Flughafen BER
Reuters/Fabrizio Bensch
Neuer Berliner Flughafen

Das Milliardengrab öffnet seine Pforten

Weit über die deutschen Grenzen hinweg haben der Flughafen Berlin Brandenburg und sein Kürzel BER es jahrelang in die Schlagzeilen geschafft – die dortigen Vorgänge haben vielfach für Fassungslosigkeit gesorgt. Zu kurz geratene Rolltreppen, falsch gepflanzte Bäume, unauffindbare Räume und ein Licht, das sich nicht ausschalten ließ – augenscheinliche Negativhighlights eines dunklen Milliardengrabs. Jetzt, ausgerechnet in der schwersten Krisenzeit für die Luftfahrt, kann eröffnet werden.

Dass eine Inbetriebnahme nun mit neun Jahren Verspätung tatsächlich möglich ist, war das Fazit des seit April abgehaltenen, zuletzt beendeten Probebetriebs – aus einem fertiggestellten Gebäude sei in den Monaten ein funktionsfähiger Airport gemacht worden, hieß es. Fast 10.000 Komparsinnen und Komparsen waren am drittgrößten deutschen Flughafen unterwegs, rund 179.000 Gepäckstücke wurden abgefertigt, 54.000 Buchungen für 2.350 fiktive Flüge wurden vorgenommen.

Am Samstag geht das alles in den Echtbetrieb über – da landen am frühen Nachmittag zwei Maschinen von Lufthansa und easyJet. Dass um dieses denkwürdige Ereignis kein großes Aufsehen gemacht werden soll, liegt ausnahmsweise in erster Linie nicht an der laufenden Gesundheitskrise – es hätte wohl auch ohne das Coronavirus keine allzu große Party gegeben: „Wir werden einfach aufmachen“, wollte sich Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup auf das Wesentliche beschränken.

Terminal des BER
Reuters/Annegret Hilse
Die Inbetriebnahme beginnt mit der Eröffnung des Terminals 1 (im Bild)

Explodierte Kosten

Dazu geben die Umstände allen Anlass – denn noch mehr als die neunjährige Verspätung wiegt die Kostenexplosion: Mit 1,9 Milliarden Euro wurde zum Baustart 2006 kalkuliert, am Ende wird das Projekt wohl über sechs Milliarden Euro kosten. Für den Großteil davon kommen die Steuerzahlerin und der Steuerzahler auf, denn der Flughafen gehört der öffentlichen Hand. Die Länder Berlin und Brandenburg haben jeweils 37 Prozent Anteil, 26 Prozent der Bund. Die drei Gesellschafter bürgen zu 100 Prozent für das Großprojekt, sonst wäre die Finanzierung nicht zustande gekommen.

Dass der Betrieb mittelfristig in wirtschaftlicher Hinsicht kein Schlager wird, passt gut zur Geschichte – wenngleich an den eingebrochenen Passagierzahlen freilich niemand schuld ist. Immerhin bietet die vorerst geringere Auslastung (gerechnet wird mit etwa 20 Prozent) die Chance auf einen sanften Einstieg – freilich ein zweifelhafter Vorteil. Entsprechend wurde zuletzt über anstehende Kosten debattiert: So sah etwa Verkehrsminister Andreas Scheuer weiteren Bedarf an staatlichen Hilfen für den Airport.

„Klotz am Bein“

Dass dem neuen Airport also auch in Zukunft wohl viel Geld zugeschossen werden muss, sei absehbar, so der Tenor – oder wie es der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, ausdrückte: Der Hauptstadtflughafen bleibe „ein Klotz am Bein“. Hofreiter zeigte sich überzeugt davon, „dass der Flughafen entschuldet werden muss“, es brauche „ein Entschuldungskonzept, und das muss ehrlich auf den Tisch“, so der Grünen-Politiker.

Neuer Flughafen Brandenburg BER in Berlin
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Eine teils verhüllte Lufthansa-Maschine auf dem neuen Airport in Berlin im Vorfeld der Eröffnung

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ging indes davon aus, dass der neue Airport kein Zuschussgeschäft bleibt. „Wir haben mit Tegel und Schönefeld gesehen, dass ein Flughafen Geld verdient“, sagte der SPD-Politiker der dpa. Zwar habe man durch die Pandemie „weniger Passagiere und weniger Unternehmen (…)“, so Müller, doch „wenn wir die Krise überwunden haben, wird man mit dem neuen Flughafen Geld verdienen, genauso wie mit dem alten.“

„Viele Köche verderben den Brei“

Wieso die Kosten so derart in die Höhe schossen, dass bereits vor der Eröffnung über eine Entschuldung geredet werden muss? Einer der Auslöser war die besagte Eigentümerstruktur. Das meint zumindest der frühere Flughafenchef Hartmut Mehdorn. Berlin, Brandenburg und Bund hätten stets unterschiedliche Interessen, Behörden und Parteienkonstellationen gehabt. „Viele Köche verderben den Brei“, so Mehdorn. Er war 2015 nach Konflikten mit dem Aufsichtsrat nach zwei Jahren im Amt zurückgetreten. Jetzt übt er sich in Zuversicht, BER werde ein „Wirtschaftsmotor“ für die Region sein.

Bis dahin wird es wohl noch dauern – als Trost dafür kann herhalten, dass die Zukunft kaum noch schlimmer werden kann als die Vergangenheit. Ganze sechs Eröffnungstermine sind im Laufe der Jahre geplatzt. Baumängel, technische Probleme, Personalwechsel und Planungsfehler warfen das Projekt immer wieder zurück. Allen voran Letztere hätten sich laut Mehdorn infolge der anfangs zu kleinen Konzeption fatal ausgewirkt: „Wer ein Einfamilienhaus plant und es heimlich in ein Dreifamilienhaus ändert, darf sich am Ende nicht über Zeit- und Terminüberschreitungen wundern.“

Wolfgang Tiefensee, Matthias Platzeck, Klaus Wowereit und Hartmut Mehdorn
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Spatenstich im Jahr 2006: der damalige Bahn- und spätere Airport-Chef Mehdorn, die Ex-Regierungschefs Klaus Wowereit (SPD, Berlin) und Matthias Platzeck (SPD, Brandenburg) sowie der damalige Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (v. l. n. r.)

„Havariertes Projekt auf Kurs zu bringen, ist schwer“

Auch Mehdorns Nachfolger, Karsten Mühlenfeld, kritisierte anlässlich der Eröffnung zuletzt, dass die Verantwortlichen die Pläne für den Flughafen zu häufig geändert hätten, ohne auf bautechnische Themen zu achten. Etwa als ins Terminal noch nach Baubeginn 2006 ein zusätzliches Geschoß eingezogen wurde sowie Seitenflügel und Gates für das mittlerweile schon wieder aus der Mode gekommene Riesenflugzeug A380 angedockt wurden. „Ein havariertes Projekt auf Kurs zu bringen, ist immer schwer“, so Mühlenfeld, der heute für Ryanair arbeitet.

Apropos aus der Mode gekommen: Die lange Bauzeit und die bereits viele Jahre zurückliegende Konzeption bringen es mit sich, dass mit dem neuen Airport auch das ein oder andere Stück Vergangenheit eröffnet – konkret könnten Fluggäste an so mancher Stelle bemerken, dass der Hauptstadtflughafen aus einer anderen Zeit stammt.

Vieles wurde freilich nachgerüstet, etwa Self-Check-in-Schalter. Und weil es kaum Steckdosen gibt, wurden USB-Ladestationen für Handys an die Gates gestellt. Auch die Bildschirme in den Ankunfts- und Abflugbereichen sind neu, schließlich waren 750 Stück jahrelang in Betrieb, zeigten testweise Flugziele und Schalternummern – bis sie schrottreif waren und entsorgt werden mussten.

Tegel sperrt zu, Schönefeld läuft unter BER

Die Inbetriebnahme des neuen Flughafens wirkte sich unterdessen auch auf die übrigen Airports der Stadt aus: Der Flughafen Tegel (TXL) – immerhin 60 Jahre in Betrieb und von vielen Berlinerinnen und Berliner aufgrund kurzer Wege geliebt – wird am 8. November seine Pforten schließen. Der bisherige Flughafen Schönefeld hingegen hat „nur“ seinen Status als eigenständiger Flughafen verloren – er wird als „BER Terminal 5“ Bestandteil des neuen Hauptstadt-Airports.

Hätte der Flughafen im Übrigen unter normalen Bedingungen eröffnet, wäre er – trotz stetiger Vergrößerungen im Laufe der Jahre – fast zu klein gewesen: Der neue Hauptterminal ist laut Flughafengesellschaft für 22 Millionen Passagiere jährlich konzipiert. Im Jahr 2019 sind aber bereits 35,6 Millionen Menschen von den Berliner Airports abgeflogen. Deshalb wurde ab 2017 der Terminal 2 gebaut – hier können jährlich zusätzlich sechs Millionen Fluggäste abgefertigt werden. Ergänzt wird das alles noch durch den Terminal 5 in Schönefeld.

„Riesenglück gehabt“

Es ist also schon fast eine Ironie des Schicksals, dass nun infolge des Passagiereinbruchs tatsächlich von Glück die Rede ist: „Die haben ein Riesenglück gehabt“, sagte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) in der „Zeit“. Jetzt sei der neue Flughafen „vermutlich genau richtig dimensioniert“.

Begleitet dürfte die Eröffnung von Protestmaßnahmen werden – eine Reihe von Protestaktionen ist angekündigt. Die Polizei rechnet insgesamt mit rund 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Gruppe „Am Boden bleiben“ kündigte an, sie wolle die Eröffnungsfeier mit einer Aktion zivilen Ungehorsams „massiv stören“. Es könne nicht sein, dass in Zeiten der immer heftiger werdenden Klimakrise ein neuer Flughafen eröffnet werde.