Menschen mit Schutzmasken auf der Mariahilferstraße
ORF.at/Carina Kainz
Unklarheiten, Rechtswidrigkeiten?

Anwälte analysieren Lockdown-Verordnung

Seit gestern die zweite Lockdown-Verordnung bekanntgegeben worden ist, mehren sich die Reaktionen von Juristinnen und Juristen. Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff erachtet den Verordnungstext als „bemüht, aber noch nicht perfekt“. Scharfe Kritik übt der Wiener Rechtsanwalt Florian Horn.

Die Regierung zeige Wolff zufolge diesmal einen sorgsameren Zugang bei der Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte als im März und sie habe sich sichtlich um mehr Sorgfalt bei den Regelungen bemüht. Aber im wichtigen Bereich der Ausgangsbeschränkungen sei der Auslegungsspielraum bei manchen Ausnahmen „extrem groß“ – und lasse wieder viele Problemfälle erwarten.

Vieles sei „sehr schwammig“ und nicht ausreichend erklärt. Die Bürgerinnen und Bürger wüssten damit nicht, was sie tun dürfen und was nicht – und die Exekutive werde es „sehr schwer“ haben, diese Regelungen umzusetzen. So stelle sich schon die Frage, wie man einem Polizisten, wenn er einen um 23.00 Uhr aufhalte – wie gefordert –, „glaubhaft machen“ kann, dass man soeben die Großmutter besucht habe. „Da ist vorprogrammiert, dass es viele Problemfälle geben wird“, die dann erst wieder von den Gerichten geklärt werden müssten, meinte Wolff im Gespräch mit der APA.

„Familiäre Rechte und Pflichten“

Zudem blieben die in der Verordnung aufgezählten Ausnahmen vom prinzipiell zwischen 20.00 und 6.00 Uhr geltenden Ausgangsverbot teilweise viel zu unklar. So werde nicht erläutert, was die „Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten“ umfasse. Ebenfalls keine Erklärung finde sich in der Verordnung dafür, was unter „Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“ zu verstehen ist, bemängelt Wolff. Dazu müsse man erst die Erläuterungen zum Covid-19-Maßnahmengesetz lesen. Da finde man dann, dass etwa auch die Fahrt zum Zweitwohnsitz oder die Versorgung von Tieren darunter falle.

Rechtsanwälte-Präsidenten Rupert Wolff
APA/RAK/Julia Hammerle
Rechtsanwälte-Präsident Wolff erkennt Unklarheiten im Verordnungstext

Verweis auf frühere VfGH-Aufhebungen

Auffällig ist für den Juristen, dass mit der neuen Lockdown-Verordnung gleichzeitig gelindere Maßnahmen (Betretungsverbote, Masken- und Abstandspflicht) und die „ganz harte“ Ausgangssperre verfügt werden. Laut dem zugrunde liegenden Covid-19-Maßnahmengesetz seien Ausgangssperren die Ultima Ratio für den Fall, dass gelindere Maßnahmen nicht reichen, um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern.

Es sei zu hoffen, dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) stichhaltig belegen könne, warum eine so harte Maßnahme nötig sei, meinte Wolff – unter Hinweis darauf, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Coronavirus-Regeln, wie den Mindestabstand von Restauranttischen, wegen fehlender Dokumentation aufgehoben hatte.

Die Lockdown-Verordnung sei – neben jener vom März – einer der massivsten Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte in der Zweiten Republik. Also seien besondere Vorsicht, größte Transparenz und umfassende Kommunikation geboten. Diesbezüglich habe sich die Regierung durchaus bemüht, anerkennt der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Das sehe man etwa daran, dass die Ausgangssperren nur nachts und nicht – wie im März – durchgängig gälten, oder auch darin, dass nicht das Betreten jeder Art von Betriebsstätte untersagt sei.

Horn: Verordnung teils rechtswidrig

Insbesondere die Regelungen zu den Ausgangsbestimmungen hält der Wiener Anwalt Horn unterdessen ebenso für rechtswidrig wie auch jene zu den Partyverboten in Gärten, Garagen, Scheunen oder Schuppen, wie er gegenüber der APA erklärte. Zu den Ausgangsbeschränkungen zwischen 20.00 und 6.00 Uhr sagte er, die Regelung sei „äußerst unbestimmt, weil die Ausnahmen so weitgehend sind, dass sie das Verbot überhaupt aufzuheben scheinen“. Insbesondere der Ausnahmegrund „Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung“ könnte aufgrund des „Bestimmtheitsgrundsatzes“ verfassungswidrig sein, so Horn: Aus dem Verordnungstext gehe zu wenig konkret hervor, was gemeint sei.

Auch sieht Horn die Regelung wegen der Bezugnahme auf den „eigenen privaten Wohnbereich“ als „hochproblematisch“. Denn die Bestimmung, wonach das „Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs“ und das „Verweilen außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs“ in den Nachtstunden nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, bedeute im Umkehrschluss, dass man sich zu dieser Zeit in fremdem privaten Wohnraum nicht aufhalten dürfe, wie es auch die Regierung kommuniziert hatte.

Für Horn ist das „rechtswidrig“, denn jemand könnte versuchen, auf diese Regelung „eine polizeiliche Nachschau (in den betroffenen Wohnungen, Anm.) zu stützen“. Eine solche Nachschau wäre „verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig“. Die Regierung betonte allerdings stets, Derartiges sei nicht geplant.

Unstimmigkeiten bei Definition von privatem Wohnraum

Die Bestimmung zum eigenen privaten Wohnraum selbst sei auch gesetzwidrig, so Horn. Denn der private Wohnbereich sei im Covid-19-Maßnahmengesetz, auf das die Verordnung Bezug nimmt, von Regelungen explizit ausgenommen. So heißt es im Gesetz, dieses ermächtige „zur Regelung des Betretens und des Befahrens von Betriebsstätten, Arbeitsorten, bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit (…)“ Als „bestimmte Orte“ werden „bestimmte öffentliche und bestimmte private Orte mit Ausnahme des privaten Wohnbereichs“ definiert (§1 (3) COVID-19-MG). „Daher dürfte das gar nicht geregelt werden“, so Horn.

Bei den Besuchsverboten bzw. Einschränkungen in Gärten, Garagen, Scheunen und Schuppen fehlt für Horn die Rechtsgrundlage. Diese Regelung findet sich in der Verordnung unter den Veranstaltungsbestimmungen. Veranstaltungen sind demnach grundsätzlich verboten, wobei es unter anderem eine Ausnahme für den „privaten Wohnbereich“ gibt. Allerdings gelten jene Orte nicht als privater Wohnbereich, „die nicht der Stillung eines unmittelbaren Wohnbedürfnisses dienen“, was laut Verordnung eben Gärten, Garagen, Scheunen und Schuppen betrifft.

Problematisch bei diesem Passus ist laut Horn, dass die Verordnung den Begriff der Veranstaltung nicht definiert und auch keine Zahl nennt, ab wann ein Treffen als Veranstaltung gilt. Daher bleibe nur der Bezug auf das Epidemiegesetz, auf dem die Verordnung ebenfalls fußt. Dort findet sich in §15 die Möglichkeit zur Einschränkung von Veranstaltungen, „die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen“. Der Knackpunkt ist laut Horn der Begriff „größerer Menschenmengen“. „Das sind weder sechs Personen noch ist das ein privates Kleintreffen von zwei oder drei Personen.“ Ein Verbot von derartigen Treffen sei daher gesetzwidrig – daher „dürfte der Verfassungsgerichtshof das aufheben“, so Horn.