Sesselauf Tischen in einem geschlossenen Lokal.
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Wirtschaftsforscher

„Keine Alternative“ zu Lockdown

Der neuerliche Lockdown wird die heimische Wirtschaft erneut stark belasten – doch laut Experten gibt es „keine Alternative“, etwa um das Weihnachtsgeschäft oder den Wintertourismus zu retten. Die Wachstumsprognosen werden somit nicht halten, trotz Wachstums im heurigen Sommer.

Die heimische Wirtschaft hat sich im dritten Quartal spürbar vom starken Einbruch davor erholt. Die Wirtschaftsleistung stieg gegenüber dem Vorquartal um 11,1 Prozent, lag aber immer noch um 5,3 Prozent unter dem Vorjahreswert. Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 12,1 Prozent gegenüber Jänner bis März abgesackt und um 14,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert, so die Schnellschätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO).

Die starke Erholung innerhalb von drei Monaten hatte mehrere Gründe: die Lockerung der Auflagen im Zusammenhang mit den Virusinfektionen, die höhere Nachfrage der Konsumenten und damit gute Zahlen im Handel. Aber auch der Bau und der Dienstleistungssektor inklusive Tourismus trugen zur positiven Entwicklung bei.

Gegenüber dem Sommer 2019 weist die Statistik allerdings ein Minus von mehr als fünf Prozent aus. Für das gesamte Jahr erwarten die Wirtschaftsforscher noch ein Minus von annähernd sieben Prozent. Das Ausmaß der Rezession wird auch davon abhängen, wie sich das Schlussquartal entwickelt. Wegen der Maßnahmen aufgrund der steigenden Infektionszahlen dürfte die Prognose der Ökonomen nicht halten.

„Besser früher und kürzer“

Trotz allem sieht WIFO-Chef Christoph Badelt keine Alternative zu einem neuerlichen Lockdown. Das Infektionsgeschehen müsse im Griff sein, etwa um das Weihnachtsgeschäft oder den Wintertourismus doch noch zu beleben, so Badelt in der ZIB. Es sei sicher „besser, einen früheren Lockdown einzuführen, der dann kürzer ist, als später einen einzuführen, der länger sein müsste und dann vielmehr Schaden anrichtet“, so Badelt.

Starke Belastung für die Wirtschaft

Die geplanten CoV-Maßnahmen werden die heimische Wirtschaft wieder stark belasten. Wirtschaftsforscher sehen wenig Alternativen zu schärferen CoV-Maßnahmen.

Ähnlich äußerte sich Martin Kocher vom Institut für Höhere Studien (IHS). Es sei nicht die „ganz große Katastrophe“, weil nur ein Teil der Wirtschaft betroffen sei. Dennoch seien die Maßnahmen für die Betroffenen „wirklich fatal“. Es sei eine „Lose-lose-Situation“, sagte Kocher dann in der ZIB2, denn die Wirtschaft leide auch, wenn die Infektionszahlen weiter steigen. Mittlerweile sei man aber besser auf derartige Maßnahmen eingestellt. Kocher geht auch von einer höheren Konsumbereitschaft nach dem Ende der Coronavirus-Maßnahmen aus.

Keine neuen Hilfspakete nötig

Eine Auffettung des 50 Milliarden Euro schweren Rettungsschirms sei nicht nötig, sagte Badelt. Die Maßnahmen seien im Grunde ausreichend. „Sie müssten nur besser und schneller und unbürokratischer wirklich den Weg zum Zielpublikum finden.“ Auch Kocher plädierte für schnelle und unbürokratische Hilfe für Wirtschaftsbetriebe, neue Hilfspakete seien aber nicht nötig. Wichtig sei, dass der Lockdown nicht lange dauere. Die Aussicht sei dennoch nicht rosig: „Es wird schwierig für die Wirtschaft. Die Stimmung trübt sich ein.“

Kocher über wirtschaftliche Folgen der Einschränkungen

Martin Kocher, Wirtschaftsforscher und Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), spricht über die Auswirkungen der geplanten Maßnahmenverschärfung auf die Wirtschaft.

Maßnahmen und Hilfspakete für die Wirtschaft alleine würden aber nicht reichen. Es brauche auch eine funktionierende Teststrategie und entsprechende Unterstützung im privaten Bereich, damit die Maßnahmen auch dort eingehalten werden, so Kocher weiter. Er warnte weiters vor den Problemen auf dem Arbeitsmarkt, die sich gerade verstärken würden.

Länge des Lockdowns entscheidend

Die tatsächlichen Auswirkungen auf das vierte Quartal würden vor allem davon abhängen, wie streng und wie anhaltend der Lockdown sein werde, so Franz Schellhorn, Chef der wirtschaftsliberalen Agenda Austria, im Ö1-Mittagsjournal. Klar sei aber, dass sich „die Prognose von einer um sieben Prozent schrumpfenden Wirtschaft nicht halten wird, dass es eher in acht, in Richtung acht, neun Prozent gehen wird mit einer stark steigenden Arbeitslosigkeit“.

Die Gefahr bei Krisen sei auch, dass konjunkturstützende Maßnahmen irgendwann nicht mehr wirken würden, weil die Leute mehr sparen würden – umso mehr, je mehr Angst sie hätten. Und solange es keine Medikamente bzw. Impfung gegen das Virus gebe, werde es wohl immer wieder Lockdowns und im Anschluss Erholungen geben. Daher sei aus jetziger Sicht die für 2021 prognostizierte Erholung nicht sehr wahrscheinlich.

AMS bereitet sich auf neuen Anstieg vor

Das Arbeitsmarktservice (AMS) bereitet sich unterdessen auf einen möglichen Anstieg der Arbeitslosen- und Kurzarbeitszahlen vor, ebenso das Arbeitsministerium. Man sei im „ständigen Austausch mit unterschiedlichen Arbeitsmarktexpertinnen- und experten“, hieß es aus dem Ministerium. Im März und April schossen die Arbeitslosenzahlen auf ein Rekordhoch seit 1945.

Mitte April waren 588.000 Personen in Österreich ohne Job, ein Plus von 220.000 Betroffenen gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt. Von Mitte April bis September sanken die Arbeitslosenzahlen, seitdem steigen sie wieder. Zuletzt gab es 416.000 Arbeitslose und AMS-Schulungsteilnehmer, die Anzahl der krisenbedingten Arbeitslosen lag bei knapp unter 70.000. Der Höhepunkt der Kurzarbeit wurde im Mai mit 1,35 Millionen Personen erreicht. Ende September waren noch knapp 300.000 Personen in Kurzarbeit.

Kocher schloss am Donnerstag nicht aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in Österreich heuer wieder auf über 500.000 steigt. Die Höhe sei allerdings weniger entscheidend als die Frage, ob die Arbeitslosigkeit temporär oder von längerer Dauer sei. Wenn sich die Arbeitslosigkeit verfestige, habe das größere Folgen als eine kurzfristig hohe Arbeitslosenzahl.