Blick aus einer Gondel
ORF.at/Christian Öser
Wintertourismus

Warnung vor „schleichendem Lockdown“

Die Coronavirus-Situation in Österreich hat sich rapide verschlechtert. Das könnte heftige wirtschaftliche Folgen haben – und zwar unabhängig davon, ob das gesellschaftliche Leben wie im Frühjahr komplett heruntergefahren wird. Im für die heimische Wirtschaft besonders wichtigen Wintertourismus zeichne sich wegen Reisewarnungen und steigenden Infektionszahlen ein „schleichender Lockdown“ ab, warnt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Christoph Badelt.

Für einen Tourismusbetrieb sei es letztlich egal, „ob er zusperrt, weil keine Gäste kommen oder weil man ihm anordnet, dass er zusperren muss“, sagte Badelt am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal. Reisewarnungen und die extrem hohe Zahl an Neuinfektionen in Österreich, aber auch den Ländern, aus denen potenziell Gäste kommen, könnten zu einem Zusammenbrechen des Wintertourismus führen.

Mehr als die Hälfte des Jahresproduktionswerts im heimischen Tourismussektor werde im Winter erwirtschaftet, so Badelt. Ein Zusammenbruch des Wintertourismus würde das Wirtschaftswachstum in Österreich um bis zu 1,5 Prozent drücken.

Zweiter Lockdown „Ultima-Maßnahme“

Angesichts der starken Ausbreitung des Coronavirus in Österreich wird seit Wochen über einen zweiten Lockdown spekuliert. „Je höher die Ansteckungszahlen sind, desto restriktivere Maßnahmen braucht es“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Nationalfeiertag. Es gehe darum, eine Überlastung der Intensivmedizin zu verhindern. „Die Ultima-Maßnahme ist ein zweiter Lockdown“, so Kurz.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) gibt sich zurückhaltend – man habe im Gesetz eine gute Regelung, die besage, dass für eine solche Maßnahme das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch stehen müsste. „Da stehen wir weit davon entfernt“, betonte er. Freilich, fügte er an, könne sich das schnell ändern, man betreibe ein tägliches Monitoring.

Die Vorsitzende der oppositionellen SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, lehnt einen zweiten Lockdown nicht grundsätzlich ab, sollte das medizinisch nötig werden, doch sie verlangt von der Regierung eine entsprechende Vorbereitung darauf. Die Koalition solle sich mit Sozialpartnern, Wirtschaft und Gebietskörperschaften zusammensetzen und einen Plan entwickeln, wie man wirtschaftliche und soziale Folgen möglichst gering halten kann, sagte Rendi-Wagner. Die Situation sei „ernst“. Dafür verantwortlich macht Rendi-Wagner zu einem guten Teil die Regierung, der sie erneut einen verschlafenen Sommer und einen unvorbereiteten Herbst vorhielt. Ähnliches befürchtet sie für die kommenden Wochen: „Die Regierung darf nicht planlos in einen zweiten Lockdown hineintaumeln.“

Extreme Belastung für die Wirtschaft

Aus wirtschaftlicher Sicht stelle ein zweiter Lockdown eine extreme Belastung dar, sagte Badelt gegenüber dem Mittagsjournal. Bisher ging das WIFO für heuer von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Ausmaß von 6,8 Prozent aus, für nächstes Jahr ist ein Plus von 4,4 Prozent erwartet worden. Das habe man aber unter der Annahme gerechnet, dass Österreich die Pandemie nächstes Jahr in den Griff bekommt und kein zweiter Lockdown vonnöten ist, so Badelt.

Das WIFO habe aber auch Alternativszenarien mit Lockdown berechnet: In diesem Fall würde die Wirtschaftsleistung heuer um mehr als neun Prozent absacken, und nächstes Jahr gäbe es mehr oder weniger eine Stagnation. „Auch die Arbeitslosenrate würde sich massiv steigern“, sagte Badelt.

Sessellift über eine Skipiste
ORF.at/Christian Öser
Die hohen CoV-Zahlen lassen den Wintertourismus bangen – viele Betriebe könnten auch ohne Lockdown zusperren müssen

Nun sei die Politik gefragt. Ohne wirtschaftspolitische Gegensteuerungsmaßnahmen würden sich die Pleiten sowie die Arbeitslosigkeit weiter erhöhen. Es hänge sehr davon ab, inwieweit die Regierung gegenwärtig befristete Maßnahmen wie die Kurzarbeit oder den Fixkostenzuschuss verlängern würde.

„Gegensteuern“ der öffentlichen Hand

Es sei gut, die Wahrheit auf den Tisch zu legen. „Wenn die Zahlen weiter so hoch bleiben, werden wir schon alleine wegen des Zusammenbruchs des Wintertourismus in eine noch viel massivere Wirtschaftskrise kommen“, so Badelt. Sollte es aufgrund stärker steigender Infektionszahlen zu einem Lockdown weiter Wirtschaftsbereiche kommen, müsste die öffentliche Hand „noch viel mehr in die Tasche greifen“ als derzeit im Budget geplant ist, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Zur Kritik, dass staatliche Hilfsmaßnahmen zu spät und unzureichend ankämen, sagte Badelt: „Es ist schon ein Konjunkturprogramm in großem Ausmaß unterwegs, aber es stimmt, es ist noch nicht alles angekommen.“ Man müsse sich ansehen, ob das etwa an bürokratischen Hürden liege. Bei vielen Konjunkturprogrammen trete die Wirkung erst mit gewisser Verzögerung ein.

Androsch fordert Konjunkturpaket

Der Industrielle und ehemalige SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch appellierte an die türkis-grüne Regierung, angesichts der CoV-Krise so schnell wie möglich ein großes Konjunkturpaket für die nächsten eineinhalb Jahre zu schnüren. Die Unternehmen brauchten dringend Aufträge, sonst gebe es eine Pleitewelle und noch höhere Arbeitslosenzahlen, sagte Androsch am Dienstag vor Journalisten in Wien.

Die CoV-Hilfen der Regierung für die Unternehmen sind nach Ansicht des Industriellen bisher bürokratisch und langsam umgesetzt worden. Androsch ist Miteigentümer des Leiterplattenherstellers AT&S, des Salzproduzenten Salinen Austria und der Kurzentren Vivamayr. „Die Corona-Hilfsmaßnahmen sind weitgehend glanzvoll gescheitert“, sagte Androsch. Die Schweiz und Deutschland hätten die Rettungsmaßnahmen schneller abgewickelt und würden nun wirtschaftlich besser dastehen.