Frau mit Maske hält Wahlkarte in der Hand
Reuters/Mike Blake
Ansturm der US-Frühwähler

Rekordbeteiligung steht bevor

Lange Schlangen vor Wahllokalen, volle Briefwahlboxen, Hochbetrieb für die Wahlhelfer: Der Ansturm in den USA auf die frühe Stimmabgabe ist enorm. Das schlägt sich auch in den Daten nieder. Eine Woche vor dem entscheidenden Urnengang haben laut Wahlforschern bereits mehr als 71 Millionen Menschen gewählt. Damit wurden bereits jetzt halb so viele Stimmen abgegeben wie bei der Wahl vor vier Jahren – und die heiße Phase kommt erst.

Es wird damit gerechnet, dass die Beteiligung das hohe Niveau bis zuletzt halten wird. Laut dem „U.S. Elections Project“ könnte sogar der seit 1908 geltenden Beteiligungsrekord geknackt werden: 150 Millionen Stimmen könnten bei der Wahl zwischen US-Präsident Donald Trump und Joe Biden abgegeben werden, das wäre eine Beteiligung von 65 Prozent. Bei der letzten Wahl zwischen Trump und Hillary Clinton hatten rund 60 Prozent gewählt. Wegen der Coronavirus-Pandemie spielt die frühe Stimmabgabe heuer eine besonders große Rolle.

Besonders hoch ist die frühe Wahlbeteiligung in den bevölkerungsreichen und damit im US-Wahlsystem besonders relevanten Staaten Texas, Kalifornien und Florida, wie aus den Daten hervorging. Im umkämpften Texas wurden diesen zufolge bereits 87 Prozent der Stimmen von 2016 abgegeben. Seit Wochen ruhen alle Augen auf dem Bundesstaat, der seit 30 Jahren an die Republikaner geht. Enge Umfragen und demografische Veränderungen hatten den Demokraten zuletzt Hoffnung gemacht, dass dieser die Seiten wechseln könnte.

Wähler in Louisiana stehen in einer Schlange
Reuters/Kathleen Flynn
Der Ansturm auf die frühe Stimmabgabe ist enorm

Viele Junge wählen früh

Das Biden-Lager dürfte auch zuversichtlich stimmen, dass sich bei der frühen Stimmabgabe vor allem bei den Jungen eine starke Wahlbeteiligung abzeichnet. Laut einer Analyse von NBC und der demokratischen Datenfirma TargetSmart hätten bisher sechs Millionen Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 29 früh gewählt – das sind vier Millionen mehr als bei der letzten Wahl.

Vor allem in „Swing-States“ wie Texas, Georgia, Florida und North Carolina habe sich die Zahl junger Wähler gegenüber dem letzten Urnengang mehr als verdoppelt. In dieser Altersgruppe liegt Biden Umfragen zufolge vorn. Auch bei den unregelmäßigen Wählern lasse sich ein Anstieg verzeichnen.

US-Wahlkampf geht ins Finale

Der US-Wahlkampf neigt sich dem Ende zu. Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch sein Widersacher Joe Biden versuchen auf den letzten Metern, ihr Basis zu mobilisieren.

Politische Tendenz offen

Nach den Daten des Projekts scheinen bisher erheblich mehr registrierte Demokraten als Republikaner gewählt zu haben. Eine politische Tendenz aus den Daten zur Wahlbeteiligung lässt sich aber aktuell kaum herauslesen. Einerseits dürften demokratische Wählerinnen und Wähler zur Briefwahl neigen und bei dieser Wahl aus Trump-Opposition womöglich eher wählen gehen.

„I voted“-Sticker
APA/AFP/Getty Images/Joe Raedle
Bis zum Wahltag bleibt alles offen – wegen des Faktors Briefwahl wohl auch darüber hinaus

Andererseits erwarten Politikbeobachter, dass das Lager des Präsidenten besonders am Wahltag selbst stark mobilisiert werden könnte. Wie die „Washington Post“ unter Berufung auf einen demokratischen Insider berichtete, halte die Partei es für „absolute möglich“, dass Trump am 3. November entscheidend aufhole.

Trump-Lager schielt auf den Wahltag

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass der Präsident seit Wochen Stimmung gegen die Briefwahl macht und seine Anhänger und Anhängerinnen daher ihre Stimmen ungeachtet der Pandemie eher am Wahltag abgeben könnten. Weiters sinkt Umfragen zufolge die Bereitschaft für eine verfrühte Stimmabgabe mit steigendem Alter – und Trumps Wählerbasis bei der letzten Wahl fand sich vor allem in den älteren Bevölkerungsgruppen.

Den Daten aus dem „U.S. Elections Project“ zufolge wurden bisher 47,8 Millionen Stimmen via Briefwahl abgegeben, 23,3 Millionen weitere bei der persönlichen verfrühten Stimmabgabe. Insgesamt hätten 90 Millionen Menschen die Briefwahl beantragt. Dieser starke Anteil wird wohl auch die Wahlnacht durcheinanderwirbeln.

Heikles Ringen um Ergebnis möglich

Normalerweise steht der künftige US-Präsident im Verlauf des Wahlabends fest. In diesem Jahr könnte das wegen der großen Zahl der Briefwahlstimmen anders verlaufen. Gerade bei engen Rennen in Schlüsselstaaten könnte es dauern, bis der Sieger ermittelt wird. Bei Medien und Wählern ist also Geduld gefragt. Trump hat aber wiederholt gefordert, das Wahlergebnis müsse schon am Wahlabend feststehen.

Beobachter halten besonders ein Szenario für möglich: Weil besonders viele Wähler der Demokraten per Post abstimmen und nicht am 3. November ins Wahlbüro gehen wollen, könnten Nachwahlbefragungen zunächst auf einen Trump-Sieg hindeuten. Das könnte sich aber nach Auszählung aller Briefwahlzettel umkehren. Einen solchen Biden-Sieg wiederum dürfte Trump als Anlass für neue Betrugsvorwürfe nehmen.

Das oberste Gericht gab außerdem bekannt, dass in zwei wichtigen US-Staaten per Post abgeschickte Stimmzettel auch dann zu zählen sind, wenn sie nach dem Wahltermin am 3. November eintreffen. In Pennsylvania sollen die Briefwahlunterlagen noch gelten, wenn sie bis zu drei Tage später eintreffen. In North Carolina sind es sogar neun Tage. Das Gericht ließ diese Entscheidung in Kraft. Trump und die Republikaner wollen, dass nur bis zum 3. November zugestellte Stimmzettel gezählt werden.