Mann mit Maske im Gesicht
APA/AFP/Noel Celis
Krisenkommunikation

Kampf gegen die Pandemiemüdigkeit

Für viele Menschen waren die vergangenen acht Monate Pandemie eine emotionale Reise zwischen Motivation und Erschöpfung. Damit Regierung, Land und Leute auch bis über das Ende der Krise kommen, muss die Bevölkerung bei der Stange gehalten werden, weiterhin gegen das Virus anzukämpfen. Dabei gibt es Fehler, die folgenreich sein können.

Die Bevölkerung müsse mithelfen und die Maßnahmen mittragen, so das Mantra, das weltweit seit Ausbruch der Pandemie hallt. Doch nach acht Monaten und inmitten der zweiten Infektionswelle hat sich Müdigkeit breitgemacht. „Eine Gruppe hat es satt, eine Gruppe weiß das alles schon und ergreift selbst sinnvolle Maßnahmen, eine Gruppe glaubt genau das Gegenteil, und die meisten haben mittlerweile andere Probleme.“ So formulierte es der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, in einem internen Strategiepapier, das an den Bundeskanzler adressiert war, laut „Falter“ Mitte Oktober.

Das Auftreten einer Erschöpfung wird in ganz Europa beobachtet: Im September gab das europäische Büro der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Rahmenwerk für Kommunikationsstrategien heraus, um der „Pandemic Fatigue“ entgegenzuwirken – die Staaten hatten dabei um Hilfe gebeten. Trotz der öffentlichen Unterstützung „melden die Mitgliedsstaaten Anzeichen von Pandemiemüdigkeit in ihrer Bevölkerung“, so das Papier.

Diese Ermüdungserscheinungen bei der Motivation seien eine „erwartete und natürliche Reaktion auf die anhaltende Krise der öffentlichen Gesundheit – nicht zuletzt, weil die Schwere und das Ausmaß der Covid-19-Pandemie die Umsetzung invasiver Maßnahmen mit beispiellosen Auswirkungen auf das tägliche Leben aller erforderlich gemacht haben, einschließlich derer, die nicht direkt vom Virus selbst betroffen sind“.

Vier strategische Hebel

Die WHO schlug den Regierungen vier Schlüsselstrategien vor, um die öffentliche Unterstützung für Schutzverhalten aufrechtzuerhalten und wiederzubeleben. Dazu gehörte etwa der Punkt „Menschen verstehen“, ihnen mit zielgruppengerechten und maßgeschneiderten Antworten zu begegnen. Als Beispiel wurde Frankreich angeführt: Hier habe das Gesundheitsministerium etwa im Rahmen einer Studie einen wöchentlichen Fragebogen über die Erfahrungen der Menschen an verschiedene Gruppen ausgegeben. Die Teilnehmenden wurden gebeten, ihr Leben zu dokumentieren, etwa auch durch Videoaufnahmen. So wurde mehr über Motivation und auch Ärger über Maßnahmen erfahren.

Die Menschen einzubinden, ihnen erlauben, ihr Leben weiterzuführen, ohne das Risiko zu erhöhen und Not zu erkennen und zu adressieren, waren die weiteren Strategien. Sie alle wurden im Detail erklärt und mit Best-Practice-Beispielen veranschaulicht.

Die WHO empfahl zudem größtmögliche Transparenz: Man müsse „die Gründe für Einschränkungen und an ihnen vorgenommene Änderungen mitteilen und die Grenzen von Wissenschaft und Regierung anerkennen“. Empfehlungen und Einschränkungen sollten fair sein, Botschaften konsequent. „Achten Sie auf die Koordination, um uneinheitliche Botschaften zwischen Experten und Sprechern zu vermeiden“, so das Dokument. Zudem sei Vorhersehbarkeit essenziell.

Motivation besser als Abschreckung

Die WHO lieferte auch gleich Vorschläge für konkrete Handlungen, etwa frühzeitig damit zu beginnen, sich auf nationale Feierlichkeiten vorzubereiten, bei denen sich Menschen über Regionen und Generationen hinweg versammeln. „Binden Sie Einzelpersonen, Arbeitsplätze, öffentliche Verkehrssysteme, den Einzelhandel, Seniorenheime und mehr in Diskussionen über Möglichkeiten zur Risikominderung in der Zeit vor diesen Ereignissen ein. Bitten Sie um ihren Beitrag und entwickeln Sie die Anleitung, die sie benötigen. Geben Sie klare Empfehlungen.“

„Viele Ansätze in diesem Strategiepapier kann ich gut nachvollziehen und auch unterstreichen“, so die Kommunikationsberaterin Birgit Kofler zu ORF.at. Kofler leitet eine Berateragentur und einen medizinischen Fachverlag. „Wer Sorgen und Ängste nicht erfragt, versteht und ernst nimmt, wird die Menschen nicht ‚abholen’ können, wie das immer gefordert wird.“ Es gebe Grundprinzipien, die sich in Krisenkommunikation bewährt hätten, so etwa die richtige Zielgruppenansprache. Ohne sie werde man „die notwendigerweise durchaus differenzierten Botschaften zu einem komplexen Sachverhalt nicht über alle Zielgruppen hinweg in gleicher Weise vermitteln können“. Ein anderes Prinzip sei es, neben dem Vermitteln von Wissen auch zur Verhaltensänderung zu motivieren. Das funktioniere in der Gesundheitsförderung und Prävention besser als Abschreckung.

Hürden in der Kommunikation

Kommunikationsfehler passieren, so Kofler. Man stehe ohne Erfahrungswerte in der größten Gesundheitskrise des Jahrhunderts. Nicht immer geglückt sei in den vergangenen Monaten aber etwa der Ansatz „Appellieren statt Beschuldigen“. Es habe immer Gruppen gegeben, die als schuldig identifiziert worden seien „von Balkan-Reisenden bis zu feiernden Jugendlichen“. „Aber wer die Adressaten einer Botschaft oder vielfältiger Appelle zum Problem oder zu den Verursachern erklärt, wird sie schwer ins Boot für die Lösung bekommen.“

Angst sei kein guter Ratgeber, so Kofler, auch wenn man der Verharmlosung nicht das Wort reden sollte. Wenn die Lage ernst sei, müsse man das auch klar kommunizieren und deutliche Warnungen aussprechen. In Österreich bestehe in der öffentlichen Kommunikation zur Pandemie „weniger das Problem, ob den Menschen Angst gemacht wird, sondern, dass nicht konsistent genug eine einheitliche Botschaft gesendet wird. Beispiele, die ja derzeit viel diskutiert sind, sind etwa verwirrende Zahlen aus unterschiedlichen Quellen; oder dass die unterschiedlichen Interessen verschiedener Ressorts (siehe Tourismus vs. Gesundheit) allzu deutlich werden, und die Einheitlichkeit der Botschaft stören“. Fehlende Konsistenz und Nachvollziehbarkeit von offiziell kommunizierten Informationen erschwere den Menschen das Mitmachen.

Ohne Konsistenz schwindet Vertrauen

Die Konsistenz als zentrale Trägerin der Krisenkommunikation – das sah auch der Strategie- und Krisenberater Johannes Vetter so. In der Ö1-Gesprächssendung „Klartext“ am Mittwoch sagte er, ohne sie sinke das Vertrauen. Zwischen Krisenkommunikation und politischer Kommunikation gebe es handwerkliche Unterschiede. In der politischen Kommunikation habe beispielsweise Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Idee, die Resonanz darauf lasse er aber erst einmal durch andere testen. So schicke er andere vor, die Vorschläge in die Öffentlichkeit brächten und die Reaktionen ernteten. „Man macht Marktforschung, auch in den Meinungsblasen, und dann entscheidet man sich. Das ist das Gegenteil dessen, was ich in einer Krise brauche. In einer Krise brauche ich Konsistenz. Weil, nur wenn ich konsistent bin, schaffe ich auch Vertrauen.“ Wenn nicht, kehre Fatalismus bei den Menschen ein.

Vetter plädierte auch für weniger Auftritte von Regierungspolitikern und dafür mehr von Expertinnen und Experten. In den USA gebe es Topberater Anthony Fauci, in Deutschland die Expertenschaft aus dem Robert-Koch-Institut. Auch in Österreich sollten die Fachkräfte vor den Vorhang geholt werden, so Vetter. „Wir haben die ja in Österreich.“