Nigerianische Polizisten verhaften einen Demonstrant in Lagos
AP/Sunday Alamba
Nigeria

Polizeigewalt und Hoffnung auf Reformen

Die anhaltenden Proteste gegen exzessive Polizeigewalt und eine mittlerweile aufgelöste Sondereinheit in Nigeria haben sich mittlerweile zu Protesten gegen die Regierung und für sozialen Fortschritt ausgeweitet. Die Hoffnung auf Reformen ist groß. Inzwischen fordern die Demonstranten auch eine weitrechende Polizeireform in ihrem Land – offenbar sehr zum Missfallen der Polizei.

In der Nacht auf Mittwoch kam es offenbar zu einem neuen Höhepunkt an Polizeigewalt, wie es von Amnesty International mit Hinweis auf offiziell nicht bestätigte Berichte hieß. Seit Anfang des Monats waren zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um die Auflösung der Spezialeinheit der Polizei, der Special Anti-Robbery Squad (SARS), zu fordern.

Am Sonntag vor einer Woche gab die nigerianische Regierung schließlich die Auflösung der Sondereinheit bekannt. Die Polizei erklärte, Vorwürfe von „Straftaten gegen Bürger“ würden mit Hilfe von Menschenrechtlern untersucht und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Ein Bericht von Amnesty International im Juni führte mehr als 80 Fälle von Folter, Misshandlung und außergerichtlichen Hinrichtungen bzw. Mord auf, die zwischen Jänner 2017 und Mai dieses Jahres von Mitgliedern der Polizeieinheit verübt worden sein sollen.

Nigerianische Polizei trifft auf Demonstranten
Reuters
Die nigerianische Polizei bei einem ihrer Einsätze gegen Demonstranten

Video zeigt, wie Polizist Mann tötet

Ausgelöst worden waren die Proteste durch ein in Sozialen Netzwerken verbreitetes Video, das zeigt, wie ein Beamte der SARS einen jungen Mann tötet. Unter dem Hashtag #EndSARS verbreiteten sich die Proteste schnell international und führten auch im Ausland zu Protestkundgebungen.

Unterstützt werden die Proteste auch durch Exil-Nigerianer sowie von prominenten Musikschaffenden und Schauspielern und Schauspielerinnen. Rihanna, Beyonce und das Model Naomi Campell etwa riefen in Sozialen Netzwerken zu einem Ende der Gewalt auf.

Demonstranten in Nigeria
APA/AFP/Kola Sulaimon
Die Lage in Nigeria ist angespannt

Junge fordern Zukunftsperspektive

Musikstar Rihanna schrieb auf Twitter, es sei unerträglich, das Geschehen in Nigeria zu beobachten. „Es ist so ein Betrug an den Bürgern, dass dieselben Leute, die sie schützen sollen, nun diejenigen sind, vor denen wir uns am meisten fürchten müssen, ermordet zu werden.“

Nach der Auflösung der Spezialeinheit wandelten sich die Proteste. Zuletzt gingen die Menschen vermehrt gegen die Regierung auf die Straßen. Die vor allem jungen Demonstranten fordern sozialen Fortschritt, mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne. In Nigeria ist die Jugendarbeitslosigkeit massiv, viele Menschen leben in extremer Armut.

Neuer Höhepunkt an Polizeigewalt

In der Nacht auf Mittwoch soll es dann schließlich zu einem neuen Höhepunkt der exzessiven Polizeigewalt gekommen sein. In offiziell unbestätigten Berichten gab es laut Amnesty International Hinweise auf zahlreiche Tote und Verletzte bei einem Polizeieinsatz in der Metropole Lagos.

„Amnesty International hat glaubwürdige, aber verstörende Hinweise auf exzessive Gewaltanwendung erhalten, die zum Tode von Demonstranten an der Lekki-Mautstelle in Lagos führten“, schrieb die Menschenrechtsorganisation im Kurznachrichtendienst Twitter. Sie erinnerte die Behörden daran, dass tödliche Gewaltanwendung der Sicherheitsbehörden nur in wenigen Extremfällen erlaubt sei.

Gouverneur spricht von 25 Verletzten

Die Provinzregierung bestätigte Hinweise auf eine Schießerei und kündigte eine Untersuchung der Vorgänge an. Bei den Protesten wurden 25 Menschen verletzt, wie der Gouverneur des Bundesstaates Lagos, Babajide Sanwo-Olu, sagte. Anders als von Augenzeugen in Sozialen Netzwerken berichtet, betonte er, es habe aber keine Toten gegeben.

„Es gab Berichte über Schüsse“, berichtete allerdings ein Sprecher des gleichnamigen Bundesstaates. In Sozialen Netzwerken gab es zudem Berichte, dass die Polizei das Feuer auf die Menge eröffnet habe. Sanwo-Olu sprach von anhaltenden gewaltsamen Protesten, bei denen Feuer gelegt worden sei. In unbestätigten Berichten war von wütenden Jugendlichen die Rede, die am Mittwoch Autos und Regierungsgebäude in Brand gesetzt hätten.

Rauchsäule über Lagos
Reuters
Die Rauchwolke in der Region Lagos ist weithin sichtbar

24-stündige Ausgangssperre am Dienstag verhängt

Mitten im Zentrum von Lagos war auch der ECO Green Bus des österreichisch-afrikanischen Entwicklungsprojektes von ADA und ETEFA GmbH auf dem Parkplatz des Lagos Oriental Hotels geparkt. Der Bus konnte laut Angaben der Firma nach einer Präsentation Anfang der vergangenen Woche das Hotelareal aufgrund der anhaltenden Proteste und Straßensperren nicht mehr verlassen. ECO Green Bus soll den öffentlichen Verkehr in Afrika revolutionieren und einen neuen Standard etablieren. Das Hotel des früheren Gouverneurs Bola Tinubu war Ziel eines Angriffs und sollte offenbar in Brand gesteckt werden, hieß es von der Firma. Jugendliche sollen vermutet haben, dass Tinubu angeordnet habe, das Licht an der Mautstation kurz vor den Schüssen abgedreht zu haben.

Die Behörden hatten am Dienstag eine 24-stündige Ausgangssperre in der größten Stadt des westafrikanischen Staates und deren Umland verhängt. Nach bisherigen Erkenntnissen hatten sich Demonstranten an einer seit Tagen besetzten Mautstelle geweigert, sie zu verlassen und die Sperrstunde einzuhalten.

AU verurteilt „aufs Schärfste“ die Gewalt

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warnte vor Kurzem bereits, die Polizei reagiere jetzt mit neuer Gewalt auf Demonstranten, die gegen Polizeigewalt auf die Straße gingen. Sie forderte am Mittwoch den sofortigen Abzug des Militärs von den Straßen und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Die ehemalige US-Außenministerin Hilary Clinton und der frühere US-Vizepräsident Joe Biden äußerten sich besorgt und riefen zu einem Ende der Gewalt gegen die Demonstranten auf.

Auch die Afrikanische Union (AU) kritisierte die Gewalt gegen Demonstranten scharf. Der Chef der AU-Kommission, Moussa Faki Mahamat, verurteile aufs Schärfste die Gewalt, die am Dienstag während der Proteste in Lagos ausgebrochen sei und zu mehreren Todesfällen und Verletzungen geführt habe, hieß es in einer Mitteilung am späten Mittwochabend. Er rufe „alle politischen und sozialen Beteiligten dazu auf, Gewalt abzulehnen und Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren“.

UNO: Gewalttätige Eskalation

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief ebenfalls zu einem Ende der Gewalt gegen die Demonstranten auf. In einer Erklärung des Sprechers von Guterres heißt es: „Er verurteilt die gewalttätige Eskalation vom 20. Oktober in Lagos, die in zahlreichen Toten resultierte und viele Verletzungen verursachte.“ Den Angehörigen der Toten spreche er sein Beileid aus und wünsche den Verletzten baldige Genesung. Nigerias Regierung müsse umgehend nach Wegen zur Deeskalation der Lage suchen.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drückte in einer Erklärung den Angehörigen der Toten sein Beileid aus und meinte: „Es ist alarmierend zu erfahren, dass mehrere Menschen getötet und verletzt wurden während der anhaltenden Proteste.“