Bett mit Monitor auf einer Intensivstation
Getty Images/Jackyenjoyphotography
Plus 78 Prozent

CoV-Fälle belasten Intensivstationen

Die aktuelle Coronavirus-Welle belastet die heimischen Spitäler immer stärker. Seit Montag vergangener Woche seien 62 Prozent mehr Patienten und Patientinnen mit Covid-19 aufgenommen worden, auf den Intensivstationen lägen 78 Prozent mehr Menschen mit Covid-19, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag. Gemeinsam mit Experten und Expertinnen warnte er einmal mehr vor den Folgen.

Alleine von Sonntag auf Montag sei die Zahl der Covid-19-Patienten und -Patientinnen in Intensivbehandlung um 45 Personen gestiegen, so Anschober, sie liege nun bei 336. 213 Personen seien neu in Behandlung gekommen, aktuell seien in Summe 2.161 Menschen mit Covid-19 in Spitälern aufgenommen – jeweils eine „sehr starke Steigerung“. Insgesamt gab es laut Anschober 4.135 Neuinfektionen.

Sollte diese Entwicklung in den Spitälern anhalten, könnte es im intensivmedizinischen Bereich kritisch werden, so Anschober. Sollte eine Reduktion nicht gelingen, „steuern wir auf eine erhebliche Krisensituation zu“, sagte der Gesundheitsminister. Man müsse „alles tun, um die Trendwende ab Mitte November zu erreichen“. Er gehe davon aus, „dass die Zahlen (was die Neuinfektionen betrifft, Anm.) in dieser Woche deutlich steigen werden“, da es noch eine Weile brauche, bis die jüngsten Maßnahmen entsprechend Wirkung zeigen.

Pressekonferenz des Gesundheitsministeriums

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), die Infektiologen Herwig Kollaritsch und Herwig Ostermann und Klaus Markstaller, Leiter Intensivmedizin im AKH, und Virologin Monika Redlberger-Fritz sprechen über die aktuelle CoV-Situation.

Anschober appellierte bei der Pressekonferenz am Vormittag einmal mehr an die Bevölkerung, die neuen Maßnahmen einzuhalten – und das nicht erst bei Inkrafttreten, sondern „ab sofort“ – und vor allem Kontakte zu reduzieren. Dabei sei es wichtig, dass „alle mitmachen“.

Einer von 100 muss auf Intensivstation

Von 100 Menschen mit einer Covid-19-Erkrankung brauchten fünf Prozent eine Hospitalisierung, jeder Fünfte müsse auf die Intensivstation, sprich einer von 100, so Klaus Markstaller, Leiter der Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin im Wiener AKH. Wenn die Infektionszahlen steigen, würden auch diese Zahlen entsprechend steigen.

Er verwies darauf, dass jede Person die gleiche Qualität der intensivmedizinischen Versorgung verdiene, egal ob aufgrund eines Autounfalls oder wegen einer Viruserkrankung. Das Problem sei die Expertise, man wolle ja den Patienten die bestmögliche Qualität der Versorgung liefern. Diese Expertise könne man nicht binnen Monaten dramatisch steigern, daher sei das eine endliche Ressource. Man müsse nun die Dynamik einfangen, denn es gebe auch nicht Hunderte freie Betten, „die gab es nie“. Das System sei nicht darauf ausgelegt, dass deutlich mehr Patienten kommen und lange liegen müssen.

Personal wird zuerst knapp

Die Tiroler Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker von der MedUni Innsbruck sagte am Sonntag, dass das größte Problem im Intensivbereich die Personalzahl sei. Gerade die Betreuung von Covid-19-Intensivpatienten sei sehr aufwendig, schilderte sie in der ORF-Sendung „Im Zentrum“. „Es braucht eine sehr hohe Pflegeexpertise“, sagte Friesenecker.

„Im Zentrum“: Verliert Österreich die Kontrolle?

Österreich bereitet sich auf neue, weitreichende Schritte der Regierung im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie vor.Kann Österreich gar die Kontrolle über die Pandemie verlieren? Darüber diskutierten bei Claudia Reiterer Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), Beate Meinl-Reisinger (Bundesparteivorsitzende NEOS), Renate Anderl (AK-Präsidentin), Thomas Czypionka (Gesundheitsökonom, Institut für Höhere Studien) und Barbara Friesenecker (stv. Leiterin der Allgemein Chirurgischen Intensivstation der Medizinischen Universität Innsbruck und Vorsitzende ARGE Ethik)

„Es ist eher anzunehmen: Bevor uns die Ressourcen und die Betten ausgehen, gehen uns die Personen aus, die solche Patienten auch betreuen können“, sagte Friesenecker, auch Vorsitzende der ARGE Ethik in der Anästhesie und Intensivmedizin. „Wir sind nicht so ausgelegt, dass wir eine Pandemie bevorraten können. Wir sind so ausgelegt, dass wir im Normalbetrieb sehr knapp sind.“ Die Ärztin sagte, dass ein länderübergreifender Koordinator für Intensivplätze in der Zeit der Pandemie „sehr gut wäre“.

Aufruf zu Konsequenz bei Maßnahmen

Aufforderungen, die Maßnahmen einzuhalten, kamen auch von anderen bei der Pressekonferenz am Montag anwesenden Experten wie dem Infektiologen Herwig Kollaritsch, Teil der Coronavirus-Taskforce, und Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien. In der aktuellen epidemiologischen Lage gehe es darum, die effektive Reproduktionszahl – sie liegt aktuell bei 1,4, ein Infizierter steckt im Durchschnitt 1,4 Personen an – zu senken, sagte Kollaritsch. Er veranschaulichte das mit konkreten Beispielen: Bei einer effektiven Reproduktionszahl von 0,9 reduzieren sich die Neuinfektionen binnen drei Monaten um 90, binnen sechs Monaten um 99 Prozent.

Gelinge es, die effektive Reproduktionszahl auf 0,5 zu drücken, sei eine Senkung der Neuinfektionen um 90 Prozent schon binnen zwei Wochen, eine Reduktion um 99 Prozent innerhalb von vier Wochen möglich, so der Experte. Die neuen Maßnahmen seien unangenehm, „keine Frage“, aber Israel habe gezeigt, dass man mit einem Lockdown die Zahlen deutlich nach unten drücken kann. Je nach Lockerung rechne er für die Zukunft mit Wellenbewegungen, so Kollaritsch.

Je intensiver die Kontakte seien, desto schneller breite sich das Virus aus, sagte Herwig Ostermann, Chef der Gesundheit Österreich GmbH. Aktuell sei nicht klar, warum es in ganz Europa einen derart sprunghaften Anstieg bei den Infektionen gebe, die jeweiligen Hypothesen würden erst geprüft, und es werde noch dauern, bis es entsprechende Antworten gebe. Die gute Nachricht sei, dass man mit den Maßnahmen die effektive Reproduktionszahl drücken könne – das aber eben nur, wenn diese konsequent umgesetzt werden.

Impfstoff löst nicht alle Probleme

Von einem Impfstoff könne man sich keine Wunderdinge erwarten, dämpfte Kollaritsch die Hoffnung, ein solcher könnte die Pandemie zügig beenden. Nur mit einem transmissionsblockierenden Impfstoff, mit dem die Bevölkerung breit durchgeimpft wird, sei Herdenimmunität zu erreichen. Er rechnet damit, dass es im ersten Quartal 2021 einen oder mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichen Baustrukturen und Eigenschaften geben wird, die gezielt eingesetzt werden können. Nicht für jedermann sei damit Impfschutz zu erzielen. „Wir sind schon glücklich, wenn wir damit 70 Prozent der Bevölkerung erreichen“, meinte Kollaritsch.

Wichtig sei es daher, „auf Monate, vielleicht viele Monate“ die Schutzmaßnahmen – das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, das Beachten des Mindestabstands zum Nächsten und das Reduzieren von Sozialkontakten – beizubehalten. Das sei so lange ein Muss, „bis wir sagen können: Brand aus“, so der Infektiologe.

Dem schloss sich die Virologin Redlberger-Fritz an. Die Zahlen müssten bis Mitte November in den Griff zu kriegen sein, „sonst müssen wir die Maßnahmen verlängern“. Seit zwei Wochen zeige SARS-CoV-2 eine „immense Grundzirkulation in der Bevölkerung“. War im Rahmen einer seit dem Frühjahr laufenden wissenschaftlichen Untersuchung vor einigen Monaten noch bei fünf von 100 Personen mit einem respiratorischem Infekt, also an der Lunge, das Coronavirus nachweisbar, sei dieser Wert in der vorletzten Woche auf 21 von 100, in der vergangenen Woche auf 40 gestiegen, so die Virologin.