Eine Grafik zeigt den Globalen Gendergap-Index
Hanser Verlag
„Der Frauenatlas“

Ungleichheit in 164 Karten

Wie leben Frauen weltweit? Wie groß ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern? Kompakte Antworten darauf gibt Joni Seagers „Der Frauenatlas“, ein randvolles Infografikbuch, das Fakten schafft und alle Zweifel an dem, was James Brown einst als „It’s a Man’s World“ besungen hat, entkräftet.

Von Femiziden über Bildungspolitik bis hin zu Absatzmärkten für Kosmetik – die nüchternen Grafiken mit hohem aufklärerischem Gehalt erscheinen zum passenden Zeitpunkt: Diesen Donnerstag begeht Österreich den Equal Pay Day, das ist jener Tag, ab dem Frauen statistisch gesehen gratis arbeiten.

Das heißt: Österreichs Frauen arbeiten im Verhältnis zu den Männern 71 Tage „gratis“. Berechnungsgrundlage dafür ist die durchschnittliche Einkommensdifferenz in Österreich von 19,3 Prozent für den Stundenlohn. Nimmt man das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen, beträgt der Einkommensunterschied sogar knapp 37 Prozent – bedingt nicht zuletzt durch den hohen Anteil an Teilzeitarbeit. Und das, obwohl gerade Frauen in systemerhaltenden Berufen arbeiten, wie Arbeiterkammer und ÖGB in ihrer Kampagne zum Equal Pay Day monieren.

Eine Grafik zeigt den Globalen Gendergap-Index
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Laut Berechnungen des Weltwirtschaftsforums wird der Gender-Pay-Gap noch weitere 217 Jahren bestehen bleiben

Die klaffende Lücke zwischen den Einkommen hat sich in den letzten Jahren nach und nach geschlossen. Dass Österreich im Ländervergleich aber kein Vorzeigeland ist, zeigt nun auch ein Blick auf Seagers gerade erschienenen „Frauenatlas“: International ist man im mittleren Drittel, gleichauf mit Ländern wie Tansania oder Mexiko. Der Gender-Pay-Gap werde weltweit „wohl weitere 217 Jahre bestehen bleiben“, notiert der Atlas nüchtern. Immer vorausgesetzt, es gibt keine Rückschläge.

Karten schaffen Fakten

Karten schaffen Fakten. Sie zeigen Muster, Kontinuitäten und Gegensätze auf, liefern im konkreten Fall Grundlagen für das Reden über Ungleichheit – und Beweise, dass etwa Frauenquoten etwas bewirken, zum Beispiel die 26-prozentige Steigerung des Frauenanteils im belgischen Parlament. Die Vorzüge von Infografiken haben mittlerweile viele erkannt, seit Otto Neurath mit seiner Bildstatistik in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Zeichen zur Wissensdemokratisierung und zur Aufklärung der Arbeiterschaft setzte. Der Frauenatlas ist in dieser Hinsicht nicht neu an Bord, vielmehr eine Institution.

Eine Grafik zeigt den weltweiten gleichberechtigten Erbanteil von Frauen
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Erbrecht: In mehr als 35 Ländern gewährt das Rechtssystem Frauen im Todesfall des Ehepartners nicht die gleichen Rechte.

Seit 1987 gibt Seager – in der Selbstbezeichnung „feministische Geografin“, im Beruf Professorin für Global Studies an der Bentley University in Boston und Beraterin der Vereinten Nationen – den Atlas heraus. 22 Jahre nach seiner Erstübersetzung erscheint er jetzt wieder auf Deutsch: Eine Rundumschau quer durch alle Lebensbereiche, von Gesundheit über Arbeit, Körperpolitik und Besitz bis hin zu Macht und Armut.

„Frauen haben Angst, dass Männer sie töten könnten“

„Männer haben Angst, dass Frauen über sie lachen könnten. Frauen haben Angst, dass Männer sie töten könnten“, zitiert Seager die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood. Die Statistiken sind niederschmetternd: In Japan wird im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet; in Südafrika werden circa 40 Prozent aller Frauen zu Lebzeiten vergewaltigt. In Bangladesch erfahren 65 Prozent häusliche Gewalt, in Österreich sind es immer noch zwölf Prozent.

Buchhinweis

Joni Seager: Der Frauenatlas. Ungleichheit verstehen. 164 Infografiken und Karten. Hanser Verlag, 208 Seiten, 22,70 Euro.

Auch wenn in vielen Fällen ein Nord-Süd-Gefälle sichtbar wird, liefert der Atlas Gegenbeweise, die die Richtigkeit herkömmlicher Unterscheidungen zwischen „entwickelten“ und „unterentwickelten“ Ländern infrage stellen: In Südkorea brauchen verheiratete Frauen die Genehmigung des Ehemanns für eine Abtreibung. Und: Die USA hat die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau nicht ratifiziert – und tritt damit an die Seite des Iran, des Sudan und von Somalia.

Eine Grafik zeigt den weltweiten Frauenanteil am funktionalen Analphabetismus
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Der Gendergap im Bildungsbereich soll sich Berechnungen zufolge schon 2030 schließen

Standardwerk zur weltweiten Ungleichheit

Wo man hingegen nach mehr als 30 Jahren Bestehenszeit positive Nachrichten zu vermelden hat, ist der Bildungsbereich: Konnten in Indien 1988 nur 34 Prozent der Frauen lesen und schreiben, sind es 2015 schon 63 Prozent. Der Trend zeigt sich auch in anderen Ländern, hier soll sich laut Weltforum-Berechnung der Gendergap schon 2030 schließen. Interessantes Detail am Rande: Eine Rolle spielen da auch „Right to Pee“-Bewegungen, die sich für gute Sanitäreinrichtungen in der Schule einsetzen.

„Wir haben Hinweise darauf, dass viele Mädchen die Schule abbrechen, wenn sie zum ersten Mal menstruieren, weil sie sich schämen und keinen Zugang zu sauberen und sicheren Toiletten haben“, so Seager. Länder, die entsprechend gehandelt haben, würden einen Anstieg der Schülerinnenzahlen erleben.

Der Frauenatlas ist so etwas wie das Standardwerk zum Verständnis weltweiter Ungleichheit – nicht zuletzt für jene, die es noch immer nicht glauben wollen. Die beeindruckende Fülle an Datenmaterial ist durch ein kompaktes Quellenverzeichnis belegt. Wer noch mehr in die Materie einsteigen will, der kann sich durch die zahlreichen zitierten Studien klicken.