Laut Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl wurde am Dienstag nach 20.00 Uhr per Notruf gemeldet, dass ein Mann mit einer Schrotflinte schießt. Daraufhin wurden die Einsatzkräfte Richtung Seitenstettengasse, nahe einer Synagoge, beordert. Dort kam es zu einem Schusswechsel, „bei dem ein Kollege schwer verletzt wurde“, berichtete Pürstl. Ein Passant verstarb unmittelbar nach der Tat an seinen Verletzungen, eine weitere Frau erlag im Krankenhaus ihre schweren Verletzungen. Die Vorfälle seien aber noch nicht „differenziert aufgearbeitet“, so Pürstl. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei wurde der mutmaßliche Täter getötet.
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Schwer bewaffnet
Er sei sei mit einem automatischen Sturmgewehr, aber auch mit einer Pistole und einer Machete bewaffnet gewesen. Dass der Mann einen Sprengstoffgürtel bzw. eine Attrappe getragen habe, wie mehrfach kolportiert, ist bisher nicht bestätigt. Berichten zu Folge gab es mindestens einen weiteren Täter. Die Polizei überprüft derzeit die Identität des Getöteten und in weiterer Folge sein Umfeld.
Zum Zeitpunkt der Tat waren die Straßen sehr belebt – viele Menschen nutzten die lauen Temperaturen des letzten Abends vor dem Lockdown, um noch einmal Fortzugehen. Laut Polizei gab es sechs Tatorte im unmittelbarer Nähe zur Seitenstettengasse – darunter der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben.
„Bitte bleiben Sie zu Hause“
Die Hintergründe des Anschlags sind noch unklar. Nehammer bestätigte, dass mindestens ein Täter flüchtig sei. Die Sicherheitsbehörden konnten bisher aber nicht ausschließen, dass es mehr als zwei Täter gab und somit noch mehrere Menschen auf der Flucht sind. Der dringende Aufruf, am Dienstag zu Hause zu bleiben gelte daher nicht nur für die Wiener Innenstadt. Schulkinder sollten nach Möglichkeit zu Hause bleiben, für Eltern, denen es nicht möglich ist, ihre Kinder zu betreuen, sind Schulen und Kindergärten aber geöffnet.
Die Wiener Innenstadt wurde laut Innenministerium zur „roten Zone“ erklärt, die nach internationalen Erfahrungen am anfälligsten für weitere Taten sei. Der Großeinsatz der Exekutive läuft weiter. 150 Cobra- sowie 100 WEGA-Beamte wurden in den Einsatz gerufen, dazu kamen mehrere 100 Streifenpolizisten sowie Kräfte in Zivil. Die Gefahrenabwehr werde mit aller Kraft sichergestellt, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Auch werden in Absprache mit den Partnerländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen.

Innenstadt „rote Zone“
Die Polizei äußerte die dringende Bitte, Bilder und Video nicht in den Sozialen Netzwerken zu verbreiten, sondern sie der Exekutive zur Verfügung zu stellen. Menschen, die noch in ihren Zufluchtsstätten im ersten Bezirk ausharren, sind laut Harald Sörös, Sprecher des Innenministeriums dazu aufgerufen, sich beim Polizeinotruf zu melden. Die Polizei prüfe dann, ob ein Verlassen der Lokalitäten sicher sei. Es werde weiterhin jedem Ermittlungshinweis nachgegangen, so Sörös. Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, Fotos oder Videos des Einsatzes nicht in sozialen Medien zu teilen, sondern sie direkt auf der Polizeiplattform hochzuladen.
Kurz: Gefahr noch nicht gebannt
Ob die nahe gelegene Synagoge Ziel des Angriffs war, lasse sich noch nicht bestätigen, so eine Sprecherin des Innenministeriums. Ein antisemitischer Anschlag könne nicht ausgeschlossen werden, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
„Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“
Bundeskanzler Sebastian kurz wendet sich in einer Videoschaltung an die Bevölkerung. Wien sei „Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“ geworden. Sein Dank gilt allen Einsatzkräften.
Kurz rief die Bevölkerung dazu auf, sich Dienstagfrüh über die aktuelle Sicherheitslage zu informieren. Ob die Menschen morgen wieder normal auf die Straße gehen könnten, hänge von der kommenden Nacht ab. Die Gefahr sei noch nicht vollständig gebannt. Es handle sich „definitiv“ um einen Terroranschlag. Dieser sei „sehr professionell“ vorbereitet worden. Auch der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer appellierte an Schüler und Eltern, sich vor Schulbeginn über die aktuelle Sicherheitslage zu informieren.

Nach dem Anschlag in Wien wurde auch das Bundesheer aktiviert. Das Militär übernimmt sämtlichen Objektschutz in der Bundeshauptstadt. Teile des Jagdkommandos stehen zur Unterstützung der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung, hieß es Montagabend aus dem Bundeskanzleramt.
Schockierende Augenzeugenberichte
Am Abend kursierten mehrere Videos, die eine Blutlache vor einem Lokale zeigten. Ein anderes Video zeigte einen maskierten Schützen, der auf offener Straße zumindest zwei Schüsse abfeuerte „Es hat sich nach Krachern angehört“, schilderte ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, gegenüber dem ORF. „Dann hat man gemerkt, das sind Schüsse. Dann sah man eine Person die Seitenstetten herunterlaufen, der hat mit einer automatischen Waffe wild geschossen. Der ist dann abgebogen, hinunter, beim (Lokal) ‚Roter Engel‘ von dort in Richtung Schwedenplatz. Er hat dort wild weitergeschossen. Dann kam die Polizei und hat geschossen.“

Rätseln über Motiv
Auf Sozialen Netzwerken folgten schnell Spekulationen über einen dschihadistischen Hintergrund. Das wurde zunächst nicht bestätigt. Das auf die Überwachung islamistischer Websites spezialisierte US-Unternehmen SITE zitierte auf seiner Website einen Dschihadisten zu dem mutmaßlichen Anschlag in Wien: „Dschihadist sagt, der Angriff in Wien ist ‚Teil der Rechnung‘ für die österreichische Beteiligung an der US-geführten Koalition“, heißt es dort in einem Satz. Beigestellt ist ein Bild aus der Wiener Innenstadt.
Die deutsche „Bild“-Zeitung berichtete – mit einem verpixelten Foto –, dass der wahrscheinliche Haupttäter ein IS-Anhänger sei. Er habe die Tat am Montag auf Instagram angekündigt. Das könne man vorerst nicht bestätigen, so Innenministeriums-Sprecher Sörös.
Unklar ist nach wie vor auch, inwieweit der Stadttempel und die Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) ein Anschlagsziel waren. Die Synagoge wie die Bürogebäude seien nicht mehr in Betrieb gewesen, so IKG-Präsident Oskar Deutsch auf Twitter. Es könne jedenfalls nicht gesagt werden, ob der Stadttempel eines der Ziele gewesen sei.