Staatsoper: Wien hält auch Hans Neuenfels aus

Im Tempel der schonungslosen Werktreue gibt es doch noch so etwas wie aufklärerische Gnade. Nach vielen Zwischenbuhs und einem Aufschrei ganz am Ende absolvierte die frühere Stuttgarter Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in der sehr freien Werkbearbeitung durch Hans Neuenfels gestern ihre Wien-Premiere. Buhrufe und Zustimmung hielten sich beinahe harmonisch die Waage, was nicht zu erwarten war.

Neuenfels hatte zwar vieles, aber eben nicht alles getan, um die Wiener zu reizen. So endete die Oper nicht mit dem legendären Janitscharenchor, sondern einem Eduard-Mörike-Gedicht, das Schauspieler Christian Nickel als Basa Selim alleine deshalb vortragen „wollte“, weil er ja keine Singrolle in dem Singspiel hat.

Die Besetzung des türkischen Herrschers durch einen Schauspieler war bereits Mozarts Intention; dass man Mörike am Ende vortrug, quittierte ein Mann im Publikum mit den Worten: „Das gehört nicht dazu.“ Und tatsächlich gehörte vieles nicht dazu in dieser Umsetzung des Mozart-Singspiels, bei dem der Komponist einst selbst vehement in den Text eingegriffen hatte, weil ihm die Gestaltung des Librettisten zu wenig aufgeklärt war.

Szene aus dem Stück „Die Entführung aus dem Serail“
ORF.at

Das verdoppelte Lottchen

Neuenfels doppelte alle Hauptfiguren. Jeder Sänger bekam in seiner Rolle einen Schauspieler und jede Sängerin eine Schauspielerin zur Seite gestellt. Diese Spiegelung brachte nicht nur Slapstick, sondern tatsächlich eine der dynamischsten Interpretationen dieses wunderschönen Klassikers. Manches wurde zum Psychogramm, vieles war mit dem doppelten Guckkasten auf der Bühne von Christian Schmidt gerade auch eine Hommage an die Kunst des Theaters.

Antonello Manacorda als musikalischer Leiter des Abends präsentierte einen feierlichen, sehr präzisen Mozart, der auch am Schluss nie in den Verdacht der Verkitschung geriet. Strahlender Star des Abends: die US-Sopranistin Lisette Oropesa, die bei ihrem Staatsoperndebüt als Konstanze ausnahmslos alle im Publikum überzeugte. (Eine ausführliche Kritik folgt.)