SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner
ORF
Rendi-Wagner

Experten sollen Maßnahmen evaluieren

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner hat am Sonntagabend in der ZIB2 eine unabhängige Expertengruppe gefordert, die die beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus überprüfen soll. Einen entsprechenden Antrag werde die SPÖ bei der Sondersitzung am Dienstag im Nationalrat einbringen. Die SPÖ hatte zuvor im Hauptausschuss mit der Regierung grünes Licht für die neuen Coronavirus-Maßnahmen gegeben, aber wie NEOS und FPÖ auch heftige Kritik geübt.

„Entscheidend ist, dass wir die Wirksamkeit der Maßnahmen endlich beweisen können“, sagte Rendi-Wagner. Die Expertengruppe müsse auch untersuchen, wie lange die Maßnahmen umgesetzt werden müssen. „Skeptisch“ zeigte sich Rendi-Wagner bezüglich der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen, die die SPÖ in dem vom Hauptausschuss beschlossenen Paket mitgetragen hatte. Ob sie einer etwaigen Verlängerung, die nach zehn Tagen notwendig wäre, zustimmen würde, ließ sie offen.

Lob fand Rendi-Wagner für die Teststrategie für Pflegeheime und Risikogruppen, die in der Verordnung vorgesehen ist. Zufrieden zeigte sich die Parteichefin auch damit, dass in der notwendigen Unterstützung für betroffene Unternehmen eine Arbeitsplatzgarantie enthalten ist. Beim ersten Lockdown habe man die Unternehmen „alleine gelassen“, und diese hätten mit „panikartigen Kündigungen“ reagiert. Das dürfe jetzt nicht passieren.

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner im Interview

In der ZIB2 erläuterte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner unter anderem, weshalb ihre Partei im Hauptausschuss des Nationalrates dem zweiten Lockdown zugestimmt hat.

Scharfe Kritik an Regierung

Wie in der ZIB2 hatte Rendi-Wagner schon zuvor in einem Pressestatement nach der Hauptausschusssitzung die Regierung auch scharf kritisiert: „Die Bundesregierung hat die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren und hat die schwierige Situation, vor der wir jetzt stehen, zu verantworten“, so die SPÖ-Parteivorsitzende.

„Acht Monate lang hat sie keine Vorbereitungen für den Worst Case getroffen. Sie hat der Bevölkerung unterschiedliche Signale gegeben, die Situation schöngeredet und noch vor Kurzem einen zweiten Lockdown in Abrede gestellt. Jetzt steht Österreich vor einem medizinischen Kollaps, in den uns die Regierung hineinmanövriert hat.“

Dennoch zugestimmt

Der „Riesenvorsprung“, den man im Frühjahr gehabt habe, wäre zu halten gewesen, sagte Rendi-Wagner nach der Sitzung: „Der Vorsprung wurde im Sommer verspielt.“ Sie kritisierte die unklare Kommunikation mit der Bevölkerung und auch intern. Und: „Die letzten acht Monate hätte man ein zielgenaues Maßnahmenbündel für den Tag X erarbeiten müssen.“

Spät, aber doch habe die Bundesregierung gehandelt. Sie forderte mehr Evidenz und mehr Transparenz bei Daten. Dennoch habe die SPÖ dem Paket zugestimmt: „Nichts zu tun wäre falsch, und deshalb nimmt die SPÖ ihre Verantwortung wahr und hat der Verordnung zugestimmt.“

NEOS: Ausgangsbeschränkungen „unverhältnismäßig“

Auch NEOS-Partei- und -Klubchefin Beate Meinl-Reisinger bezeichnete die Lage vor der Sitzung als „ernst“ und sah dringenden Handlungsbedarf. Ihrer Partei sei es dabei aber wichtig, „dass jede Einschränkung begründet, evidenzbasiert und verhältnismäßig ist“. „Bedauerlicherweise gab es keinen Raum oder Möglichkeit für die Oppositionsparteien, im Dialog über einzelne Punkte zu debattieren und zu verhandeln. Das ist insofern schade, als es offenbar kein Interesse an einem echten Schulterschluss gibt“, kritisierte Meinl-Reisinger.

NEOS hätte den weit überwiegenden Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen mitgetragen, etwa auch die Schließungen der Gastronomie. Die Ausgangsbeschränkungen von 20.00 bis 6.00 Uhr halten sie aber „für unverhältnismäßig, irreführend, und sie werden zu vielen Polizeikontrollen und Strafen führen“. „In diesem Punkt können wir nicht zustimmen“, so die Parteichefin. Darüber hinaus plädierte NEOS dafür, Museen und Tierparks wie im ersten Entwurf vorgesehen offen zu halten.

Meinl-Reisinger sagte danach in der ORF-Sendung „Im Zentrum“, sie bedaure, dass sie gegen die gesamte Verordnung stimmen musste. In einigen Punkten habe sie aber rechtsstaatliche Bedenken. Und sie kritisierte den Kommunikationsstil der Regierung: Sie habe von der Verordnung aus den Medien erfahren, am Samstag sei sie dann in einem Gespräch „informiert“ worden. Raum für eine „ehrliche und offene Debatte“ und „Raum für Veränderungen“ habe es nicht gegeben.

„Im Zentrum“: Verliert Österreich die Kontrolle?

Österreich bereitet sich auf neue, weitreichende Schritte der Regierung im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie vor. Kann Österreich gar die Kontrolle über die Pandemie verlieren? Darüber diskutierten bei Claudia Reiterer Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), Beate Meinl-Reisinger (Bundesparteivorsitzende NEOS), Renate Anderl (AK-Präsidentin), Thomas Czypionka (Gesundheitsökonom, Institut für Höhere Studien) und Barbara Friesenecker (stv. Leiterin der Allgemein Chirurgischen Intensivstation der Medizinischen Universität Innsbruck und Vorsitzende ARGE Ethik)

FPÖ sieht „Blindflug“

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl bezeichnete den Lockdown in einer Aussendung als tiefgreifenden Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte. Die „Gesprächsrunde“ der Regierung am Samstag mit den Klubobleuten im Parlament sei „eine Verhöhnung der Volksvertreter“ gewesen: „In diesem Schnelldurchlauf hat die Regierung nicht einmal mehr so getan, als hätte sie die Bereitschaft, auch nur irgendeine Anregung anzunehmen oder auf Fragen konkret zu antworten“, sagte Kickl. Die Regierung sei jeden faktenbasierten Kausalzusammenhang zwischen den einzelnen Maßnahmen und der Reduktion der Infektionen, Krankenhausaufenthalte etc. schuldig geblieben. „Alles bleibt reine Ideologie und Propaganda“, so Kickl.

FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch kritisierte nach dem Beschluss im Hauptausschuss, dass die Maßnahmen weder „evidenzbasiert“ noch verhältnismäßig seien. Für die Ausgangsbeschränkungen zwischen 20.00 und 6.00 Uhr gebe es keine Begründungen. Und es gebe auch keine Daten zu Clusterbildungen nach Privatpartys. Die FPÖ-Politikerin sprach von einem „Blindflug“ des Gesundheitsministers und der gesamten Regierung.

Sobotka: „Sachliche und pointierte“ Diskussion

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sprach in einer um eineinhalb Stunden verspäteten Pressekonferenz am Abend von einer „schwierigen“, aber „sachlichen und pointierten“ Diskussion im Hauptausschuss. Er meinte, dass von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die „Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Richtigkeit“ der Maßnahmen erläutert worden seien. Zudem betonte Sobotka die Wichtigkeit der im Covid-19-Maßnahmengesetz vorgesehenen Mitsprache des Parlaments bei Maßnahmen, bei denen auch die Freiheitsrechte betroffen seien.

Lockdown: Kein parlamentarischer Schulterschluss

Anders als im Frühjahr gab es im Hauptausschuss des Nationalrates keinen Schulterschluss für den Lockdown, der am Dienstag in Kraft treten wird. Neben den Regierungsparteien stimmte nur die SPÖ zu, FPÖ und NEOS zeigten den Maßnahmen die kalte Schulter.

Der Nationalratspräsident zitierte auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie als „demokratische Zumutung“ bezeichnet hatte. Dem sei nicht nur zuzustimmen, das sei auch zu unterstreichen, sagte er. Die Eindämmung der Pandemie könne aber nur gelingen, wenn sich alle Österreicher einbringen. Der Beschluss alleine reiche nicht, die Maßnahmen müssten auch im Geiste verinnerlicht werden.

Anschober optimistisch

Anschober zeigte sich optimistisch, dass es damit gelingen werde, die Infektionszahlen in Österreich zunächst zu stabilisieren und dann schrittweise wieder zu senken. Er verwies darauf, dass mit dem Beschluss im Hauptausschuss die Verordnung „in Rekordtempo“ umgesetzt werde. Und das sei auch „absolut notwendig, denn es ist ein Wettlauf mit der Zeit, dass die Maßnahmen rechtzeitig wirken, bevor Österreichs Intensivstationen überlastet sind“.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger (ÖVP) bedankte sich bei der SPÖ, dass sie die Verordnung mit beschloss, und zeigte sich überzeugt, dass diese vor dem Verfassungsgerichtshof halten würde. „Die Maßnahmen sind verhältnismäßig und gut begründet. Selten wurde eine Verordnung mit so viel Expertise begleitet“, verwies Wöginger auf die tausend Seiten an sachlicher Begründung, die der Verordnung beiliegen.

Auch die Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, sah die Verordnung „extrem gut begründet“. Sie habe daher keine Sorgen, dass sie vom VfGH aufgehoben werden könnte. Sie machte aber auch deutlich, dass die Grünen mit den Eingriffen und Einschränkungen alles andere als glücklich sind: „Die ganze Verordnung tut uns weh. Wir wollten nie, dass es zu einem zweiten Lockdown kommt. Aber wir haben keine andere Wahl. Es ist alternativlos. Es ist verhältnismäßig und leider notwendig.“