MNS auf dem Schreibtisch eines Schülers
APA/Harald Schneider
Bildungsreferenten

Schulen auch bei Rot offen lassen

Schulen sollen so lange wie möglich offen bleiben, auch bei einer roten CoV-Ampel. Darauf haben sich die Bildungsreferenten der Bundesländer verständigt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) warnt indes, dass Lernverluste durch die Schulschließungen nur schwer aufzuholen seien.

Die einheitlichen Leitlinien beim Umgang mit Coronavirus-Fällen an Schulen, die am Donnerstag von ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) vorgelegt wurden und die auch ein schnelleres Testen beinhalten, wurden bei einer Videokonferenz der Bildungsreferenten am Freitag positiv von den Ländern aufgenommen. „Es konnte ein breiter Schulterschluss erzielt werden“, sagte Martin Netzer, Generalsekretär im Bildungsministerium. Bildungsminister Faßmann selbst nahm aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Bildungsreferentenkonferenz teil.

Der Bund werde über die Bundesbeschaffungsgesellschaft in einer ersten Tranche bis Ende November 150.000 Stück Antigentests ankaufen, sagte Netzer. „Die Nettokosten pro Test betragen zwischen fünf und acht Euro“. Das Ergebnis liege in 15 Minuten vor. Die Testung von Schülern, die Symptome wie Husten und Fieber haben, erfolge auf freiwilliger Basis, die Kosten trage der Bund. Bis zum 14. Lebensjahr müsse eine Einverständniserklärung der Eltern vorliegen, ab dem 14. Lebensjahr könne der Schüler die Erklärung selbst unterzeichnen.

Pflichtschulen offen lassen

Von den schnelleren Ergebnissen dieser Antigentests erwarten sich auch die Länder weniger Quarantänemaßnahmen. Die Schnelltests könnten auch eine Entlastung zumindest zum Teil bei den Personalfragen an Schulen bringen, so Netzer. Pilotprojekte beginnen nach den Herbstferien in den Bezirken Mödling und in Teilen Tirols. Im Bundesland Salzburg sollen Mitte November die mobilen Teams an den Schulen starten, sagte Salzburgs Bildungslandesrätin Maria Hutter (ÖVP). „Wir sind derzeit dabei, die Rahmenbedingungen zu schaffen.“

Vor allem im Pflichtschulbereich sollen aus Sicht der Länder die Schulen auch bei Rot geöffnet bleiben. Im Fall eines verordneten Distance-Learning bei höheren Schulstufen sollte dennoch eine Betreuung von Maturaklassen in Schulen möglich sein. In Salzburg wird jetzt angedacht, nach Allerheiligen Oberstufenklassen im Schichtbetrieb zu unterrichten. „Anfang nächster Woche werden die Gesundheitsbehörden eine Entscheidung treffen“, kündigte Hutter an.

Keine Info bei positivem Test

Dass bei einer positiven Testung derzeit die Schulen nicht informiert werden dürfen, bezeichnete die Salzburger Landesrätin als „eine Herausforderung“. In Salzburg haben Gewerkschaft und Elternvertreter diese Vorgehensweise vehement kritisiert. Einig waren sich die Länder am Freitag auch darüber, dass die Sommerschule im nächsten Jahr wieder stattfinden soll, mit einer entsprechenden Finanzierung.

Auch für die Kinderbetreuungseinrichtungen sei es wichtig, bei roter und orangefarbener CoV-Ampel offen zu bleiben, „mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen“, sagte Salzburgs Familienlandesrätin Andrea Klambauer (NEOS). Im Bereich der Elementarpädagogik einigten sich die Bildungsreferenten darauf, weiter auf Qualifizierungsmaßnahmen zu setzen und eine berufsbegleitende Ausbildung noch stärker auszubauen.

OECD: Lernverluste kaum aufzuholen

Es sei sehr schwer, Lernverluste im Nachhinein wieder gutzumachen, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher am Freitag. „Nachhilfeunterricht, Förderunterricht, das ist leicht gesagt – in der Vergangenheit hat sich aber gezeigt, dass solche Gewinne nur schwer zu erzielen sind“, verwies Schleicher auf frühere Studien.

„Wer gelernt hat, selbst zu lernen, wer Unterstützung aus dem häuslichen Umfeld bekommt etc., kommt damit vielleicht klar. Diese Kinder konnten mit der Krise leben, vielleicht haben sie sogar interessante Lernerfahrungen gemacht“, so Schleicher. „Die das aber eben nicht haben, die haben enorm verloren.“ Darunter seien überproportional viele Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten.

Schulen müssten daher so lange wie möglich geöffnet sein, forderte auch Schleicher. „Ich finde es schwer zu vertreten, wenn Restaurants und Kinos offen sind, aber Schulen nicht“, so Schleicher. „Das zeigt auch, dass es oft um die Interessen der Erwachsenen geht und nicht um die der Kinder. Der Grund für offene Schulen sollte auch nicht darin liegen, dass Eltern zur Arbeit gehen können, sondern weil es im Interesse der Kinder ist.“ Gleichzeitig müssten an den Schulen aber natürlich Hygienebestimmungen eingehalten werden. „Schule offen halten heißt ja nicht Schule ohne Abstandsregeln.“

Auch motorische Fähigkeiten leiden

Auf negative Folgen von Schulschließungen abseits von Lernerfolgen verwies Jutta Allmendinger, Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt Universität in Berlin. So würden sich motorische Fähigkeiten der Kinder zurückentwickeln: „Was sie derzeit motorisch leisten, ist oft nur der Weg zur Schule und der Schulsport.“ Dazu kämen schlechtere Ernährung durch die daheim schnell in die Mikrowelle geschobene Pizza statt eines einigermaßen ausgewogenen Schulessens sowie das eingeschränkte soziale Lernen – etwa von Selbstwertgefühl, Interaktion, Solidarität oder das Abbauen von Stereotypen.

Die Auswirkungen der Schulschließungen seien „mega-heterogen“ gewesen, sagte Allmendinger. Neben der ökonomischen Situation habe dabei eine Rolle gespielt, ob auch die Eltern daheim sein konnten oder ob Großeltern einbezogen wurden. „Die Daten zeigen, dass sie stärker eingebunden wurden, als sie es auch virologischer Sicht eigentlich sollten.“ Dazu käme noch die unterschiedliche technische Ausstattung.

Schule mit Kontrollfunktion

Auf eine Art Kontrollfunktion der Schule machte Johannes Hübner, Professor für pädiatrische Infektiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, aufmerksam. In Fällen von Misshandlungen oder Vernachlässigungen sei die Schule immer ein Korrektiv gewesen. „Ein blaues Auge fällt Lehrern auf.“ Auch er plädierte für ein Offenhalten der Schule – wobei er die Schließungen im Frühjahr verteidigte. Blaupause für alle Pandemiepläne sei immer die Influenza gewesen.

„Daher ist man nach dieser Blaupause vorgegangen und hat die Schulen geschlossen, weil wir wussten, dass Kinder starke Verbreiter sind“, sagte Hübner. Mittlerweile habe man aber herausgefunden, dass Kinder bei Covid-19 eben kein wesentlicher Motor der Pandemie seien. „Ich sage nicht, dass Schulen ein sicherer Bereich sind, das können wir von keinem Bereich sagen“, so Hübner. Die Funktion der Schulen müsse aber aufrechterhalten werden. „Hotels und Kultur kann man mit Geld vielleicht retten, aber die Bildung der Kinder nicht.“