruppen fielen Bildung, Klima und Wohnen aus.

Umfrage: Große Kluft bei Bildung

Eine Umfrage des Instituts für Jugendkulturforschung war schon einige Tage vor der Wahl zum Schluss gekommen, dass 85 Prozent der unter 30-Jährigen mit dem Leben in Wien zufrieden sind. Bei der Befragung von 800 Wienerinnen und Wienern zeigte sich allerdings, dass die Kluft zwischen den Bildungsschichten immer tiefer wird: Je weiter man in der sozialen Hierarchie nach unten gehe, desto mehr schwänden die Zufriedenheit und das Vertrauen in die Regierenden, wurde in der Studie betont.

Die größten Ängste der Wiener Jugendlichen beziehen sich auf materielle Themen des Lebens wie Einkommen, Arbeitsplatz, Sicherheit und Wohnen. „Das Sicherheitsbedürfnis ist durch Corona deutlich gestiegen“, sagte Institutschef Bernhard Heinzlmaier. Klar sichtbar ist die Bildungskluft laut der Studie im Bereich Verkehrspolitik: So sprechen sich fast 70 Prozent der befragten Hochgebildeten für eine tendenziell autofreie Stadt aus, während es bei den Menschen mit niedriger und mittlerer Bildung nur etwa 50 Prozent sind.