Menschen mit Gesichtsmasken vor der „Verbotenen Stadt“ während der „Goldenen Woche“
APA/AFP/Noel Celis
Kaum Neuinfektionen

Chinas harte Hand drückt CoV-Zahlen

Die Entwicklung der CoV-Krise in China sorgt in Europa für Irritation. Denn dort, wo die Pandemie ihren Ausgang genommen hat, gibt es zumindest nach offiziellen Angaben kaum noch Fälle. Während im Westen viele Länder in den nächsten Ausnahmezustand zu schlittern drohen, scheint das Leben in der Volksrepublik wieder relativ normal seinen Lauf zu nehmen. Doch kann man den Angaben aus China vertrauen?

Seit Monaten meldet die Regierung des 1,4-Milliarden-Einwohner-Staates tägliche Neuinfektionen im maximal niedrigen zweistelligen Bereich, diese sollen zudem fast ausschließlich aus dem Ausland kommen. Gibt es lokale Ausbrüche, packt China das große Besteck aus: etwa in Qingdao, wo aufgrund von sechs lokalen CoV-Infektionen neun Millionen Tests in nur fünf Tagen angekündigt wurden, oder in Ruili, wo erst im September eine ganze Stadt abgeriegelt wurde. Gleichzeitig gehen Bilder von der „Goldenen Woche“ um die Welt, in der 630 Millionen Chinesinnen und Chinesen durch das Land reisten.

Wirklich verifizierbar sind die Zahlen aus China nicht. Doch Nis Grünberg vom deutschen Mercator Institute for China Studies (MERICS) ist der Auffassung, dass die offiziellen Daten einen realistischen Trend darstellen: „Sogar für das chinesische Zensursystem wäre es schwer, einen neuerlichen Ausbruch verdeckt zu halten“, so der Experte für chinesische Staatsführung und Ideologie gegenüber ORF.at. „Die Strategie, dass man auch sehr kleine Cluster ernst nimmt, extrem testet und strenge Quarantänemaßnahmen wahrnimmt, halten das Virus ziemlich gut im Zaum.“

Reisende während der „Goldenen Woche“ in China
APA/AFP
Impressionen aus der Reisewoche „Goldene Woche“, hier der Bahnhof Hangzhou

Es ist dieser Cocktail aus Tests, Isolation und Nachverfolgung, der rigoros durchgesetzt auch in anderen Ländern zu Erfolg geführt hat, die weniger der Zensur verdächtig sind. Zu ihnen gehören etwa Neuseeland und Südkorea. Und doch sind die Voraussetzungen und Verhältnisse in dem autoritär und zentralistisch regierten China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern speziell.

Wie bereits die drastischen Maßnahmen im Frühjahr zeigten, kann China zweifelsohne härter durchgreifen und macht sich das auch zunutze – ohne den Zwiespalt von individueller Freiheit und Bürgerrechten beachten zu müssen, der die CoV-Bekämpfung in Europa und den USA zum Balanceakt macht. „Verpflichtung ist das entscheidende Kriterium. Wenn es darum geht, ein Virus einzudämmen, haben die Chinesen den Code besser geknackt als wir – aber auf Kosten der individuellen Rechte und der Privatsphäre“, so Grünberg.

Leeres Wuhan im February 2020
Reuters
Wuhan während des Lockdowns im Frühjahr. Heute sind die Straßen wieder voller Leben.

Der Überwachungsstaat profitiert

China profitiere dabei unter anderem von der digitalen Überwachungsstrategie, die das Land bereits lange vor Ausbruch der CoV-Krise verfolgte. Diese geht weit über die engmaschige Kontrolle des Internets und ein eigenes, chinesisches „Onlineökosystem“ hinaus. Onlinekonten sind dort längst mit Klarnamen, Ausweis und Foto verknüpft, viele Services in der echten Welt hängen direkt an diesen Profilen. Gesichtserkennung und biometrische Scanner sind allgegenwärtig, langfristiges Ziel ist ein „Sozialkreditsystem“, das die Verhaltensweisen der Menschen aufzeichnet und sie dafür belohnt bzw. bestraft.

Seit dem Ausbruch der Pandemie hat sich das staatliche Datensammeln noch einmal vervielfacht. Zentral dabei sind „Health Code“-Apps, die Bewegungsprofile erstellen und den Gesundheitszustand ermitteln sollen. Die Apps weisen jeder Person einen QR-Code zu, der farblich in Grün, Orange und Rot kodiert ist. Nur wenn man grün – also mutmaßlich gesund – ist, darf man „Öffis“, Restaurants oder sogar Wohnungsblöcke betreten. Springt die App aufgrund eines ermittelten Konnex mit einer Infektion auf Gelb oder Rot, muss man in Quarantäne. Die Daten werden laut einem Bericht der „New York Times“ an viele Behörden verteilt – auch an die Polizei.

Abgleich der Gesundheitsdaten via Handy-App einer Reisenden in China
www.picturedesk.com/Greg Baker
Regelmäßiges Scannen des QR-Codes ist mittlerweile Alltag

Tests: Viele Ressourcen, viel Personal

Treten in China indes Fälle auf, wird mit großen Testreihen reagiert. Dass das Land weniger Probleme mit den Testkapazitäten hat, erklärt Grünberg mit Erfahrungen aus der Wirtschaft: „China ist gut darin, relativ schnell günstige, technische Lösungen hochzuskalieren. Das ist eine Mischung aus Human Ressource Management und Industriekapazität. Das Land hat in allem größere Mengen, auf die man zurückgreifen kann“. Das gilt auch für den gut ausstaffierten Parteiapparat, der bis auf Nachbarschaftskommitees durchstrukturiert ist. Im Frühjahr halfen diese Einheiten beim Abriegeln von Wohnblocks, nun setzen sie Regeln, Teststrategie und Quarantänen durch.

Massentest in Qingdao, China
Reuters/China Daily
Anstehen für den Massentest in Qingdao

Der Rückhalt in der Bevölkerung für diese Strategie sei tendenziell hoch – das liegt auch an der Situation im Westen: „Dass es in den USA und Europa so schlecht läuft, reflektiert breit zurück“, so Grünberg. „In China betrachtet man die Lage mit Unglaube“ – gerade, weil der Westen in vielerlei Hinsicht immer noch Vorbild sei. Es sei in dem kollektivistisch geprägten Land für viele „sehr schwer zu verstehen, wie man für individuelle Recht die Gesundheit anderer gefährden kann“.

Dazu komme die Propaganda der Parteiführung, welche die schlechte Lage „eiskalt ausnutzt“, so Grünberg. Dadurch entstehe auch eine Art von Nationalismus und verstärkte Unterstützung für das System. Für Widerständige gebe es in diesem System keinen Platz. Oder wie es ein Arzt aus dem Zhongnan-Krankenhaus in Wuhan gegenüber Arte ausdrückte: „Einerseits sind die Chinesen sehr gute Bürger. Und falls nicht, werden sie von anderen zu guten Bürgern gemacht.“