Eingeschossene Glasscherben eines Garagenaufgangs
Reuters/Radovan Stoklasa
Vier Todesopfer in Wien

Täter hatte islamistischen Hintergrund

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat nach dem Terroranschlag Montagabend in Wien in einer Pressekonferenz Dienstagfrüh eine erste Bilanz gezogen und die Bevölkerung aufgerufen, daheim zu bleiben. Seine Gedanken seien bei den Opfern und deren Angehörigen. Fünf Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben: Der fünfte Tote ist ein Attentäter, der mittlerweile identifiziert wurde. Sieben Personen befinden sich in lebensbedrohlichem Zustand, hieß es am Vormittag. Es sei ein Anschlag von mindestens einem Islamisten gewesen, so Nehammer in der Früh.

Der Attentäter war 20 Jahre alt, hatte nordmazedonische Wurzeln und war einschlägig wegen terroristischer Vereinigung (§ 278b StGB) vorbestraft. Das gab Nehammer der APA am Vormittag bekannt. Wie Nehammer im Gespräch mit der APA darlegte, haben bereits umfangreiche Großrazzien im Umfeld des Täters stattgefunden. Konkret wurden 15 Hausdurchsuchungen vorgenommen und mehrere Personen festgenommen.

Der Attentäter besaß neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. „Er war mit einer Sprengstoffgürtelattrappe und einer automatischen Langwaffe, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete ausgestattet, um diesen widerwärtigen Anschlag auf unschuldige Bürgerinnen und Bürger zu verüben“, erklärte der Innenminister am Vormittag. Der Täter sei IS-Sympathisant gewesen. In seinem Umfeld werde ermittelt.

Die Regierung beschloss Dienstagvormittag eine dreitägige Staatstrauer. Es sei eine Situation, wie sie Österreich noch nie erlebt habe, so Nehammer zuvor in der Früh. Es sei ein völlig untauglicher Versuch gewesen, „unsere demokratische Gesellschaft zu schwächen“. „Das lassen wir uns auf keinen Fall und auf keine Weise von wem auch immer gefallen“, so Nehammer. Man könne nicht ausschließen, dass es weitere Täter gegeben habe, so Nehammer in der Früh.

Spurensicherung an einem der Tatorte in der Wiener Innenstadt
Reuters/Radovan Stoklasa
Spezialisten untersuchen einen der Tatorte

Mehrere Personen festgenommen

Sieben Polizisten machten laut den Angaben am Montagabend im Zuge der Terrorattacke von ihren Dienstwaffen Gebrauch. Der Täter sei um 20.09 Uhr „neutralisiert“ worden, so Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Nehammer in der Früh. Die Wohnung des Täters wurde laut dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, gewaltsam mit Sprengstoff geöffnet und durchsucht. Die Frage, ob es sich bei einer von Zeugen wahrgenommenen Detonation in der Nacht in Simmering um diese Wohnungsöffnung gehandelt haben könnte, wurde vom Innenminister nicht verneint. Ebenso wenig gab es Informationen dazu, ob bei der Hausdurchsuchung an seiner Wohnadresse weitere Menschen angetroffen wurden oder andere Personen dort gemeldet waren.

Pressekonferenz des Innenministeriums nach dem Terroranschlag in Wien

Der getötete Terrorist in Wien ist laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ein Anhänger der Terrormiliz IS. Er habe einen Sprengstoffgürtel getragen, der aber eine Attrappe gewesen sei. Zudem habe er ein Sturmgewehr benützt.

Das Innenministerium bestätigte in der Früh mehrere Hausdurchsuchungen „im Umfeld des Täters“. Es seien mehrere Personen festgenommen worden, hieß es aus dem Innenministerium nach der Pressekonferenz. Derzeit würden noch Ermittlungen laufen, ob es weitere Täter gibt, sagte der Minister bei der Pressekonferenz.

Vier Todesopfer und 17 Verletzte

In der Früh war ein weiteres Todesopfer zu beklagen. Wie Nehammer der APA bestätigte, verstarb eine Frau im Alter zwischen 40 und 50 Jahren in der Klinik Ottakring, dem ehemaligen Wilhelminenspital. Damit wurden bei dem Anschlag am Montagabend vorerst fünf Menschen – zwei Frauen und zwei Männer sowie der Täter – getötet. Bei einer der getöteten Frauen handelt es sich laut ORF um eine Kellnerin.

Sieben Personen befänden sich in lebensbedrohlichem Zustand, teilte eine Sprecherin des Gesundheitsverbunds der APA am Dienstag mit. Über die Identität der Betroffenen wurden keine Angaben gemacht. Insgesamt würden 17 Opfer des Angriffs in mehreren Spitälern behandelt – vorwiegend mit Schuss-, aber auch mit Schnittverletzungen, sagte die Sprecherin.

Zehn Personen haben mittlere bis leichte Verletzungen. Dass Betroffene aus dem Spital entlassen werden, sei jedoch noch nicht absehbar, sagte die Sprecherin. Die Situation sei auch psychisch herausfordernd: „Die Patienten stehen unter Schock.“ Der bei dem Anschlag verletzte Polizist befindet sich in „kritisch-stabilem“ Zustand.

Hilfe via Telefon

Psychiatrische Soforthilfe für Wien, 24-Stunden-Hotline: +43 1 31330
Notfallpsychologischer Dienst Österreich, 24-Stunden-Hotline: +43 699 188 554 00

Aufruf, daheim zu bleiben

Unter den Verletzten war auch ein junger Polizist. Der 28-Jährige versah gerade seinen Dienst in der Innenstadt, als er dem auf Passanten schießenden Täter begegnete und von diesem ebenfalls angeschossen wurde. Der Gesundheitszustand des verletzten Polizisten war Dienstagfrüh weiterhin kritisch, aber stabil. Das sagte der Sprecher des Wiener Gesundheitsverbunds, Christoph Mierau, auf APA-Anfrage. Der Schwerverletzte wurde auf der Intensivstation eines Wiener Krankenhauses behandelt.

Ein bzw. der Täter wurde von der Polizei erschossen. Ob der identifizierte IS-Sympathisant Komplizen hatte, ist weiter unklar. Wie der Sprecher des Innenministeriums, Harald Sörös, mitteilte, gehen die Behörden von maximal vier Tätern aus. Die Ermittlungen liefen „auf Hochtouren“, hieß es.

„Wenn möglich, bleiben Sie daheim, wenn sie nicht aus beruflichen Gründen das Haus verlassen müssen“, so Nehammer. Er rief dazu auf, die Wiener Innenstadt zu meiden. Es herrsche am Dienstag in Wien keine Schulpflicht, so Nehammer weiter. Die Schulen in Wien sind heute nur im „Notbetrieb“ – mehr dazu in wien.ORF.at

Unklarheit über Anzahl der Täter

Nach dem Anschlag ist weiterhin unklar, ob es ein Einzeltäter oder mehrere Attentäter waren, die mehrere Menschen töteten und zahlreiche weitere verletzten.

Suche nach weiteren Tätern läuft

Seit den Abendstunden läuft eine Großfahndung nach weiteren Tätern. Laut Pürstl wurde am Montag nach 20.00 Uhr per Notruf gemeldet, dass ein Mann mit einer Schrotflinte schieße. Daraufhin wurden die Einsatzkräfte Richtung Seitenstettengasse nahe der Synagoge beordert. Dort kam es zu einem Schusswechsel, „bei dem ein Kollege schwer verletzt wurde“, berichtete Pürstl.

Augenzeuge Florian L. zu den Vorfällen

Floran L. hat die Situation auf dem Schwedenplatz miterlebt und schildert seine Erlebnisse. Er hat den Täter gesehen, konnte diesen jedoch nicht genau identifizieren.

Ein Passant erlag unmittelbar nach der Tat seinen Verletzungen, eine Frau erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ein Passant starb ebenfalls, Dienstagfrüh verstarb eine weitere Frau. Die Vorfälle seien aber noch nicht „differenziert aufgearbeitet“, so Pürstl. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei wurde der mutmaßliche Täter getötet. Die Polizei will jetzt die unterschiedlichen Tatorte „abgehen“ und ein Weg-Zeit-Diagramm erstellen, um festzustellen, ob das Vorgehen für einen Einzeltäter überhaupt möglich ist oder ob es weitere Täter gibt.

ORF-Journalist Budgen über die Tatorte

Patrick Budgen berichtet aus der Wiener Innenstadt über die unterschiedlichen Tatorte und Fundstellen der Opfer und darüber, wie die Polizei feststellen will, ob es noch weitere Täter gab.

Innenstadt als „rote Zone“

Zum Zeitpunkt der Tat waren die Straßen sehr belebt – viele Menschen nutzten die lauen Temperaturen des letzten Abends vor dem Lockdown, um noch einmal fortzugehen. Laut Polizei gab es sechs Tatorte in unmittelbarer Nähe zur Seitenstettengasse – darunter der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben.

Die Tatorte in der Wiener Innenstadt

Die Wiener Innenstadt wurde laut Innenministerium zur „roten Zone“ erklärt, die nach internationalen Erfahrungen am anfälligsten für weitere Taten sei. Der Großeinsatz der Exekutive lief in der Nacht weiter. 150 Cobra- sowie 100 WEGA-Beamte wurden zum Einsatz gerufen, dazu kamen mehrere 100 Streifenpolizisten sowie Kräfte in Zivil. Die Gefahrenabwehr werde mit aller Kraft sichergestellt, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Ruf, in der Nacht. Auch werden in Absprache mit den Partnerländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen.

Menschen verlassen Burgtheater nach einem Terroranschlag in Wien
APA/Herbert Neubauer
Stunden nach der Tat konnten Besucherinnen und Besucher des Burgtheaters unter Polizeischutz nach Hause

Polizei: Fotos und Videos nicht online teilen

Menschen, die noch in ihren Zufluchtsstätten im ersten Bezirk ausharrten, waren laut Sörös aufgerufen, sich beim Polizeinotruf zu melden. Die Polizei prüfe dann, ob ein Verlassen der Lokalitäten sicher sei. Es werde weiterhin jedem Ermittlungshinweis nachgegangen, so Sörös. Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, Fotos oder Videos des Einsatzes nicht in Social Media zu teilen, sondern sie direkt auf die Polizeiplattform hochzuladen.

Mehr als 20.000 Videos seien auf die Plattform der Polizei hochgeladen worden, so Ruf in der Früh weiter. 20 Prozent der Videos seien bisher ausgewertet worden, so Nehammer.

Kurz: Anschlag „sehr professionell vorbereitet“

Ob die nahe gelegene Synagoge Ziel des Angriffs war, lasse sich noch nicht bestätigen, so eine Sprecherin des Innenministeriums. Ein antisemitischer Anschlag könne nicht ausgeschlossen werden, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

„Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“

Bundeskanzler Sebastian Kurz wendet sich in einer Videoschaltung an die Bevölkerung. Wien sei „Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“ geworden. Sein Dank gilt allen Einsatzkräften.

Kurz rief die Bevölkerung auf, sich über die aktuelle Sicherheitslage zu informieren. Es handle sich „definitiv“ um einen Terroranschlag. Dieser sei „sehr professionell“ vorbereitet worden. Nach dem Terroranschlag sind die Fahnen am Bundeskanzleramt und der Präsidentschaftskanzlei seit Dienstagfrüh auf halbmast gesetzt, teilte ein Sprecher mit. Auch in allen Ministerien und öffentlichen Gebäuden werden die Flaggen auf halbmast wehen.

Trauerbeflaggung und Gedenken an Todesopfer

Die Regierung beschloss in ihrer Sondersitzung nach dem Terroranschlag in Wien eine dreitägige Staatstrauer. Bis inklusive Donnerstag werden die öffentlichen Gebäude mit Trauerbeflaggung versehen. Die Schulen sollen zu Unterrichtsbeginn am Mittwoch der Todesopfer gedenken, geht aus dem Ministerratsvortrag hervor.

Fahnen auf Halbmast vor der Präsidentschaftskanzlei
APA/Helmut Fohringer
Die Flaggen vor der Präsidentschaftskanzlei sind auf halbmast

„Die Republik Österreich war, ist und wird immer eine Nation der Vielfalt, des Dialoges und des Respektes füreinander sein, umso mehr haben die Ereignisse vom 2. November 2020 unser Land schwer erschüttert und betroffen gemacht“, heißt es in dem Regierungsbeschluss. Mit der Staatstrauer werden die Flaggen an Bundesgebäuden auf halbmast gesetzt und die Landeshauptleute aufgefordert, das auch in ihrem Bereich zu veranlassen.

Das Attentat bezeichnet die Regierung als „Anschlag auf die Freiheit und Demokratie“. Die Regierung werde mit allen verfügbaren Kräften an der weiteren Aufklärung der Situation arbeiten. Und: „Die Republik Österreich und wir als Bundesregierung werden die Freiheit, die Demokratie und die Werte unseres Zusammenlebens entschlossen und mit allen gebotenen Mitteln verteidigen. Darüber hinaus werden wir mit unseren internationalen Partnern und Freunden gemeinsam gegen Terrorismus und Extremismus ankämpfen.“ Zuletzt herrschte eine offizielle, damals viertägige Staatstrauer nach dem Tod von Bundespräsident Thomas Klestil im Jahr 2004. Klestil war kurz vor der Amtsübergabe an seinen bereits gewählten Nachfolger Heinz Fischer verstorben.

Schockierende Augenzeugenberichte

Das Bundesheer stellt neben Soldaten für den Objektschutz und Teilen des Jagdkommandos zur Terrorismusbekämpfung auch gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung. Das Militär hat noch in der Nacht vollständig den Objektschutz in Wien übernommen und unterstützt und entlastet damit die Polizei. „Wir sind im ständigen Austausch mit dem Innenministerium und werden keinen Millimeter weichen“, hieß es in einem Beitrag in Sozialen Netzwerken.

Am Abend kursierten mehrere Videos, die eine Blutlacke vor einem Lokale zeigten. Ein anderes Video zeigte einen maskierten Schützen, der auf offener Straße zumindest zwei Schüsse abfeuerte. „Es hat sich nach Krachern angehört“, schilderte ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, gegenüber dem ORF. „Dann hat man gemerkt, das sind Schüsse. Dann sah man eine Person die Seitenstetten herunterlaufen, der hat mit einer automatischen Waffe wild geschossen. Der ist dann abgebogen, hinunter, beim (Lokal) ‚Roter Engel‘ von dort in Richtung Schwedenplatz. Er hat dort wild weitergeschossen. Dann kam die Polizei und hat geschossen.“

Zahlreiche Polizeiautos und Rettungwägen am Schwedenplatz in Wien.
APA/Georg Hochmuth
Das betroffene Gebiet wurde großräumig abgesperrt

IKG sperrt alle Einrichtungen

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) schloss nach dem Terroranschlag alle Synagogen. Betroffen seien in Wien zudem sämtliche Einrichtungen wie koschere Restaurants, Supermärkte und Schulen, sagte Erich Nuler, Sprecher des Krisenstabs. Zudem seien die Sicherheitsvorkehrungen österreichweit verstärkt worden. Gemeindemitglieder wurden weiters dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben.

Bewaffnete Polizisten vor einem Einsatzfahrzeug.
APA/Georg Hochmuth
Ein Großaufgebot der Polizei war in der Wiener Innenstadt im Einsatz

Weiters wisse man nicht, ob der Anschlag in der Seitenstettengasse, wo sich auch der Stadttempel befindet, der IKG gegolten habe. Gesichert sei allerdings, dass der Täter auf zwei Menschen vor dem Gebäude geschossen habe, sagte der Sprecher. Man sei in enger Abstimmung mit den ermittelnden Behörden wie Landespolizeidirektion und Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Der Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister war Zeuge, er habe zumindest einen Täter gesehen, sagte er dem ORF – mehr dazu in religion.ORF.at.