Burgtheater-Direktor Martin Kusej informiert das Publikum nach Ende der Vorstellung über die Situation in der Wiener Innenstadt nach dem Anschlag
APA/Burgtheater/Lukas Beck
Wien-Attentat

Kulturabend im Ausnahmezustand

Viele der Wiener Kulturinstitutionen haben am Montag den letzten Abend vor dem neuerlichen Lockdown mit Vorstellungen und Publikumsgesprächen begehen wollen. In den Veranstaltungsorten der Wiener Innenstadt musste das Publikum aufgrund der Attentate teils stundenlang ausharren. Obwohl das mehrere tausend Menschen betraf, verlief der Abend überall ruhig und in besonnener Stimmung.

Für das Wiener Kulturpublikum begann der Abend mit Wehmut. Am Montag fanden die letzten Veranstaltungen vor dem Inkrafttreten der Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung statt, wodurch Theater, Opernhäuser, Museen und Konzertsäle sowie andere Freizeiteinrichtungen bis mindestens Ende November schließen müssen.

Was als ein feierlicher Abschied vor der erzwungenen Pause geplant war, wurde zu einem aufwühlenden und langen Abend für Tausende Kulturfreunde.

Gerüchte und aufleuchtende Displays im Publikum

In der Staatsoper, wo das Verismo-Operndoppel „Cavalleria Rusticana“ und „Pagliacci“ gegeben wurde, erfuhr die Leitung kurz vor der Pause, die gegen 20.40 Uhr startete, von ersten Gerüchten über eine Schießerei, berichtete eine Sprecherin der Oper gegenüber der APA. Die Idee, den Abend abzubrechen, verwarf man aber und entschied sich angesichts der Umstände für das Weiterspielen.

Auch in anderen Häusern wurde weitergespielt. Der Perkussionist Martin Grubinger spielte mit der Bläserphilharmonie Mozarteum Salzburg vor rund tausend Menschen im Wiener Konzerthaus. Er selbst erfuhr bereits nach dem ersten Stück von der Schießerei auf dem Schwedenplatz, wie er Ö1-Journalisten Bernt Koschuh erzählte. Grubinger habe nach einiger Zeit bemerkt, „dass eine gewisse Unruhe herrscht. Ich habe viele Leute gesehen, die immer wieder ihre Handys gecheckt haben.“

Grubinger wurde nach dem Konzert von den Behörden gebeten, die Leute im Saal zu behalten: „Wir haben dann noch ein zwei Zugaben gespielt, um ein bisschen Zeit zu gewinnen.“ In der Staatsoper erfuhren viele der Operngäste erst nach dem Schlussapplaus von Direktor Bogdan Roscic vom Ernst der Lage, als sich dieser vor den Vorhang begab und die Anordnung der Sicherheitsorgane verkündete, dass aufgrund des Terroranschlags derzeit niemand das Haus verlassen solle.

Auch im Burgtheater war die Bestätigung der Ausnahmesituation Chefsache. Nach Ende der Vorstellung von „Das Himmelszelt“ kurz nach 22.00 Uhr betrat Direktor Martin Kusej die Bühne und sagte zum Publikum: „Ich hätte heute, aus Anlass der letzten Vorstellung vor dem Lockdown gerne ein paar Sätze mit Ihnen geredet, leider gibt es in der Innenstadt eine dramatische Situation. Ich habe gesehen, dass im Zuschauerraum einige Handys aufgeleuchtet haben. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es am Schwedenplatz eine Schießerei gegeben hat, eventuell ein terroristischer Anschlag.“

Das Burgtheater und der Anschlag

Im Wiener Burgtheater hätte am Montagabend die letzte Vorstellung vor dem Lockdown stattfinden sollen. Aufgrund der Anschläge war das jedoch nicht wie geplant möglich.

Souveräne Künstler

Genau wie im Konzerthaus erfuhr die Leitung des Burgtheaters während der Vorstellung von der Ausnahmesituation. Die Künstler absolvierten ihre Vorstellungen in den betroffenen Häusern, teils trotz des Wissens um die Umstände, durchwegs souverän und professionell.

Davon berichtet auch Christoph Huber, künstlerischer Leiter des Jazzclubs Porgy & Bess in der Wiener Innenstadt, gegenüber ORF.at. Dort erfuhr die Gruppe Trio Infernal erst nach seinem Konzert vor 70 Besuchern von der bedrohlichen Situation vor den Türen des Clubs. Die Band spielte kurzerhand ein zweites Set für das Publikum, das auch im Porgy & Bess gebeten wurde, den Veranstaltungsort bis zur Entwarnung nicht zu verlassen.

Ruhige Stimmung und gesicherte Türen

Die Veranstalter und Künstler verstanden es, das Publikum die Wartezeit zu verkürzen. Im Burgtheater und im Porgy & Bess wurde der späte Abend etwa für Publikumsgespräche und Diskussionen zum Stellenwert der Kultur angesichts des zweiten Lockdowns genutzt. In der Staatsoper spielte das Staatsopernorchester für die Anwesenden Haydns berühmtes „Kaiserquartett“ aus 1799.

In allen Häusern wird von ruhiger Stimmung berichtet. Der italienische Bariton Ambrogio Maestri, der in „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ aufgetreten war, sagte der italienischen Nachrichtenagentur ANSA: „Wir waren alle erschüttert, waren aber fest davon überzeugt, dass es sicherer war, in der Staatsoper zu bleiben.“

Perkussionist Grubinger zeigte sich „begeistert, dass die Leute so ruhig mitziehen“. ORF-Kulturjournalist Stefan Schlager berichtet gegenüber ORF.at von ruhiger und gefasster Stimmung in Foyer der Staatsoper. Schlager erzählt, dass die Polizei die Türen der Staatsoper gesichert habe, Ö1-Journalist Bernt Koschuh sagte gegenüber der ZIB am Montagabend, dass Beamte der WEGA die Türen sicherten und beim Publikum ein Gefühl der Sicherheit herrsche.

Koschuh (ORF) zur Lage in der Innenstadt

ORF-Reporter Bernt Koschuh spricht über die Lage in der Wiener Innenstadt.

Evakuierung in der Nacht

In den großen Häusern erfolgte eine von den Behörden organisierte Evakuierung. Gegen 0.45 Uhr wurden die Besucher des Burgtheaters unter Polizeischutz zur U-Bahn-Station Schottentor geleitet, wo ein Sonderzug bereitstand. Dasselbe Verfahren wurde bereits kurz nach Mitternacht für die Besucher des Konzerthauses und des angrenzenden Akademietheaters angewandt.

Im Jazzclub Porgy & Bess musste die Evakuierung in Eigenregie abgewickelt werden, wie Leiter Huber gegenüber ORF.at erzählt. Huber wurde von den Behörden gegen 2.30 Uhr Entwarnung gegeben, er brachte seine Gäste dann über den Fluchtweg des Clubs ins Freie. Allerdings mussten diese den Heimweg von der Riemergasse dann per Fuß antreten, da zu diesem Zeitpunkt keine Taxis in der Umgebung mehr verfügbar waren, so Huber.

„Schutzraum“ für Kammerspiel-Publikum

Das 260 Personen zählende Publikum der Kammerspiele der Josefstadt, die sich in der Rotenturmstraße unweit des Schwedenplatzes und somit in der unmittelbaren Gefahrenzone des Terroranschlags befinden, wurde indes bereits um 20.00 Uhr gebeten, das Theater zu verlassen.

Die um 19.30 Uhr begonnene Vorstellung des Dietrich-Abends „Engel der Dämmerung“ wurde abgebrochen. Gleichzeitig habe das Theater eine sichere Rückzugsmöglichkeit in einem nahen Innenstadthotel organisiert, die als „Schutzraum“ von weniger als 20 Personen auch in Anspruch genommen worden sei, berichtete die APA. Im Hotel habe man sich überaus zuvorkommend um die Menschen gekümmert, es seien Getränke, aber auch Zimmer zum Übernachten angeboten worden.