Erfinder des Musikinstruments Theremins Leon Theremin
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100 Jahre Theremin

Schaurigschönes von der Synthesizer-Mutter

Vor hundert Jahren hat Leon Theremin ein Instrument erfunden, das das elektronische Musikzeitalter einleitete. Der wunderbar schräge Sound lehrte die Zuschauer im frühen Hollywood-Kino das Gruseln und verpasste dem Pop der 1960er eine Portion fröhlicher Weirdness. Dass das Theremin heute ein Geheimtipp ist, liegt auch an der schwierigen Beherrschbarkeit: ein „Windmühlenkampf", so die Musikerin Dorit Chrysler im ORF.at-Interview.

Ein schlichter Holzkasten auf dünnen Beinen, aus dem zwei Antennen ragen: Zwischen klassischem Stehpult und früher Sci-Fi-Filmausstattung, so schaut das Theremin aus. Das seltsame Instrument ist wohl das einzige der Welt, das beim Spielen nicht berührt wird – rund um seine Antennen wabert nämlich ein elektromagnetisches Feld, dessen Schwingungen bei Annäherung Töne erzeugen. Das charakteristische, ätherische Jammern kann man nur mit viel Übung lenken: Weil konkrete Anhaltspunkte fehlen, sei das Theremin ein „fast unbeherrschbares Instrument“, sagt Chrysler.

Die Grazerin mit Wohnsitz in New York, ist eine, die es wissen muss: Chrysler gilt als eine der weltweit besten Spielerinnen des „Dinosauriers aller Synthesizer“, wie sie das Theremin nennt. Seit 2000 spielt die kürzlich als Komponistin der Fernsehserie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder" tätige Musikerin die Klangmaschine; letzte Woche veröffentlichte sie zum Jubiläum ein Musikvideo: Das Theremin trumpft da im Forschungszentrum CERN auf – „der Tempel der Wissenschaft“ und das Instrument würden perfekt zusammenpassen, so Chrysler.

Thereminspielerin Dorit Chrysler
Miriam Dalsgaard
Chrysler, eine der international bekanntesten Spielerinnen, gilt als „Theremin Queen" („Village Voice“)

Zurück geht das Theremin auf den sowjetischen Physiker Lew Sergejewitsch Termen (1896–1993) – ein Zufallsfund: Termen, der später unter dem Namen Leon Theremin bekannt wurde, war Mitarbeiter des Labors für Elektrische Oszillation bei Petersburg und hatte gerade an einem elektronischen Minen- und Metalldetektor gearbeitet, als er plötzlich auf einen geisterhaften Toneffekt stieß. Der Wissenschaftler, selbst ein diplomierter Cellist, erkannte das Potenzial des Kastens und stellte ihn am 5. August 1920 unter dem Namen „Ätherophon“ der Öffentlichkeit vor.

Hollywood-Grusel und „Good Vibrations“

Durchsetzen konnte sich die Vorgängerversion aller elektronischen Musikinstrumente aber nicht wirklich: Größere Verbreitung fand das Theremin allein im 50er-Jahre-Hollywood in Grusel-, Horror- und Science-Fiction-Filmen, die mit dem ätherisch-elektrischen Klang Horror, Grusel und Verrücktheiten unterlegten. Erste Versuche mit dem Theremin gab es bereits mit „King Kong und die weiße Frau“ (1933) und „Frankensteins Braut“ (1935), bis in Hitchcocks „Ich kämpfe um dich“ (1945) das Gänsehaut auslösende Potenzial vollends ausgeschöpft wurde. Später folgten etwa der Sci-Fi-Klassiker „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ und „Gefahr aus dem Weltall“ (1953).

In den 1960ern peppte der Sound des Theremins schließlich den Welthit der Beach Boys, „Good Vibrations“, auf, Led Zepplin ließ es in „Whole Lotta Love“ sirenenartig aufheulen. Auch andere bekannte Musiker wie Portishead, Goldfrapp und Björk setzten vorübergehend auf den Sound – bei anderen, beispielsweise Radiohead und Air, klingt es nur danach, so Chrysler: Ihre Synthesizer würden die Effekte des Theremins nur imitieren, weil es einfach so schwierig zu spielen sei.

„Prophet der künftigen Musik“

Eigentlich war dem Theremin eine viel größere Zukunft vorausgesagt worden: 1922, zwei Jahre nach der ersten öffentlichen Vorführung, wurde Leon Theremin von Lenin in den Kreml gebeten, um ihm die Wundermaschine zu präsentieren. Lenin soll höchst begeistert gewesen sein. Theremin ging anschließend mit seinem Instrument auf eine viel beachtete Welttournee, von Moskau über Frankfurt bis in die USA.

1929 ließ er sich, von der Presse als „Prophet der künftigen Musik“ bezeichnet, schließlich in New York nieder, wo das Theremin erstmals in der Masse produziert wurde: Doch dann kam der Börsencrash, und das Theremin verschwand genauso aus der Aufmerksamkeit wie sein umtriebiger Erfinder, der sich zwischenzeitlich schon einem fotosensorischen Tasteninstrument und einer Art tanzbarem Ganzkörper-Theremin gewidmet hatte.

Der Hintergrund: Theremin war 1938 nach Russland repatriiert worden und wegen angeblicher antisowjetischer Aktivitäten im Gulag gelandet, wo er – Detail am Rande – unter anderem eine Abhörwanze erfand. Erst in den 1990ern, mit Mitte 90, wurde er für sein Theremin wieder international gefeiert.

„Hand anlegen“ im Technischen Museum Wien

Was heute an dem Instrument fasziniert? „Absolut ungewöhnliche Tonerzeugung, der wirklich sehr eigenständige Klang und die weite Bandbreite an Dynamik“, meint Chyrsler dazu. Auch wenn man mit dem Theremin vor allem spacige Sounds in Verbindung bringe, möglich sei alles, von streng klassisch bis experimentell, von „Ambient“ über die Jazz-Spielart Exotica bis eben hin zum Pop.

Wer das Instrument übrigens selbst ausprobieren will: Chrysler gibt regelmäßig Workshops. Für erste Sounds reicht aber auch ein Besuch im Technischen Museum Wien. Bei der „Herbstschnitzeljagd“ in den Herbstferien schnitzelt man auch beim Theremin, Erwachsene dürfen bei den Musikführungen „Musik liegt in der Luft“ „Hand anlegen“.