Tote in Wien

Erste Details über Attentäter

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat am Dienstagvormittag nach dem Anschlag in Wien mit fünf Toten, darunter auch der Attentäter, und 17 Verletzten – sieben darunter lebensgefährlich – Details über den Attentäter bekanntgegeben. Der Attentäter, der nach dem Anschlag in der Wiener Innenstadt von der Polizei erschossen wurde, war 20 Jahre alt, hatte nordmazedonische Wurzeln und war einschlägig wegen terroristischer Vereinigung (Paragraf 278b StGB) vorbestraft.

Bei dem jungen Mann handle es sich zweifelsfrei um einen Anhänger der radikalislamischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Er wurde am 25. April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Am 5. Dezember wurde er vorzeitig bedingt entlassen – er galt als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes (JGG). Von Polizeikräften erschossen wurde der 20-Jährige in der Nähe der Ruprechtskirche, teilte der Innenminister mit.

Wie Nehammer im Gespräch mit der APA darlegte, haben bereits umfangreiche Großrazzien im Umfeld des Täters stattgefunden. Konkret wurden 15 Hausdurchsuchungen vorgenommen und mehrere Personen festgenommen. Auch in St. Pölten wurden Dienstagfrüh zwei Hausdurchsuchungen in Zusammenhang mit dem Anschlag in Wien durchgeführt – mehr dazu in noe.ORF.at.

Spurensicherung an einem der Tatorte in der Wiener Innenstadt
Reuters/Radovan Stoklasa
Die Spurensicherung bei der Arbeit

Auch mit Machete und Faustfeuerwaffe bewaffnet

Der Attentäter besaß neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. „Er war mit einer Sprengstoffgürtelattrappe und einer automatischen Langwaffe, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete ausgestattet, um diesen widerwärtigen Anschlag auf unschuldige Bürgerinnen und Bürger zu verüben“, sagte der Innenminister. Es sei ein Anschlag von mindestens einem Islamisten gewesen, so Nehammer in der Früh.

TV- und Radiohinweis

ORF2, ORF1 und ORF III sowie die ORF-Radios berichten umfassend über den Anschlag in Wien – mehr dazu in tv.ORF.at.

Nehammer bestätigte, dass der 20-Jährige vor dem Anschlag auf seinem Instagram-Account ein Foto gepostet hatte, das ihn mit zwei Waffen zeigt, die er später bei dem Anschlag verwendet haben dürfte. Unklar ist, ob der Mann auch einen Treueeid auf den IS veröffentlicht und nur Stunden vor der Tat Bekannten Videos von dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ weitergeleitet hatte.

Das nordmazedonische Innenministerium bestätigte am Dienstag die Zusammenarbeit mit Österreich in Zusammenhang mit dem Terroranschlag. Die österreichische Polizei habe durch Europol einen Antrag auf Zusammenarbeit gestellt, hieß es. Die Abteilung für internationale Polizeiarbeit habe diese bereits aufgenommen, berichtete das nordmazedonische Internetportal MKD unter Berufung auf das Innenministerium. Die nordmazedonischen Behörden machten bisher allerdings keine weiteren Angaben zum Täter bzw. dessen Familie.

Anwalt: An die falschen Freunde geraten

Der Wiener Strafverteidiger Nikolaus Rast, der den jungen Attentäter vor Gericht vertreten hatte, „hätte das nie für möglich gehalten, dass er zum Attentäter wird“. Der Mann stamme aus einer „vollkommen normalen Familie“. „Für mich war das ein Jugendlicher, der das Pech gehabt hat, an die falschen Freunde zu geraten. Wäre er nicht in eine Moschee, sondern zum Boxen gegangen, wäre er Boxer geworden“ – mit diesen Worten charakterisierte Rast den Attentäter.

Rast hatte den jungen Mann in dessen Terrorprozess vertreten. Rast, der den Anschlag vom Montag „aufs Allerschärfste“ verurteilte und den Angehörigen der Getöteten und Verletzten im Gespräch mit der APA seine tief empfundene Anteilnahme bekundete, vermutete Dienstagmittag, dass sich der Mann als Teenager in einer Moschee, die er regelmäßig besucht hatte, radikalisiert habe. Sein ehemaliger Mandant sei ein orientierungsloser Jugendlicher gewesen, der einen Platz im Leben gesucht habe, so Rast.

Während der gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Ermittlungen und nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wurde der spätere Attentäter laut Rast von einem Bewährungshelfer und dem Verein Derad betreut, der auf die Deradikalisierung islamistischer Straftäter spezialisiert ist. Offenbar wurde er Ende des Vorjahrs als nicht mehr gefährlich eingestuft – ansonsten wäre seine vorzeitige, mit 5. Dezember erfolgte bedingte Entlassung aus dem Gefängnis nicht bewilligt worden.

Nehammer: Weiterer Täter nicht auszuschließen

Man könne nicht ausschließen, dass es weitere Täter gegeben habe, so Nehammer in der Früh. Sieben Polizisten machten laut den Angaben am Montagabend im Zuge der Terrorattacke von ihren Dienstwaffen Gebrauch. Der Täter sei um 20.09 Uhr „neutralisiert“ worden, so Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Nehammer in der Früh. Die Wohnung des Täters wurde laut dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, gewaltsam mit Sprengstoff geöffnet und durchsucht. Die Frage, ob es sich bei einer von Zeugen wahrgenommenen Detonation in der Nacht in Simmering um diese Wohnungsöffnung gehandelt haben könnte, wurde vom Innenminister nicht verneint.

Pressekonferenz des Innenministeriums nach dem Terroranschlag in Wien

Der getötete Terrorist in Wien ist laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ein Anhänger der Terrormiliz IS. Er habe einen Sprengstoffgürtel getragen, der aber eine Attrappe gewesen sei. Zudem habe er ein Sturmgewehr benützt.

Vier Menschen von Attentäter getötet, 17 verletzt

In der Früh war ein weiteres Todesopfer zu beklagen. Wie Nehammer der APA bestätigte, verstarb eine Frau im Alter zwischen 40 und 50 Jahren in der Klinik Ottakring, dem ehemaligen Wilhelminenspital. Damit wurden bei dem Anschlag am Montagabend vorerst fünf Menschen – zwei Frauen und zwei Männer sowie der Täter – getötet. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gab am Dienstag erste Details zu den getöteten Anschlagsopfern bekannt. Es kamen ein älterer Mann und eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin ums Leben.

Sieben Personen befänden sich in lebensbedrohlichem Zustand, teilte eine Sprecherin des Gesundheitsverbunds der APA am Dienstag mit. Über die Identität der Betroffenen wurden keine Angaben gemacht. Insgesamt würden 17 Opfer des Angriffs in mehreren Spitälern behandelt – vorwiegend mit Schuss-, aber auch mit Schnittverletzungen, sagte die Sprecherin.

Zehn Personen haben mittlere bis leichte Verletzungen. Dass Betroffene aus dem Spital entlassen werden, sei jedoch noch nicht absehbar, sagte die Sprecherin. Die Situation sei auch psychisch herausfordernd: „Die Patienten stehen unter Schock.“ Der bei dem Anschlag verletzte Polizist befindet sich in „kritisch-stabilem“ Zustand.

Hilfe via Telefon

  • Psychiatrische Soforthilfe für Wien, 24-Stunden-Hotline: +43 1 31330
  • Notfallpsychologischer Dienst Österreich, 24-Stunden-Hotline: +43 699 188 554 00
  • Opfernotruf, 24-Stunden-Hotline: +43 800 112 112

Ermittlungen auf Hochtouren

Unter den Verletzten war auch ein junger Polizist. Der 28-Jährige versah gerade seinen Dienst in der Innenstadt, als er dem auf Passanten schießenden Täter begegnete und von diesem ebenfalls angeschossen wurde. Der Gesundheitszustand des verletzten Polizisten war Dienstagfrüh weiterhin kritisch, aber stabil. Das sagte der Sprecher des Wiener Gesundheitsverbunds, Christoph Mierau, auf APA-Anfrage. Der Schwerverletzte wurde auf der Intensivstation eines Wiener Krankenhauses behandelt.

Unklarheit über Anzahl der Täter

Nach dem Anschlag ist weiterhin unklar, ob es ein Einzeltäter oder mehrere Attentäter waren, die mehrere Menschen töteten und zahlreiche weitere verletzten.

Ein bzw. der Täter wurde von der Polizei erschossen. Ob der identifizierte IS-Sympathisant Komplizen hatte, ist weiter unklar. Wie der Sprecher des Innenministeriums, Harald Sörös, mitteilte, gehen die Behörden von maximal vier Tätern aus. Die Ermittlungen liefen „auf Hochtouren“, hieß es.

Augenzeuge Florian L. zu den Vorfällen

Floran L. hat die Situation auf dem Schwedenplatz miterlebt und schildert seine Erlebnisse. Er hat den Täter gesehen, konnte diesen jedoch nicht genau identifizieren.

Tathergang immer genauer rekonstruiert

Das Innenministerium präzisierte, an welchen Orten der Attentäter am Montagabend auf seine Opfer geschossen hatte. Er verletzte eine in einem bekannten Lokal beschäftigte Kellnerin am Ruprechtsplatz 1 tödlich. An derselben Adresse wurde der 20-Jährige später von Polizeikräften erschossen.

ORF-Journalist Budgen über die Tatorte

Patrick Budgen berichtet aus der Wiener Innenstadt über die unterschiedlichen Tatorte und Fundstellen der Opfer und darüber, wie die Polizei feststellen will, ob es noch weitere Täter gab.

Neben dem Tatort vor der Ruprechtskirche konnten mittlerweile zwei weitere tödliche Schussabgaben rekonstruiert werden. Ein Opfer wurde an der Adresse Fleischmarkt 4 getötet, ein weiteres am Franz-Josefs-Kai 21. Auf den schwer verletzten 28-jährigen Polizisten feuerte der Terrorist am Franz-Josefs-Kai 29. Der genaue zeitliche Ablauf war Dienstagmittag noch nicht geklärt.

Sechs Tatorte in unmittelbarer Nähe

Die Polizei will jetzt die unterschiedlichen Tatorte „abgehen“ und ein Weg-Zeit-Diagramm erstellen, um festzustellen, ob das Vorgehen für einen Einzeltäter überhaupt möglich ist oder ob es weitere Täter gibt.

Zum Zeitpunkt der Tat waren die Straßen sehr belebt – viele Menschen nutzten die lauen Temperaturen des letzten Abends vor dem Lockdown, um noch einmal fortzugehen. Laut Polizei gab es sechs Tatorte in unmittelbarer Nähe zur Seitenstettengasse – darunter der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben.

Die Tatorte in der Wiener Innenstadt

Die Wiener Innenstadt wurde laut Innenministerium zur „roten Zone“ erklärt, die nach internationalen Erfahrungen am anfälligsten für weitere Taten sei. Auch werden in Absprache mit den Nachbarländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen, etwa zu Deutschland und Italien.

Menschen verlassen Burgtheater nach einem Terroranschlag in Wien
APA/Herbert Neubauer
Stunden nach der Tat konnten Besucherinnen und Besucher des Burgtheaters unter Polizeischutz nach Hause

Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, Fotos oder Videos des Einsatzes nicht in Social Media zu teilen, sondern sie direkt auf die Polizeiplattform hochzuladen. Mehr als 20.000 Videos seien auf die Plattform der Polizei hochgeladen worden, so Ruf in der Früh weiter. 20 Prozent der Videos seien bisher ausgewertet worden, so Nehammer.

Schockierende Augenzeugenberichte

Das Bundesheer stellt neben Soldaten für den Objektschutz und Teilen des Jagdkommandos zur Terrorismusbekämpfung auch gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung. Das Militär hat noch in der Nacht vollständig den Objektschutz in Wien übernommen und unterstützt und entlastet damit die Polizei. „Wir sind im ständigen Austausch mit dem Innenministerium und werden keinen Millimeter weichen“, hieß es in einem Beitrag in Sozialen Netzwerken.

Am Abend kursierten mehrere Videos, die eine Blutlacke vor einem Lokal zeigten. Ein anderes Video zeigte einen maskierten Schützen, der auf offener Straße zumindest zwei Schüsse abfeuerte. „Es hat sich nach Krachern angehört“, schilderte ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, gegenüber dem ORF. „Dann hat man gemerkt, das sind Schüsse. Dann sah man eine Person die Seitenstetten herunterlaufen, der hat mit einer automatischen Waffe wild geschossen. Der ist dann abgebogen, hinunter, beim (Lokal) ‚Roter Engel‘ von dort in Richtung Schwedenplatz. Er hat dort wild weitergeschossen. Dann kam die Polizei und hat geschossen.“

Zahlreiche Polizeiautos und Rettungwägen am Schwedenplatz in Wien.
APA/Georg Hochmuth
Das betroffene Gebiet wurde großräumig abgesperrt

IKG sperrt alle Einrichtungen

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) schloss nach dem Terroranschlag alle Synagogen. Betroffen seien in Wien zudem sämtliche Einrichtungen wie koschere Restaurants, Supermärkte und Schulen, sagte Erich Nuler, Sprecher des Krisenstabs. Zudem seien die Sicherheitsvorkehrungen österreichweit verstärkt worden. Gemeindemitglieder wurden weiters dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben.

Bewaffnete Polizisten vor einem Einsatzfahrzeug.
APA/Georg Hochmuth
Ein Großaufgebot der Polizei war in der Wiener Innenstadt im Einsatz

Weiters wisse man nicht, ob der Anschlag in der Seitenstettengasse, wo sich auch der Stadttempel befindet, der IKG gegolten habe. Gesichert sei allerdings, dass der Täter auf zwei Menschen vor dem Gebäude geschossen habe, sagte der Sprecher. Man sei in enger Abstimmung mit den ermittelnden Behörden wie Landespolizeidirektion und Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Der Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister war Zeuge, er habe zumindest einen Täter gesehen, sagte er dem ORF – mehr dazu in religion.ORF.at.