Jugendlicher liest in Bücherei
Getty Images/Hraun
Keine Lust auf Bücher

Lesestoff gegen den „Leseknick“

Er taucht oft im Alter von etwa zwölf Jahren auf: der „Leseknick“. Dasselbe Kind, das gerade noch ein Buch nach dem anderen verschlungen hat, findet plötzlich jede Geschichte langweilig. Für Eltern, die fragen „Was liest ein Kind, das nicht gerne liest, gerne?“, haben Buchhändlerinnen gute Tipps parat. Darüber hinaus gilt aber (wie so oft, wenn Eltern es „nur gut“ meinen): keinen Druck ausüben.

„Zwölf ist ein Alter, in dem es unglaublich viel zu klären und zu bewältigen gibt“, sagt Kathrin Wexberg von der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur (STUBE) in Wien. Die eigene Identität und die Beziehungen zu anderen müssten neu definiert werden. Und da sei oft „schlicht und einfach keine Kapazität für große Auseinandersetzungen mit Büchern da“.

Außerdem: „Mit zwölf ist man kein Kind mehr, aber auch noch nicht richtig jugendlich“ – und genau dieses „Dazwischensein“ mache es schwierig, passenden Lesestoff zu finden: „Klassische Kinderromane findet man vielleicht schon zu kindisch, für Jugendromane mit ihren Themen und literarischen Formen ist man noch zu jung.“

Das „Harry Potter“-Phänomen

Gerade wenn jemand nicht gerne liest, ist es wichtig, bei der Buchwahl auf die individuellen Interessen zu achten. Doch es gibt auch immer wieder diese Bücher, auf die sich sehr viele Leserinnen und Lesern einigen können. Wie „Harry Potter“ – das erste Kinderbuch, das es an die Spitze der „New York Times“-Bestsellerliste schaffte. 1997 erschien der erste von sieben Bänden über den Zauberschüler.

Nicht wenige Eltern staunten damals über ihre Kinder, die freiwillig über 300 Seiten binnen weniger Tage verschlangen. Auch die heutigen Zwölfjährigen lesen gerne „Harry Potter“, sagt Wexberg. Und nicht nur das – sie höre auch immer wieder von „Harry Potter“-Motto-Geburtstagspartys. Und von Kindern, die begeistert Rezepte für Butterbier nachkochen.

Freundschaft und andere Lebensthemen

„Harry Potter“ bleibt laut Wexberg zwar ein singuläres Phänomen, sehr populär in dieser Altersgruppe seien aber auch die Bücher von Cornelia Funke – „einerseits ihre ,Tintenherz‘-Trilogie, in der es auch in der Geschichte ganz viel um Lesen und Literatur geht, andererseits ihre ,Reckless‘-Romane, in denen die Autorin auf verschiedene Märchentraditionen Bezug nimmt.“ Auch die Serien „Warrior Cats“ und „Bravelands“, zwei Romanreihen der Autorinnengruppe Erin Hunter aus dem Subgenre der Tierfantasy, werden meist sehr gerne gelesen.

Ob Tiere oder Menschen, am Ende geht es in der Kinder- und Jugendliteratur meist um Freundschaft. „Ein großes Lebensthema in jeder Altersgruppe“, sagt Wexberg. Daher werde es auch so oft thematisiert. Andere wiederkehrende Themen, die die Lebenswelt von Zwölfjährigen in Büchern widerspiegeln: die Beziehung zu den Eltern, verschiedene Familienkonstellationen und „natürlich die Identitätssuche der jugendlichen Hauptfiguren selbst“.

Comicbücher und Hefte
ORF.at/Romana Beer
Seit Jahrzehnten in jedem Alter sehr beliebt: „Asterix“ und die „Lustigen Taschenbücher“

Neben den Bestsellern empfiehlt Wexberg Zwölfjährigen, die nicht gerne lesen, Bücher, die etwas ungewöhnlicher gestaltet sind: „An Nachteule von Sternhai“ von Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer etwa – „ein witziger Roman, der ausschließlich in E-Mails und anderen Textsorten erzählt wird“. Oder Lena Hachs „Grüne Gurken“ – „illustriert mit Infografiken, die der Geschichte zusätzliche Pointen verleihen“. Und auch Comics und Graphic Novels könnten ansprechende Lektüre für Lesemuffel sein, die dennoch die Literaturkompetenz fordert und fördert.

„Das Genre ist zweitrangig“

„Es müssen nicht immer klassische Romane sein, um Kinder zum Lesen zu bekommen“, ist auch Katharina Huchler von der Buchhandlung Brunner in Bregenz überzeugt: „Egal ob ,Disneys Lustige Taschenbücher‘,,Asterix‘, Mangas, wie ,One Piece‘, ,Naruto‘ und ,Dragon Ball Z‘, das jährlich erscheinende ,Guinness World Records‘-Buch oder ein ,Starwars‘-Bildband: Wenn es ein Kind begeistert, ist es das richtige Buch.“

Am besten sei es, die Kinder selbst in der Buchhandlung stöbern lassen – mit beratender Unterstützung der Buchhändlerinnen und Buchhändler. „Das Genre ist zweitrangig, viel wichtiger ist, dass sich das Kind für das Buch interessiert.“

Neben den Tierfantasy-Bestsellern „Woodwalkers“, „Seawalkers“ und „Animox“ empfiehlt Huchler etwa die Krimi-Reihe „Enola Holmes“. Die Hauptfigur – in der gerade angelaufenen Verfilmung des ersten Bandes gespielt von „Stranger Things“-Star Millie Bobby Brown – sei „stark, selbstbewusst und schlagfertig“.

„Woodwalkers“-Bücher
ORF.at/Romana Beer
Die Tierfantasy-Reihen „Woodwalkers“ und „Seawalkers“ von Katja Brandis wurden in den letzten Jahren zu Bestsellern

Kategorie „Bücher nach Greg“

Kurzweilig sei außerdem die actionreiche Agentenreihe „JC“. Hauptfigur ist ein zwölfjähriger Bub, der im Geheimen Superagent der britischen Regierung ist. Und auch „Allein in der Wildnis“ – „ein nicht zu dicker, spannender Abenteuerroman mit Survival-Elementen“ – gehört zu den Büchern, die Huchler einem Zwölfjährigen, der nicht gerne liest, vorschlagen würde.

Für alle, die vor dem „Leseknick“ noch begeistert die erfolgreiche Kinderbuchreihe „Gregs Tagebuch“ gelesen haben, empfiehlt die Buchhändlerin „Wie man 13 wird und überlebt“ – „eine Buchreihe perfekt für ,Greg‘-Fans, die mit Humor und absurd-komischen Situationen punktet“. Und auch der Comic-Roman „Collins geheimer Channel“ falle in die Kategorie „Bücher, die man nach Greg lesen möchte“. Laut Altersempfehlung des Verlags ist das Buch zwar ab zehn, aber gerade bei Lesemuffeln sei es „sehr beliebt, und sie lesen es bis zum Schluss“.

Eine Detektivin auf dem Skateboard und die „Mumins“

Bücher, die für etwas jüngere Kinder geeignet sind, schlägt auch Paula Bolyos von der Buchhandlung ChickLit in Wien vor. Außerdem wichtig: eine besonders spannende Geschichte und nicht allzu klein gedruckt. „Josis wilde Welt“ von Uticha Marmon empfiehlt die Buchhändlerin beispielsweise – „eine Geschichte über ein skateboardfahrendes Mädchen, das sich gegen die Gentrifizierung ihres Stadtteils einsetzt und dabei Detektivinnenarbeit leisten muss“.

Und auch Graphic Novels wie die Coming-of-Age-Geschichte „Ein Sommer am See“ von Mariko Tamaki und Jillian Tamaki seien nie verkehrt: „Da gibt es viel zu sehen und weniger Text, und es können trotzdem anspruchsvolle und spannende Erzählungen sein.“ Für das Alter um die zwölf seien außerdem die nilpferdartigen Trollwesen „Die Mumins“ von Tove Jansson, die es sowohl als Bücher als auch als Comics gibt, interessant.

Irgendwann ist die Phase (vielleicht) vorbei

Wenn außer der Pflichtlektüre für den Deutschunterricht kaum ein Buch in die Hand genommen wird, sorgen sich besonders literaturaffine Eltern schnell über die verschwundene Freude am Lesen. Und begutachten vielleicht kritisch das eine oder andere Werk aus dem Genre der Tierfantasy, das dann doch den Weg ins Kinderzimmer findet.

Wie in jedem anderen Lebensbereich der Kinder, über den Eltern sich Sorgen machen, gelte auch hier: möglichst wenig Druck ausüben, so Wexberg von der STUBE. Kontraproduktiv sei jedenfalls, Bücher abzuwerten, weil sie den eigenen literarischen Qualitätsstandards nicht entsprechen. „Freundlich dranbleiben und doch immer wieder Bücher anbieten“, rät Wexberg hingegen – denn „irgendwann werden diese Angebote ja dann vielleicht auch wieder gerne angenommen“.