Das Schaufenster trägt die Aufschrift „Fiaker Cafe-Restaurant“. Davor sind gut gelaunte Köche und Kellner zum Gruppenfoto aufgestellt. Wären nicht zwei junge Chinesen darunter, niemand käme auf die Idee, dass dieses Bild in Asien entstanden sein könnte. Das „Fiaker“ zählte 1939 zu den Toplokalen Schanghais. Dort wurden österreichische Spezialitäten serviert, so auch die „beste Sachertorte außerhalb von Wien“.
Sein Betreiber Hans Jabloner war in Wien noch Theaterimpresario und Sekretär der Kabarettisten Karl Farkas und Fritz Grünbaum gewesen. Als sein Name im Mai 1938 in einem antisemitischen Schmähartikel des „Völkischen Beobachters“ zu lesen war, ergriff der 34-Jährige die Flucht. Jabloner schiffte sich in Genua ein und erreichte über Bombay China.
Vom Schiff ins Heim
Wie die Eltern des Juristen Clemens Jabloner nach China kamen und was sie dort erlebten, ist nur eine von 22 Familiengeschichten, die Daniela Pscheiden und Danielle Spera in ihrer Schau erzählen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gab es kaum Länder, die Jüdinnen und Juden ohne Visa aufnahmen. Das „Paris des Ostens“ am Huangpu-Fluss wurde zu einem der letzten Zufluchtsorte vor dem Holocaust.
„Wir wären so gerne nach England oder in die Tschechei, aber dann wurde es doch das so furchtbar ungewisse Schanghai“, erzählt der 1931 in Hollabrunn geborene Hans Ranzenhofer in einem der Ausstellungsvideos. Die Schau zeigt sein erhaltenes Einreiseformular samt Foto, das der Achtjährige mit kindlicher Schrift ausgefüllt hat.
Ein Stockbett und ein Koffer
Nachts sehnte sich der kleine Hans verzweifelt nach seinen Eltern, denn Männer, Kinder und Frauen wurden in den provisorischen Heimen getrennt untergebracht. Mehr als Stockbetten gab es nicht, die Koffer dienten als Sessel und Tische. In Schanghai lebten vor allem aus dem Irak stammende Juden, „Baghadi“. Gemeinsam mit den Hilfsvereinen wurden sie zu den Wohltätern der Neuankömmlinge, die kaum etwas aus Österreich mitnehmen konnten.
Das feuchte Klima setzte den Europäern ebenso zu wie die schlechte Hygiene. Es gab keine Kanalisation; die Toilette verrichtete man auf „honeypots“. Die primitiven Unterkünfte wurden von Insekten und Schimmel heimgesucht. Zu den Geflüchteten zählten zwar viele Ärzte, aber mit Tropenkrankheiten kannten sie sich wenig aus.
Tafelspitz in Hongkew
Unter diesen schwierigen Umständen ist es bewundernswert, wie die Exilanten innerhalb weniger Jahre eine Art Wiener Leben zum Blühen brachten. Das während des chinesisch-japanischen Kriegs bombardierte Viertel Hongkew wurde aufgrund seiner niedrigen Mieten zum Bezirk der rund 18.000 Juden aus Österreich und Deutschland. Dort schmeckte die Melange wie in der Heimat, und Veltliner begleitete Konzert- und Kabarettauftritte.
Oskar Kovacs war vor dem Krieg Sänger am Johann-Strauß-Theater gewesen. An der Chusan Road eröffnete er das beliebte Lokal „Würsteltenor“. Sogar ein „Weißes Rössl“ gab es, wo Tafelspitz und Marillenknödel serviert wurden. Auch reichere Exilanten, die sich ein Leben in den französisch oder britisch besetzten Stadtteilen leisten konnten, suchten die heimelige Atmosphäre dort.
Ausstellungshinweis
„Die Wiener in China. Fluchtpunkt Shanghai“. Von 21. Oktober bis 18. April, Jüdisches Museum Wien, täglich außer samstags 10.00 bis 18.00 Uhr. Ausstellungskatalog in Deutsch und Englisch, 260 Seiten, 29,90 Euro.
Das Herz der Ausstellung bildet das Kapitel über das „Kleine Wien“. Neben Anzeigen für österreichische Hausmannskost und Mehlspeisen, Konzerte und Schrammelmusik zeigt die Ausstellung auch Inserate, in denen die Qualität von „Wiener Schneidern“ oder „Vienna Shoes“ beworben wird. In Schanghai wurde „Wienerisch“ zum Gütesiegel für Handwerkskunst.
Zu den rührendsten Exponaten der Schau zählen ein himmelblaues Bubenhemdchen und ein Foto von dessen Träger Robert Brande im Kindergarten. Während die Eltern für eine neue Existenz schufteten, verblieb der Nachwuchs häufig bei Kinderfrauen, den „Ahmas“, an deren liebevolle Fürsorge sich viele Vertriebene bis ins hohe Alter erinnerten.
Der lange Arm der Nazis
Bereits 1943 holte die nationalsozialistische Verfolgung auch die „Schanghailänder“ ein. Unter der Besetzung der Japaner, die mit Hitler-Deutschland verbündet waren, wurde ein Ghetto eingerichtet. Alle Juden mussten in die 2,5 Quadratkilometer „Designated Area“ im Stadtviertel Hongkew übersiedeln und durften diese nur noch mit Passierschein verlassen.
Sendungshinweis
Am Samstag, dem 7. November, um 20.15 Uhr zeigt ORF III anlässlich der Ausstellung die Dokumentation „Flucht vor Hitler – Die Wiener in China“
Die Japaner herrschten zwar mit eiserner Hand über Schanghai, aber sie kamen nicht dem Begehr Berlins nach, die jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu deportieren und zu töten. Lebensmittelmarken verweisen auf die schlechte Versorgungslage von damals und Sterbezettel bescheinigen Mangelernährung als Grund für Kindstod.
Frostige Heimkehr
Ein zwiespältiges Finale findet die Schau mit der Rückkehr von China nach Österreich. Neben Wohnungs- und Versorgungsnot, Kämpfen um Restitution und der Trauer über die ermordeten Verwandten und Freunde mussten die Heimkehrer auch noch viel Antisemitismus ertragen. Ein Foto zeigt jedoch die freudigen Gesichter von einigen der 900 Passagiere, die im Winter 1947 mit dem Schiff „Marine Falcon“ Neapel erreichten.
Diese Euphorie legte sich schnell, als sie trotz eisiger Kälte ihre fünftägige Fahrt nach Österreich in Viehwaggons
ertragen mussten. Auf dem Bahnhof begrüßte die durchgefrorenen Heimkehrer ein weißhaariger Herr. Dass es sich um Wiens Bürgermeister Theodor Körner handelte, erfuhren die meisten „Schanghailänder“ erst später.