Festaufführung von Hauptmanns ‚Florian Geyer‘ in der Wiener Burg 1942
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Oliver Rathkolb im Interview

Von Schirach und die Österreich-Identität

Drei Wurzeln gäbe es für das kulturelle Überlegenheitsgefühl der Österreicher. Das sagt Zeithistoriker Oliver Rathkolb in einem Interview mit ORF.at rund um sein neues Buch über den NS-Gauleiter in Wien, Baldur von Schirach. Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime habe dieses Überlegenheitsgefühl ebenso geprägt wie der Kommunist Ernst Fischer nach dem Krieg. Und in der Mitte bei der Prägung der kulturellen Österreich-Identität, die sich ab 1945 durchsetzt: von Schirach mit seiner Kulturpolitik, die dieser in der Nazi-Zeit in Wien betrieben habe. Eine These, die durchaus für Aufregung sorgen könnte.

In seinem neuesten Buch „Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler“ zeichnet der Zeithistoriker Rathkolb die Aufstiegsgeschichte des NSDAP-Reichsjugendführers Schirach nach, wie von Schirach, aus dem rechtskonservativen Milieu Weimars stammend, sehr früh zu einem begeisterten Nazi wurde und rasch ins engere Umfeld von Adolf Hitler aufsteigen wollte, was ihm, auch dank einiger publizistischer Leistungen für den „Führer“, gelungen war.

Schon als Reichsjugendführer des „Dritten Reichs“ habe von Schirach, wie Rathkolb sehr detailliert zeigt, die Kulturagenden genutzt, um etwa Johann Wolfgang von Goethe zum Sinnbild deutschen Führertums und deutscher Größe zu stilisieren. „Zum ersten Male hat sich ein verantwortlicher Funktionär des Reiches mit Goethe und seiner Stellung im Kulturwollen des Nationalsozialismus befasst“, lobte etwa Joseph Goebbels Schirachs „Goethe-Rede“ im Jahr 1937.

Hitler und Baldur von Schirach, 1943
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Einst im innersten Kreis um Hitler, sollte der frühere „Kronprinz“ von Schirach, hier bei einem Spaziergang in Berchtesgaden, zunehmend in Ungnade fallen. Bei einem Besuch der Schirachs auf dem Berghof 1943 kippte das Verhältnis endgültig, wie Rathkolb in seinem neuen Buch zeigt.

Doch trotz der Leistungen von Schirachs für die Führungsriege in Berlin, etwa die Aufwertung der Hitlerjugend (HJ) und die Kinderlandverschickung im Krieg, verspielte von Schirach mit seinem aristokratischen Gestus zunehmend seine Position im engeren Führungskreis von Hitler. Von Schirachs Berufung zum Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien im August 1940 als Nachfolger des in den Wiener Zirkeln sehr unbeliebten Josef Bürckel sollte, wie Rathkolb detailliert zeigt, zum Bruch mit Hitler und seinem Führungszirkel führen.

War Bürckel, ganz im Sinn seines Entsendeauftrags durch Hitler, einer, der wie es Hitler selbst bezeichnet hatte, „nicht mit dem Wiener Gemurksel ans Werk“ ging und sich entsprechend unbeliebt in den Gesellschaftszirkeln der Stadt machte, setzte Schirach auf Geschmeidigkeit im Umgang mit den Wienern, gerade im kulturellen Bereich.

Biografie von Baldur von Schirach

Baldur von Schirach gilt als eine der zentralen Figuren im NS-Regime. Der Historiker Oliver Rathkolb hat nun die erste umfassende Biografie über den Gauleiter von Wien präsentiert.

Der einstige Kronprinz reizt den „Führer“

Von Schirach habe seine Versetzung in den Osten als Schmach empfunden und sich zunehmend eigensinnig positioniert, beschreibt Rathkolb den Umgang des Reichsstatthalters mit der Wiener Gesellschaft. Als kulturellen Gegenpol habe von Schirach versucht, Wien gegen Berlin zu positionieren, eine Haltung, die Hitler zunehmend in Rage gebracht habe.

„Wien soll gegen Linz und Graz nicht bevorzugt werden“, notierte Goebbels die Haltung des Führers. Mit der Wiederbelebung der klassischen österreichischen Kulturtradition und deren Eingliederung in den deutschen Kulturzusammenhang, die von Schirach zum Erhalt der nationalsozialistischen Herrschaft benutzt habe, sei ihm noch eine andere Grundsteinlegung gelungen, argumentiert Rathkolb für manche sicher provokant: „Die Wiederbelebung der klassischen österreichischen Kulturtraditionen (…) hatte in psychologischer Hinsicht deutliche Konsequenzen für die Nichtbewältigung der politischen Vergangenheit in Österreich: Das Publikum in Österreich entwickelte aufgrund des Drucks der Kriegsereignisse eine Art verdeckte Österreich-Identität durch die Flucht in „altösterreichische, meist konservative Kulturtraditionen“.

Festaufführung von Hauptmanns ‚Florian Geyer‘ in der Wiener Burg 1942
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Im Glanz großer Kulturereignisse: Baldur von Schirach inmitten der Größen deutscher Kunst anlässlich der „Festaufführung“ von Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer“ 1942 am Wiener Burgtheater. Links neben von Schirach sitzt Hauptmann, rechts der Komponist Richard Strauss.

Rathkolb im Interview

Wie kam Baldur von Schirach dazu, sich während seiner Zeit als Gauleiter ausgerechnet auf eine österreichische bzw. Wiener Kulturtradition zu besinnen? Und kann man ihn, wie das in Ihrem neuen Buch anklingt, tatsächlich als einen Wegbereiter für eine österreichische Identität nach 1945 bezeichnen?

Diese These, glaube ich, kann ich empirisch gut fundieren. Eigentlich hat ja Adolf Hitler selbst Schirach den Weg gewiesen, sich dementsprechend zu positionieren. Bevor er Schirach nach Wien berief, war er über informelle Kanäle ins Bild gesetzt worden, dass es in Wien ein Problem gab mit einer NS-Elite, die unter sich völlig zerstritten und intrigant war und sich nicht nur am Vermögen von Jüdinnen und Juden bedient, sondern auch in die Kassen des Deutschen Reiches greift. Bürckel hat es als Saarländer nie geschafft, wie von ihm erhofft, Tabula rasa zu machen; im Gegenteil, die Akzeptanz für das Deutsche Reich war deutlich gesunken. Schirach hat das ernst genommen und sehr früh erkannt, dass die Kultur ein wichtiger Hebel für die Akzeptanz des Nationalsozialismus bei den Parteigenossen, aber auch bei den Wienern und Wienerinnen im Allgemeinen sein kann. Weshalb er etwa diese große Grundsatzrede im Wiener Burgtheater gehalten hat.

Schirach hatte sich einiges in Deutschland hinsichtlich der Indienstnahme der Kultur abgeschaut und das dann in Wien theatral umgesetzt. In Wien spricht er nicht über die österreichische Kultur, auch nicht nur über eine rein deutsche, nationalsozialistische Kultur; vielmehr hat er den Topos der Wiener Kultur erfunden. Das war wirklich ein unglaublich perfider, geschickter Brückenschlag; statt Maßnahmen in der Sozialpolitik, die man erwartet hatte, setzte Schirach auf die großzügige Ausstattung von Kultureinrichtungen. Die Staatsoper hatte weder vorher noch nach 1945 Mittel, wie sie sie unter Schirach hatte. Schirach hatte keine Berührungsängste zur Monarchie; er erwähnt die Habsburger aber auch nicht ausdrücklich, baut aber auf den von ihnen etablierten Hochkulturinstitutionen wie Staatsoper, Burgtheater, Kunsthistorisches Museum etc. auf. Und er bringt wahnsinnig viel Geld mit, was ihm Hitler vorerst ermöglicht, auch um die Wiener zu befrieden. 

Porträt von Baldur von Schirach
picturedesk.com/ÖNB-Bildarchiv/Presse-Illustrationen Heinrich H
Von Schirach, der Aristokrat in Wien. Nicht zuletzt um die Nürnberger Prozesse schafft es der frühe Nationalsozialist, seine Involvierung in Entscheidungsprozesse umzudeuten.

Wie ging er mit den Künstlern seiner Zeit um?

Schirach signalisierte auch der Gegenwartskunst mehr Handlungsspielraum und bekam dafür eine ziemliche positive Resonanz. Den Hebel mit der Kultur hatte er ja schon in der Hitlerjugend ausprobiert. Er protegierte keine jüdischen Künstler, aber wenn ein deutscher Gegenwartsmaler, der als „arisch“ galt, nicht nur brav gegenständlich malte, dann war er bereit, das zu akzeptieren und auszustellen. Das unterschied ihn deutlich von Hitler und Goebbels, die einen sehr konservativen Geschmack vertraten und dann sofort „entartete Kunst“ schrien. Schirach lotete eine Art von Biotop aus. Während ihn die Wiener schätzen, baut sich auf dem Berghof und in Berlin eine Opposition gegen ihn auf, ja, Hitler beginnt sofort, einen Anti-Wien-Komplex voll auszuleben. Goebbels befeuert das noch, obwohl er anfänglich ebenfalls Schirach protegiert hatte. Man darf nicht vergessen, Schirach war früher so was wie ein Kronprinz. So hatte man die Hochzeit Schirachs in den privaten Räumlichkeiten von Hitler gefeiert. Wien, das war ja letztlich schon eine Art von Versorgungsposten, nachdem Schirach den Kampf um den Posten des Reichserziehungsministers gegen Bernhard Rust verloren hatte.

Wie hat sich das Verhältnis von Schirach zu Hitler geändert?

Schirach gehört zu den ganz wichtigen Image-Machern. Es war Schirach, der das Bild des kultur- und kunstaffinen „Führers“ gezeichnet hatte. Durch Schirach stand ein Politiker in der Auslage, der sich in der Oper gut auskannte, ein Umstand übrigens, der Hitler sehr früh bei seinen Besuchen in Weimar genützt hatte. Die Fotobroschüren von Schirachs Schwiegervater Heinrich Hoffmann mit Texten von Schirach wurden zu Hunderttausenden aufgelegt und zeigten scheinbar einen Hitler hinter den Kulissen. In den frühen 1930er Jahren hat Schirach also eine ganz zentrale Funktion, die später schwindet. 1939 hat Hitler ganz andere Ziele, ist auf dem Höhepunkt der Macht und plant den totalen Aggressionskrieg gegen Europa. Zu dieser Zeit gilt Schirach als zu weich und auch zu selbstverliebt.

Er hat ja schon in der HJ den Spitznamen „Baron“, und daran änderte auch ein Einsatz an der Westfront gegen Frankreich nichts. Und so wurde er in Wien versorgt, beginnt zunächst den Auftrag Hitlers ernst zu nehmen, kauft sich im wahrsten Sinne des Wortes ins Herz des Wiener Kulturbetriebs ein und betreibt eine Wiener Kulturpolitik, die dann auf Versatzstücke wie etwa Franz Grillparzer mit dem Grillparzer-Preis zurückgreift.

Wie sehr trifft sich Schirachs Herkunft aus der konservativen Weimarer Aristokratie mit einer österreichischen konservativen Kulturtradition? 

Zeithistoriker Oliver Rathkolb
ORF.at/Christian Öser
Mut zu gewagten Thesen, die man „empirisch gut fundieren kann“: Zeithistoriker Oliver Rathkolb

Ja, da ist ein spannender, bisher nicht wirklich ausgeloteter Bogen zwischen Weimar und Wien. Schirachs Vater Carl war ein preußischer Gardeoffizier in Berlin, der mit dem Weimarer Theaterposten versorgt wurde, obwohl er nicht wirklich qualifiziert war. Er konnte ein bisschen Geige spielen und hatte einen Bruder, der Komponist war. Das genügte, um mit den richtigen Beziehungen eine derartige Position zu bekommen; und der Vater war schließlich sehr empört, als ihn die demokratische, aus seiner Sicht bolschewistische Regierung nach Ende des Ersten Weltkrieges entlässt. Er prozessiert erfolgreich dagegen und erhält immerhin eine Pension und ist weiterhin in diesen Weimarer rechtskonservativen, antisemitischen, antidemokratischen Zirkeln sehr aktiv. Er gehörte zu einer starken Bildungselite, die den rabiat antisemitischen Kampfbund für Deutsche Kultur mit initiiert; da ist er unter den Erstunterzeichnern und bringt dem Nationalsozialismus und Hitler selbst eine rechtskonservative bürgerliche Elite. Man darf nicht vergessen, dass die NSDAP nach der Reichstagswahl 1932, wo Baldur von Schirach der jüngste Abgeordnete war, den höchsten Anteil an Adeligen in ihrer Parlamentsfraktion hat. 

Interessant ist das auch bei der ersten Begegnung des blutjungen Schirach in Weimar mit Hitler: Hitler besuchte neben Berlin und München Weimar am häufigsten, gerade in der bewussten Anlehnung an die Heroen der deutschen Kultur. Goethe, Schiller und Nietzsche lässt er immer in seine Reden einfließen. Bei der Begegnung mit der Familie von Schirach zeigt sich Hitler als Kenner der Oper, konnte als Opernfreak quasi mit einem sehr genauen Wissen über Inszenierungen, Sänger, Sängerinnen brillieren. Die Mutter von Schirach, die ja aus einem begüterten amerikanischen Südstaatenmilieu und einer Eisenbahngroßunternehmerfamilie im Norden stammte, war ganz beeindruckt von Hitlers Opernwissen und guten Manieren.

Und man darf sich erinnern, dass sich Hitler nach der Machtergreifung 1933 weniger in der Kämpferuniform, sondern in bürgerlichen Outfits, gerade auch im Kreis von Künstlern inszeniert. Das hat Schirach aufgesogen und in Wien ausgelebt. Er bildete sich etwas ein, dass er im Bundeskanzleramt am ehemaligen Schreibtisch Metternichs saß. Und selbst im Moment, da die Rote Armee vor den Toren Wiens stand, feierte Schirach in den Kellern der Hofburg mit Champagner, so als ob es kein Morgen gäbe. Er hat sich auch persönlich hier in dieser Nähe des Habsburger-Imperiums sehr wohlgefühlt und auch entsprechend immer wieder in Szene gesetzt; Gerhart Hauptmann ans Burgtheater eingeladen und Richard Strauss und den jungen Carl Orff in die Staatsoper. Er wollte immer als Vertreter einer überlegenen Wiener Kultur dastehen. Schirach hat die Aufgabe, die Wiener ins Reich zurückzuholen, voll und ganz erfüllt, auch unter massivem Einsatz des Kunst- und Kulturbetriebes. Und das war schon auch einer der Gründe, warum kaum jemand Interesse hatte, in dessen Fußstapfen in Wien zu treten.

Baldur von Schirach 1966 nach seiner Entlassung aus der Haft mit seinem Sohn  Klaus
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Baldur von Schirach nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1966 mit seinem Sohn Klaus von Schirach. Die Enthaftung wird zum großen Medienrummel mit verkauften Exklusivstorys, darunter ein Vertrag mit dem „Stern“.

Hat Schirachs Kulturpolitik auch über die Zeit nach 1945 ausgestrahlt? Gerade auch hinsichtlich eines österreichischen Identitätsverständnisses.

Also für mich ist das wirklich sehr spannend, und die These habe ich im Buch nicht verwendet. Aber ich präsentiere sie Ihnen jetzt: Manchmal habe ich das Gefühl, dass die sowjetischen Planungsoffiziere genau studiert haben, was Schirach in Wien gemacht hat, bzw. gesehen, was schon vor 1938 als eine Art Zusammenhalt für dieses kleine, ökonomisch, sozial, kulturell geschlagene Restösterreich wichtig war. Die Sowjets machen nichts anderes, als die vorhandenen Kulturinstitutionen zu fördern, die Schirach zur Blüte geführt hat: das Burgtheater, die Staatsoper, Institutionen des Kulturbetriebs, das Künstlerhaus etc. Es gibt eine einzige Ausnahme, und das sind die Wiener Philharmoniker, die sich im Jänner 1945 mit dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler nach St. Florian samt ihren Instrumenten in Sicherheit begeben wollten. Das hat Schirach abgelehnt, weil er fürchtete, dass das die Moral erschüttern würde. Die Philharmoniker mussten dann mühsam in Bunkern in Wien gemeinsam überleben. Und Schirach, der große Held, setzte sich ja noch last minute ab und überließ die Philharmoniker ihrem Schicksal.

Grundsätzlich versuchen die Sowjets den Kulturbetrieb auf höchstem Niveau fortzusetzen, sie lassen zu, dass Clemens Krauss, der schon sehr früh mit den Nazis kollaboriert hatte, bald das erste Nachkriegskonzert mit den Philharmonikern im Konzerthaus am 27. April 1945 gibt. Josef Schöner, ein bürgerlicher Antifaschist, beschreibt in seinen Tagebüchern sein Entsetzen über diesen Umgang. Dennoch: Es gab den sowjetischen Befehl, Stabilität zu signalisieren und auch den Österreichern Größe zu geben. Und die Größe ist die Kultur.

Aber es ist wirklich ein interessantes Phänomen, dass die Sowjets erkennen, dass man selbst zur Zeit der Bombenangriffe das Kulturleben hochhielt und dass das den Widerstand gegen das System abschwächte. Schirach gab den Wienern das Gefühl des Besonderen. Und das Besondere war die Wiener Kultur, nicht die österreichische. Man hat auch nicht gesagt, die Wiener seien die besseren Deutschen, wie das Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg getan haben, sondern – nicht wörtlich, aber inhaltlich – immer wieder betont: „Ihr seid als Wiener die kulturell Überlegenen im nationalsozialistischen Deutschen Reich.“ An dem konnte man sich messen. 

Buchhinweis

Cover des Buchs „Schirach“ von Zeithistoriker Oliver Rathkolb
Molden Verlag
Oliver Rathkolb. Schirach – Eine Generation zwischen Goethe und Hitler, Molden Verlag, 352 Seiten, 32,00 Euro.

Wie sehr trifft sich denn dann der Kulturbegriff eines Ernst Fischer, der – aus dem Exil in Moskau zurückgekehrt – ja für die KPÖ dann Staatssekretär im Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht und Erziehung und Kultusangelegenheiten wurde und einen sehr starken kulturellen Österreich-Begriff vertreten hat – mit dem eines von Schirach?

Es sind verblüffende Ähnlichkeiten zwischen beiden. Es gibt ja diese legendäre, zunächst in Moskau entstandene Broschüre von Fischer über den österreichischen Volkscharakter, die 1944 in London und Zürich erscheint, und dann nach dem Krieg rasch in Wien als Broschüre nachgedruckt wird. Dieses Werk ist voll von Versatzstücken, die auch Schirach gebraucht hat. Interessant ist ja: Wenn ich mir die konkrete inhaltliche Kulturideologie der Kanzlerdiktaturen von Dollfuß und Schuschnigg ansehe, dann erkenne ich Ähnlichkeiten zu Fischer. Und dazwischen liegt Schirach. Überdies ist da ja noch immer das in die Gegenwart hineinreichende Gefühl der österreichischen Überlegenheit in der Hochkultur. Ich würde sagen, zu diesem Gefühl gibt es drei Gründungsmythen: Der eine ist aus der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur, der andere stammt aus der Schirach-Zeit. Und dann haben die Sowjets und auch natürlich die Kommunistische Partei und Fischer noch Ideologisches draufgesetzt. 

Die Große Koalition in Österreich, vor allem die ÖVP-Unterrichtsminister Felix Hurdes bis Heinrich Drimmel, haben genau dieses Gefühl forciert, dabei wiederum stärker auf die Monarchie und das barocke Imperiale zurückgegriffen, man betont die großen Leistungen unter Maria Theresia und Joseph II. Alles andere daneben erscheint bedeutungslos. Die ÖVP will sogar die Melodie des Kaiserlieds als Nationalhymne rehabilitieren, scheitert aber am Widerstand der Sozialdemokratie und ihrem ungelösten, gespannten Verhältnis zur Monarchie. Das schafft dann erst Bruno Kreisky.