Bundeskanzler Sebastian Kurz
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Kurz appelliert

„Die Lage ist ernst“

Angesichts täglich neuer Coronavirus-Höchstzahlen hat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Sonntag an die Bevölkerung appelliert, „zusammenzuhalten, um die Ansteckungszahlen niedrig zu halten“. Es „liegt an uns allen“, einen Lockdown zu verhindern, indem soziale Kontakte reduziert, auf Feiern und große private Zusammenkünfte verzichtet wird, sagte er in einem Facebook-Video mit dem Titel „Die Lage in Österreich ist ernst“.

Montagvormittag berät die Bundesregierung mit den Landeshauptleuten in einer Videokonferenz über weitere Maßnahmen angesichts der täglichen Zuwächse an Coronavirus-Infizierten. Am Sonntag stimmte Kurz die Bevölkerung auf einen „herausfordernden Herbst und Winter“ ein, eine „extrem schwierige Zeit“ mit „Einschränkungen, notwendigen Maßnahmen und Verzicht“. Aber er bekräftigte seine Einschätzung, dass es im Sommer nächsten Jahres einen Impfstoff und damit die Rückkehr zur Normalität geben sollte.

Kurz sprach die merkbare „Corona-Müdigkeit“ an, die zu immer mehr Verschwörungstheorien führe, bis hin zu offenen Aufrufen, Maßnahmen nicht einzuhalten. Er bestätigte, dass die Pandemie derzeit mit rund 1.000 bis 1.500 täglich neu Infizierten noch kein Problem für die Intensivmedizin sei. Aber das Virus wachse exponentiell, die Zahlen verdoppeln sich in drei Wochen.

Gelinge es nicht, das einzubremsen, habe Österreich im Dezember täglich 6.000 Neuinfizierte. Das sei „alles andere als unrealistisch“, Tschechien habe diese Situation bereits heute. Mit der beginnenden Grippewelle würde man dann schrittweise an die Grenzen der intensivmedizinischen Kapazitäten stoßen. Dieses Wochenende ist erneut von Höchstwerten geprägt. Die AGES meldete am Sonntag 18.601 aktive Fälle (Stand 14.00 Uhr) – mehr dazu in ORF.at/corona.

„Hohe Infektionszahlen, hoher wirtschaftlicher Schaden“

„Das Ziel muss sein, das zu verhindern“ – durch die Reduktion der sozialen Kontakte und das Tragen von Masken. Damit könnte ein zweiter Lockdown verhindert werden, verwies Kurz auf „lockdownähnliche Zustände“ bereits jetzt in vielen Ländern. Einschränkungen bei Events und Partys würden natürlich vielen Unternehmen schaden. Aber mit einem zweiten Lockdown wäre der wirtschaftliche Schaden wesentlich größer, und es wären „deutlich mehr Arbeitsplätze bedroht“.

CoV-Zahlen steigen weiter an

Im ländlichen Raum häufen sich die Infektionsfälle, die Politik reagiert darauf.

„Je höher die Infektionszahlen, desto größer ist der wirtschaftliche Schaden in einem Land“, stellte Kurz fest, unter Hinweis auf die hohe Tourismusabhängigkeit Österreichs und den hohen Schaden durch Reisewarnungen. Das Coronavirus „vernichtet unzählige Arbeitsplätze und richtet für viele Menschen sehr viel Leid an“. Eine einfache Antwort, schnelle Lösungen durch einzelne Maßnahmen gebe es nicht. Aber: „Wir können, müssen und werden diese Zeit gemeinsam in Österreich überstehen“, betonte Kurz.

„Rücksicht nehmen“

Klar trat der Kanzler auch der Haltung entgegen, es würde reichen, die älteren Menschen wegzusperren. „So eine Gesellschaft wollen wir nicht sein“, sagte er, „ältere Menschen und Risikogruppen haben es verdient, dass wir auf sie Rücksicht nehmen“. Zudem würde das nicht funktionieren, müssten doch ältere Menschen auch in Pflegeheimen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versorgt werden – und die Mehrzahl wohne nicht in Heimen, sondern „mitten in der Gesellschaft“, oft in Familien.

Indes drängte der Pensionistenverband am Sonntag in einer Aussendung darauf, für umfassenden Schutz der Älteren zu sorgen, aber kein Besuchsverbot in Pflegeheimen zu erteilen. Peter Kostelka, Präsident vom Pensionistenverband erinnerte an das Frühjahr: Die Schutzausrüstung sei anfangs völlig unzureichend gewesen, die folgende Isolation für die Bewohnerinnen und Bewohner unerträglich. Daraus sollten nun die richtigen Schlüsse gezogen worden sein.

Pensionistenverband: „Kein Besuchsverbot mehr“

Der Pensionistenverband schlägt eine große Ausweitung von zuverlässigen Schnelltests für Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor. „Ziel muss es sein, dass man echte Sicherheit darüber bekommt, dass in ein Pflegeheim nur reinkommt, wer wirklich Corona-frei ist“, so Kostelka. Das bedeutet laut Pensionistenverband eine „priorisierte, schnelle und 100-prozentige Testung aller im Umfeld einer derartigen Einrichtung“.

Auch das Besuchsmanagement müsse „Corona-sicher“ gestaltet werden. Dabei gehe es um Terminvereinbarungen, strenge Hygienemaßnahmen und eine effiziente Teststrategie für Besucherinnen und Besucher. „Was nicht geschehen darf ist, dass man wieder ein Besuchsverbot verhängt. Denn die psycho-sozialen Folgen sind ähnlich dramatisch wie die gesundheitlichen“, so der Chef des Pensionistenverbands.

„Noch stärker an Hygienevorschriften halten“

Kurz hatte schon tags zuvor darauf verwiesen, dass man nur durch die Reduktion von sozialen Kontakten, „was natürlich von uns allen Verzicht bedeutet“, den Anstieg der Infektionszahlen stoppen könne. Zusätzlich müsse man sich „noch stärker an die Hygienevorschriften halten“, schließlich würden „die Bundesländer in Österreich mit stark steigenden Neuinfektionen mehr“ werden, schrieb Kurz am Samstag auf Facebook.

Am Samstag sprach auch schon Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) angesichts der hohen Zahl der Neuinfektionen von einem „Alarmsignal“ und verwies darauf, dass nun „Eigenverantwortung und Rücksicht auf Mitmenschen durch Reduktion der persönlichen Kontakte“ oberste Prämisse sein müsse. Dazu werden am Wochenende auch die österreichweiten Kontrollen der Sperrstunde in der Gastronomie fortgesetzt – in der Nacht auf Samstag gab es 41 Anzeigen, hieß es.

Regierung stimmt auf neue Schritte ein

Bei der CoV-Strategie wird derzeit noch auf regionale Maßnahmen gesetzt – das könnte sich aber demnächst ändern: Am Freitag stellten Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Kurz neben landesspezifischen weitere bundesweite Verschärfungen in Aussicht. Nach Beratungen mit den Bundesländern am Montag könnten diese bekanntgegeben werden.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober
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Der befürchtete starke Zuwachs sei Wirklichkeit geworden, so Anschober

Bei der Videokonferenz sollen zwischen Kurz, Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) und den Landeshauptleuten die aktuelle Infektionslage und weitere Maßnahmen diskutiert werden.

Anschober verweist auf drei Indikatoren

Gesundheitsminister Anschober warnte am Freitag schon vor einer Zuspitzung der Lage. Besonders besorgt sei er wegen der Zunahme der Spitalspatienten, der Infektionsfälle in einigen Altersheimen sowie wegen des Steigens des Durchschnittsalters bei den positiv Getesteten. In allen betroffenen Bezirken mit höherem Risiko zeige sich eine immer stärkere Verschiebung der Ansteckungen in den privaten Bereich hin zu kleinen Feiern und Partys, zu kleinen Veranstaltungen und in Familien, so Anschober.

„Wenn es uns gelingt, die Peaks in diesen Regionen abzufangen und zu verringern, dann ist das bereits der halbe Erfolg für die Entwicklung in Österreich." Der befürchtete starke Zuwachs bei stark fallenden Temperaturen ist damit Wirklichkeit geworden“, sagte Anschober und forderte ebenfalls wieder mehr Gemeinsamkeit und Zusammenhalt auch in Österreich.

Kritik von NEOS und FPÖ

NEOS kritisierte unterdessen die Regierung generell und Kurz speziell. Die Ankündigung einer Entscheidung sorge nur für Verunsicherung. Die Regierung müsse offenlegen, was sie vorhabe und auf welcher Datenbasis sie Entscheidungen treffe, so Generalsekretär Nikola Donig. Die Lage in den Spitälern rechtfertige keine „überzogenen“ Maßnahmen. Donig monierte zudem, das Contact-Tracing funktioniere teils immer noch nicht.

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl wandte sich gegen jegliche strengere Schutzmaßnahmen und forderte einmal mehr einen „Strategiewechsel nach schwedischem Vorbild“. Kickl hielt Kurz vor, „Österreich skrupellos in den nächsten Lockdown“ zu führen und den Bürgern die Verantwortung dafür zuschieben zu wollen.