Luftansicht des Terminal Tegel
picturedesk.com/euroluftbild.de/Robert Grahn
BER statt TXL

Abschied vom Berliner Sechseck

Für viele Berlinerinnen und Berliner ist es ein Ende mit Wehmut – vielleicht auch, weil es mit so vielen Jahren Verspätung passiert und jahrzehntelange Gewohnheiten beendet: Der Flughafen Berlin-Tegel schließt am Sonntag für immer. Dabei wurde er weit länger am Laufen gehalten als geplant – aufgrund der beispiellosen Pannenserie beim Bau des neuen Flughafens. Doch geht mit dem Aus für Tegel ein Stück Nachkriegsgeschichte zu Ende.

Zwar galt der Flughafen Berlin-Tegel „Otto-Lilienthal“ als nicht mehr zeitgemäß, was nicht zuletzt an der Dimension lag – für das Passagieraufkommen war er einfach viel zu klein. Die eng konzipierte Anlage bot wenig Platz für Passagierinnen und Passagiere in Infrastrukturen wie Check-in- und Wartebereichen sowie Gastronomie und Geschäften. In Airport-Rankings war Berlin zu keiner Zeit zu finden, doch galt der Airport Tegel in mancherlei Hinsicht als Gewinn.

Insbesondere die kurzen Wege waren ein beliebtes Komfortmerkmal, über das viele modernere Flughäfen nicht verfügen. Trotz der Nähe zum Zentrum gab es aber ein Manko in Sachen Verkehrsanschluss: So verfügt der Flughafen über keinerlei Anbindung an das Schienennetz und somit keine Anbindung an die U-, S- oder Straßenbahn. Nur der TXL-Bus pendelt – und das auf einer Strecke, die oft verkehrsüberlastet ist. Gerade für Orte, an denen Zeit eine Rolle spielt, nicht ideal.

Terminal Tegel
APA/AFP/John Macdougall
Der Flughafen Berlin-Tegel „Otto-Lilienthal“ – viele Berlinerinnen und Berliner trauern dem Flughafen nach

Das Verkehrsaufkommen hatte sich seit der Inbetriebnahme stark verändert: Als in Tegel 1948 kurz nach Beginn der Blockade Westberlins durch die Sowjetunion in 90 Tagen ein Flugplatz gebaut wurde, war nicht abzusehen, dass er für die Menschen im eingemauerten Westteil der Stadt zum Tor zur Welt würde. Das war das Fundament dessen, was den Airport zu etwas Besonderem machte. Auch hätte man es wohl für undenkbar gehalten, dass Tegel bis ins Jahr 2020 wichtigster Flughafen der 3,7-Millionen-Metropole sein wird.

„Tegel war ein echtes Wunder“

Dabei war faszinierend, wie Tegel das zuletzt immer höhere Passagieraufkommen schultern konnte: Denn im Zuge des rasant steigenden Flugverkehrs und des Konkurrenzkampfes der Billigflieger geriet der Airport an die Grenzen seiner Kapazität. „Tegel war ein echtes Wunder“, sagte Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister im Interview mit Reuters. Denn der Airport fertigte 2019 rund 24 Millionen Passagiere ab und damit das Zweieinhalbfache der eigentlichen Kapazität.

„Tegel ist viel zu klein geworden und entspricht nicht mehr den Standards eines modernen Flughafens“, sagte Engelbert Lütke Daldrup, Chef der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, unlängst vor Journalisten. Auch wenn er emotionale Erinnerungen an den Flughafen Tegel habe, sei die Kapazität zum Problem geworden: „Wer mal mit 1.500 Personen im Terminal C morgens um sechs an der Security angestanden hat, weiß, wovon ich spreche.“

Terminal Tegel
Reuters/Fabrizio Bensch
Enge Gänge, wenig Platz – in der Zeit vor der Pandemie wurde es hier oft ziemlich eng

Charme durch Form

Dabei verlieh die Form dem Airport auch zu einem guten Teil seinen Charme: Denn die Architekten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg verpassten dem Airport mit dem berühmten Hexagon-Neubau 1974 das bis heute so markante Aussehen. Ursprünglich waren sogar zwei Sechsecke geplant, umgesetzt wurde das nie. Bereits davor konnte die Anlage schon eine Besonderheit vorweisen, denn bei der Errichtung nach dem Krieg entstand die damals längste Start- und Landebahn Europas.

Bemerkenswert ist auch, dass Frankreich vom Anfang bis zum Ende eine Rolle spielt: War der Flughafen zunächst vor allem von der französischen Besatzungsmacht genutzt worden, begann im Jänner 1960 mit einem Air-France-Flug die Ära der zivilen Luftfahrt in Tegel. Und 60 Jahre später schließt sich der Kreis, so wird es wiederum die Air France sein, die den Airport mit dem letzten Flug verlässt.

Die Berliner hätten TXL gerne noch länger behalten. Im September 2017 stimmen 56 Prozent für den Weiterbetrieb, aber die Berliner Landesregierung ließ sich vom nicht bindenden Volksentscheid in ihrer Politik nicht beirren. Kritiker plädierten zuletzt zwar noch dafür, wegen knapper Kapazitäten auf dem neuen Hauptstadtflughafen Tegel noch weiterzubetreiben. Doch nahm die Pandemie diesem Argument Wind aus den Segeln – schließlich wird es wohl noch dauern, bis Flughäfen wieder auf Vorkrisenniveau ausgelastet sind.

Kürzel soll bleiben

Immerhin das Kürzel TXL soll trotz der Schließung überleben, mit Flughäfen soll es aber nichts mehr zu tun haben. Künftig soll es für ein Projekt stehen, das erst noch entstehen muss: ein neues Stadtviertel mit über 5.000 Wohnungen und Platz für mehr als 10.000 Menschen, direkt neben einem Forschungs- und Industriepark. Die für die Entwicklung verantwortliche landeseigene Tegel Projekt GmbH will dort Gründer, Studierende, Investoren, Industrielle und Wissenschaftler zusammenbringen.

Doch bis es in diese Richtung geht, muss der Airport ein halbes Jahr lang betriebsbereit bleiben, die Tegel Projekt GmbH übernimmt das Gelände erst im Sommer 2021. Noch im selben Jahr sollen die ersten Arbeiten beginnen. GmbH-Geschäftsführer Philipp Bouteiller rechnet für 2026 mit den ersten Bewohnerinnen und Bewohnern – und mit 20 bis 30 Jahren für das gesamte Projekt. Falls sich die Bauzeit nicht unerwartet verlängert.