Ausstellung ohne Besucher
ORF.at/Kaja Stepien
Kultur-Lockdown

Verständnis, Unmut und Forderungen

Seit Samstag gibt es Gewissheit. Der gesamte Kultur- und Veranstaltungsbereich muss laut der geltenden Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung ab Dienstag bis zumindest Ende November seine Türen für das Publikum schließen. Die Betroffenen äußern neben Verständnis auch Unmut und Handlungsanforderungen an die Politik.

Als im Mai die strengen Regeln des ersten Lockdowns im Zuge der Coronavirus-Pandemie gelockert wurden, waren sich Kunst- und Kulturschaffende, Veranstalter, Kulturinstitutionen und das Publikum rasch einig: Kunst und Kultur sind „Lebensmittel“, die für unsere Gesellschaft unabdingbar, ja „systemrelevant“ sind.

Über den Sommer etablierte die österreichische Kulturlandschaft vorbildliche Sicherheitskonzepte. Großveranstaltungen waren zwischenzeitlich in Innenräumen für maximal 1.500 Besucherinnen und Besucher, im Freiluftbereich für maximal 3.000 Besucherinnen zugänglich, sofern fix zugewiesene Sitzplätze garantiert wurden. Warum müssen die Institutionen jetzt dennoch erneut schließen?

„Privater Bereich“ auch in Kulturinstitutionen?

Stets wurde die Sicherheit der Gäste in Theatern, Opernhäusern, Kinos und Museen betont. Genau wie in öffentlichen Verkehrsmitteln konnte bisher keine Ansteckung dezidiert auf den Besuch einer Kulturveranstaltung zurückgeführt werden. Die meisten Cluster wurden in privaten Haushalten festgestellt. Nur wie das Virus dort hineingetragen wird, ist beim zunehmend überfordertem Contact-Tracing in den meisten Fällen nicht zu eruieren. Damit konnten auch Kulturinstitutionen zur Verbreitung des Virus beitragen, wird argumentiert. „Das Betretungsverbot von Freizeitbetrieben dient dem Ziel der im Lichte des epidemiologischen Geschehens erforderlichen Reduktion nicht erforderlicher sozialer Kontakte“, heißt es in den Erläuterungen zu den Maßnahmen.

Mayer: „Auch mir blutet das Herz“

Am Freitag wandte sich die grüne Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer mit einem Schreiben an Vertreter der österreichischen Kunst- und Kulturszene. Nach dem Lockerungen im Sommer habe man das „kulturelle Leben in einem vertretbaren Maß wieder hochgefahren. Diese Lockerungen waren richtig und wichtig, weil Kunst und Kultur ein essenzieller Bestandteil unseres Lebens sind.“

Hilfe für Kulturschaffende

Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, hat am Montag erstmals zu den vielen Fragen aus der Kulturszene angesichts des zweiten Lockdowns Stellung genommen – und verspricht Hilfe.

Sie bedankte sich bei „allen Beteiligten im Kunst- und Kulturbetrieb für ihre unermüdliche Arbeit an den Sicherheits- und Präventionskonzepten und für deren durch die Bank vorbildliche Umsetzung“. Mayer bedauerte in dem Schreiben zutiefst, dass man jetzt erneut auf einen Großteil des Kulturlebens verzichten müsse. „Geschlossene Kulturbetriebe sind eine Katastrophe. Sie sind aber derzeit notwendig, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern.“

„Auch mir blutet deshalb das Herz. Es braucht jetzt aber eine gemeinsame Kraftanstrengung der gesamten Bevölkerung, um die Ausbreitung des Virus wieder in den Griff zu bekommen“, so Mayer.

Verständnis und Unmut als erste Reaktionen

Bereits kurz nach Verkünding der neuen Fassung der Covid-19-Maßnahmenverordnung gab es erste Reaktionen aus der Kulturbranche. So zeigte sich Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater Holding, Verständnis: „Der Lockdown – so schmerzlich er ist – ist auch aus Sicht der Bundestheater nachvollziehbar. (…) Wir müssen uns der Realität stellen, dass es ein übergeordnetes Interesse gibt: die Gesundheit der Bevölkerung.“

Kritik kam trotz „Verständnis für gewisse Regelungen“ von Burgtheater-Direktor Martin Kusej: Die erneuten Schließungen seien „eine echte Katastrophe. Und ich habe Mühe, meinen Unmut darüber zu unterdrücken, in welche Kategorien unsere Arbeit und die Arbeit aller anderen Kulturschaffenden dieses Landes eingeordnet werden.“

Auch in den Museen gibt es Enttäuschung. In dem am Freitag zirkulierten Entwurf zur neuen Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung waren diese noch von dem Lockdown ausgenommen, am Samstag gab die Regierung aber dann doch deren Schließung bekannt. Traurig und enttäuscht sei man, so Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina. Die Museen seien vorschnell geschlossen worden, meinte er am Montag im Ö1-Mittagsjournal. Einerseits akzeptiere er die Entscheidung der Regierung, andererseits sei ihm die Entscheidungsgrundlage völlig schleierhaft.

Bettina Leidl, Präsidentin des International Council of Museums (ICOM) Österreich meinte: „Die politisch Verantwortlichen wissen um die Bedeutung der Museen als wichtigste außerschulischen Bildungseinrichtungen. Die neuerliche Schließung der Museen schwächt die Museen, als zentrale Diskursorte, die gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren."

Zweiter Lockdown „zieht Verzweiflung mit sich“

Wenig Verständnis für die Maßnahmen im Kulturbereich ist auch aus der Steiermark zu hören. Es sei eine herbe Enttäuschung, dass die Kulturinstitutionen nun dennoch zusperren müssen, „(…) natürlich zieht ein zweiter Lockdown eine gewisse Verzweiflung mit sich“, sagte der Direktor des steirischen Universalmuseums Joanneum, Wolfgang Muchitsch – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

In Oberösterreich setzt sich die Kulturbranche mit den Fragen nach einer Komplettabsage oder der Organisation eines Ersatztermins von Veranstaltungen auseinander – mehr dazu in ooe.ORF.at. In der Vorarlberger Kunst- und Kulturszene regt sich Widerstand – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Handlungsaufforderungen an die Regierung

Was bei den Interessensvertretungen der Kulturbranche Frust erzeugt, ist die mangelnde Planbarkeit aufgrund der Schließungen. Der Fachverband der Film- und Musikindustrie (FAMA) hob in einer Reaktion gegenüber der APA die weitreichenden Auswirkungen der Schließung der Kinos hervor.

„Für Filme, die gerade in den österreichischen Kinos liefen und für neue, die im November starten wollten, gehen Ausgaben der Verleiher in Lizenzen und Vorbereitungen verloren“, erläuterte FAMA-Referentin Monique Goeschl gegenüber der APA und forderte Hilfen für die Filmverleiher: „Es wäre wichtig, dass der soeben eingerichtete Umsatzersatz nicht nur für die direkt betroffenen Kinos gilt, sondern ebenso für die 1:1 mit betroffenen Filmverleiher.“

Autor Gerhard Ruiss
APA/Hans Punz
Gerhard Ruiss fordert „dringend eine Kulturpolitik, die über Soforthilfemaßnahmen hinausgeht“

Laut Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG Autorinnen Autoren, bestehe der einzige Unterschied zur Situation im März im Vorhandensein von Unterstützungsfonds, „die über die ärgste Not hinweghelfen können und jetzt schnell auf den aktuellen Stand gebracht werden müssen“. Was aber alle Fonds zusammengenommen nicht könnten, „ist, den Kunst- und Kultureinrichtungen und Künstlerinnen und Künstlern die verloren gehende kulturelle Öffentlichkeit zurückzugeben“. Daher fordert die IG Autorinnen und Autoren „dringend eine Kulturpolitik, die über Soforthilfemaßnahmen hinausgeht“.

Simone Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, stimmte dem zu. „Der wahre Crash des Kulturlebens droht aber in den kommenden Monaten.“ Aufträge für Künstlerinnen und Künstler sowie Produktionen blieben aus, Planungsperspektiven für notwendige Vorbereitungs- und Probenarbeiten existierten nicht, finanzielle Sicherheit gebe es derzeit lediglich bis Jahresende, wenn die Fonds nach aktuellem Stand auslaufen. Auch das Publikum breche immer mehr weg. Daher richtete Gimpel einen dringenden Appell an die Politik: „Wenn die freie Kulturszene nach der Krise nicht bei null beginnen soll, braucht es ein umfassendes Investitionsprogramm, das nicht nur kurzfristig, sondern zumindest bis Ende 2021 angelegt ist.“

Opposition sieht „Ungleichbehandlung“

Kritik an der Schließung der Kulturinstitutionen kam auch vonseiten der Opposition. SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda sieht darin eine „Ungleichbehandlung“: „Schon beim ersten Lockdown gab es unterschiedliche Regelungen für Flugzeuge, Restaurants und Kulturbetriebe. Jetzt wird abermals die Kultur – zum Beispiel im Vergleich zu Kirchen ­ ungleich behandelt und schlechter gestellt, obwohl die Kultureinrichtungen hervorragende Präventionsmaßnahmen gesetzt haben und so gut wie keine Ansteckungen aus Theatern oder Museen bekannt sind“, so Drozda.

Das Mindeste sei nun, die Wirkung der neuen Lockdown-Maßnahmen wissenschaftlich von Experten überprüfen zu lassen, wie bereits SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner gefordert hatte. Als positiv bewertet die SPÖ, dass ihre Forderung nach Einnahmenersatz aufgegriffen worden sei und der Ersatz von 80 Prozent des Vorjahresumsatzes administriert über die Finanzämter komme.

Die FPÖ forderte unterdessen ein „unverzügliches Öffnen“ aller Kunst- und Kultureinrichtungen, die zuvor als „coronavirussicher“ eingestuft wurden. Dabei verwies man auf die UNO-Menschenrechtserklärung und das darin verlautbarte Recht eines jeden Menschen auf Teilhabe am kulturellen Leben und der Freude an den Künsten.

„Es gibt keinen Anhaltspunkt auf eine nennenswerte Cluster-Bildung innerhalb von Museen oder Konzertveranstaltungen. Die Betreiber haben investiert, die Auflagen ohne Wenn und Aber umgesetzt und (Bundeskanzler Sebastian, Anm.) Kurz, (Vizekanzler Werner, Anm.) Kogler und Mayer vertraut“, so FPÖ-Kultursprecher Volker Reifenberger.