Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Nehammer

Derzeit kein Hinweis auf zweiten Täter

Nach dem Terroranschlag in Wien mit fünf Toten hat die Analyse zahlreicher Handyvideos vom Tatort bisher keinen Hinweis auf weitere Attentäter ergeben. Das teilte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) Dienstagnachmittag in einer Pressekonferenz mit. Man könne aber „noch nicht genau sagen, wie viele Täter verantwortlich sind“, weswegen die hohe Sicherheitsstufe aufrecht bleibe. Nehammer sagte zudem, dass es im Umfeld des 20-jährigen erschossenen Attentäters 18 Razzien und 14 Festnahmen gegeben habe .

Im Laufe des Tages hatte es Hausdurchsuchungen in Wien, Linz und St. Pölten gegeben. Die Festgenommenen stammen aus dem Bekannten- und Freundeskreis des 20-Jährigen. Nach ersten Erkenntnissen gab es keine Hinweise, dass sie aktiv in den Anschlag involviert waren. Anders als zuvor von Nehammer berichtet, befinden sich die 14 Festgenommenen noch nicht in U-Haft.

Es gebe noch keine Anträge der Staatsanwaltschaft darauf, denn sie würden immer noch von der Polizei einvernommen, erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Nina Bussek, am Dienstag auf Nachfrage der APA. Zwei weitere Männer wurden am Dienstag in der Schweiz festgenommen – auch sie standen möglicherweise mit dem Attentäter in Verbindung.

Innenminister Karl Nehammer zur aktuellen Lage

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) informierte am Nachmittag über den aktuellen Stand der Ermittlungen

Laut dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, wurden bei den Ermittlungen im Umfeld des Täters unter anderem Munitionsteile sichergestellt. Die Wohnung des Täters war mit Sprengstoff geöffnet worden, wie bereits zuvor bekanntwurde. Zusätzlich wurde umfangreiches weiteres Beweismaterial beschlagnahmt, das erst ausgewertet werden muss. Es gebe eine klare Nähe zur Terrorgruppe Islamischer Staat (IS).

Hohe Sicherheitsstufe bleibt

Nehammer betonte, dass die hohe Sicherheitsstufe und Polizeipräsenz in der Wiener Innenstadt aufrecht bleibe, damit es nicht zu Wiederholung oder Nachahmung kommt. Das betonte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Die Lage ist nach wie vor angespannt“, sagte Kurz.

Es gebe die Angst vor Nachahmungstätern. Zudem wollte er nicht endgültig ausschließen, dass es nicht doch noch einen zweiten flüchtigen Täter geben könnte. „Wir gehen mittlerweile davon aus, dass es nur einen Täter gegeben hat, der sich sehr schnell bewegt hat und an sechs Orten in der Wiener Innenstadt um sich geschossen hat und eben zahlreiche Menschen hier kaltblütig ermordet hat. Aber wir haben noch keine hundertprozentige Gewissheit“, so Kurz.

Die Hinweise auf einen Einzeltäter würden sich verdichten, es gelte aktuell aber, Trittbrettfahrer abzuhalten, so auch der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl. Laut Nehammer werde die Auswertung von 20.000 zugeschickten Handyvideos von dem Anschlag noch andauern. Nach wie vor könnten weitere Täter nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die erhöhte Warnstufe werde so lange gelten, bis das gesamte Videomaterial ausgewertet ist, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Harald Sörös.

 Eine eingeschossene Fensterscheibe im Bereich des Tatorts des Wiener Terroranschlags
APA/Helmut Fohringer
Schäden am Tag nach dem Polizeieinsatz

Zahl der Verletzten gestiegen

Der Innenminister sagte weiters, dass die Zahl der Verletzten mittlerweile auf 22 gestiegen sei. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ergänzte, dass 13 Personen noch im Spital seien, drei davon befänden sich in kritischem Zustand. Vier Opfer konnten laut Ludwig hingegen so weit stabilisiert werden, dass sie sich nicht mehr in Lebensgefahr befinden. Von den Leichtverletzten hätten laut dem Wiener Bürgermeister zehn Personen das Spital bereits wieder verlassen können.

Gute Nachrichten hatte Nehammer zu dem verletzten 28-jährigen Polizisten: Dieser sei bereits operiert worden, sein Gesundheitszustand sei stabil. Er betonte auch, dass der angeschossene Polizist von Österreichern mit Migrationshintergrund in Sicherheit gebracht worden war – mehr dazu in wien.ORF.at. Nehammer pochte auf die Einheit des Landes: „Kein Terroranschlag wird es schaffen, dass diese Gesellschaft zerrissen oder gespalten wird.“ Die Grund- und Freiheitsrechte seien „unteilbar“.

Interview mit einem der Retter

Ein junger Mann war am Montagabend in der Wiener Innenstadt unterwegs, als sich der Terroranschlag ereignete. Er kam einem verletzten Polizisten zu Hilfe.

Mann wollte sich IS anschließen

Nehammer hatte bereits am Vormittag mitgeteilt, dass es sich bei dem Attentäter, der nach dem Anschlag bei der Ruprechtskirche in der Wiener Innenstadt von der Polizei erschossen wurde, um einen 20-jährigen Mann gehandelt hatte. Der Erschossene war österreichisch-nordmazedonischer Doppelstaatsbürger und einschlägig wegen terroristischer Vereinigung (Paragraf 278b StGB) vorbestraft.

Spurensicherung an einem der Tatorte in der Wiener Innenstadt
Reuters/Radovan Stoklasa
Die Spurensicherung bei der Arbeit

Der Mann sei zweifelsfrei ein Anhänger der radikalislamischen Terrormiliz IS gewesen. Er wurde am 25. April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Am 5. Dezember wurde er vorzeitig bedingt entlassen – er galt als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes (JGG).

Der „Standard“ hatte damals aus dem Prozess berichtet. Diesem zufolge hatte sich der junge Mann seit seiner Pubertät mit dem Islam beschäftigt und sei „in die falsche Moschee“ gekommen. 2018 sei er alleine in die Türkei gereist, dort aber zwei Tage nach seiner Ankunft von türkischen Polizisten in einem „Safe House“ der Islamisten festgenommen worden. In der Türkei saß er vier Monate in Haft, bevor er wieder nach Österreich überstellt und dort inhaftiert wurde.

Nehammer ortet „Bruchlinien“

Ende vergangenen Jahres war er von den Behörden als nicht mehr gefährlich eingestuft und so frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Nehammer kritisierte die vorzeitige Entlassung des Attentäters und ortete „Bruchlinien“. Der Terrorist habe es geschafft, die Justiz zu täuschen und eine vorzeitige Entlassung zu erwirken. Es habe keine Hinweise auf eine anhaltende Radikalisierung gegeben. Nehammer betonte, es brauche Optimierung bei der Zuhilfenahme des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) bei aktuellen Gefährdern.

Kerzen und Blumen im Bereich des Tatorts des Wiener Terroranschlags
APA/Helmut Fohringer
Gedenken an einem der Tatorte

Das Justizministerium verwies auf die übliche Entlassungspraxis: „Wie gesetzlich vorgesehen, wurde der Täter nach zwei Dritteln der Haftzeit vorzeitig mit einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen. Grundsätzlich werden bedingte Entlassungen nach zwei Dritteln der Haftzeit ausgesprochen, wenn die Voraussetzungen vorliegen.“ Das würde einer Probezeit von drei Jahren zur spezifischen Behandlung, Betreuung und laufender Kontrolle umfassen, mit der man auch nach Entlassung auf den Täter wirken könnte. Über die bevorstehende Entlassung sei auch das LVT informiert worden, betonte Zadic.

Augenzeuge Florian L. zu den Vorfällen

Floran L. hat die Situation auf dem Schwedenplatz miterlebt und schildert seine Erlebnisse. Er hat den Täter gesehen, konnte diesen jedoch nicht genau identifizieren.

Bezüglich der Doppelstaatsbürgerschaft des Täters hätten die Wiener Behörden laut Nehammer ein Verfahren angestrengt, um ihm die österreichische Staatsbürgerschaft aberkennen zu lassen. Es habe aber wohl „zu wenige Hinweise auf das aktive Tun des Attentäters“ gegeben, um das Verfahren erfolgreich abzuschließen. Er habe die Behörden offenbar erfolgreich von seiner Deradikalisierung überzeugen können.

Simone Stribl (ORF) über den Attentäter

ORF-Reporterin Simone Stribl berichtet, was man bisher über den Attentäter weiß.

Anwalt: An die falschen Freunde geraten

Der Wiener Strafverteidiger Nikolaus Rast, der den jungen Attentäter 2019 bei seinem Terrorprozess vertreten hatte, „hätte das nie für möglich gehalten, dass er zum Attentäter wird“. Der Mann stamme aus einer „vollkommen normalen Familie“. Er vermutete, dass sich der Mann als Teenager in einer Moschee radikalisiert habe. Sein ehemaliger Mandant sei ein orientierungsloser Jugendlicher gewesen, der einen Platz im Leben gesucht habe, so Rast.

Bewaffnete Polizisten vor einem Einsatzfahrzeug.
APA/Georg Hochmuth
Ein Großaufgebot der Polizei war in der Wiener Innenstadt im Einsatz

Der spätere Attentäter sei von einem Bewährungshelfer und dem Verein Derad betreut worden, der auf die Deradikalisierung islamistischer Straftäter spezialisiert ist. Offenbar wurde er Ende des Vorjahrs als nicht mehr gefährlich eingestuft – ansonsten wäre seine vorzeitige, mit 5. Dezember erfolgte bedingte Entlassung aus dem Gefängnis nicht bewilligt worden.

Beim Verein Derad, der auf die Deradikalisierung radikalislamistischer Straftäter spezialisiert ist und auch den Wiener Attentäter parallel zur Bewährungshilfe betreut hat, zeigt man sich betroffen. Zum konkreten Fall darf man sich zwar nicht äußern, aber Moussa Al-Hassan Diaw hielt im APA-Gespräch fest, dass es „nie 100 prozentige Sicherheit“ geben könne, ob jemand aus seiner Ideologie heraus auch Taten setzt.

Abgesägte Kalaschnikow

Nehammer hatte in der Früh weitere Details zu dem Anschlag veröffentlicht: „Er war mit einer Sprengstoffgürtelattrappe und einer automatischen Langwaffe, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete ausgestattet, um diesen widerwärtigen Anschlag auf unschuldige Bürgerinnen und Bürger zu verüben“, sagte der Innenminister. Am Nachmittag ergänzte er, der Täter habe mit einer abgesägten Kalaschnikow geschossen.

TV- und Radiohinweis

ORF2, ORF1 und ORF III sowie die ORF-Radios berichten umfassend über den Anschlag in Wien – mehr dazu in tv.ORF.at.

Eine offene Frage ist, wie der Täter an die Waffen gelangte. Es gibt Hinweise, dass er zumindest Munition in der Slowakei gekauft haben könnte. Der slowakische Innenminister Roman Mikulec sagte gegenüber dem Sender JOJ: „Ich habe die Information, dass der Angreifer bzw. einer der Täter hier gewesen sein könnte und interessiert war, Munition zu kaufen.“ Das sei „eine Information, die wir mit unseren Sicherheitskräften überprüfen“, so Mikulec. Man werde das prüfen.

Vier Menschen von Attentäter getötet

Bevor er um 20.09 Uhr selbst erschossen wurde, konnte der Attentäter vier Menschen ermorden. Ums Leben kamen ein älterer Mann und eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin. Eine der beiden Frauen ist deutsche Staatsbürgerin.

Hilfe via Telefon

  • Psychiatrische Soforthilfe für Wien, 24-Stunden-Hotline: +43 1 31330
  • Notfallpsychologischer Dienst Österreich, 24-Stunden-Hotline: +43 699 188 554 00
  • Opfernotruf, 24-Stunden-Hotline: +43 800 112 112

Das Innenministerium präzisierte, an welchen Orten der Attentäter am Montagabend auf seine Opfer geschossen hatte. Er verletzte eine in einem bekannten Lokal beschäftigte Kellnerin am Ruprechtsplatz 1 tödlich. An derselben Adresse wurde der 20-Jährige später von Polizeikräften erschossen.

Neben dem Tatort vor der Ruprechtskirche konnten zwei weitere tödliche Schussabgaben rekonstruiert werden. Ein Opfer wurde an der Adresse Fleischmarkt 4 getötet, ein weiteres am Franz-Josefs-Kai 21. Auf den schwer verletzten 28-jährigen Polizisten feuerte der Terrorist am Franz-Josefs-Kai 29.

Zwei Schusswechsel mit Polizei

Der genaue zeitliche Ablauf war Dienstagmittag noch nicht geklärt. Die Polizei will jetzt die unterschiedlichen Tatorte „abgehen“ und ein Weg-Zeit-Diagramm erstellen, um festzustellen, ob das Vorgehen für einen Einzeltäter überhaupt möglich ist oder ob es weitere Täter gibt. Fest steht, dass es zumindest zwei Schusswechsel mit der Polizei gab. Kurz nach den ersten Schüssen wurde der Angreifer bereits von Streifenbeamten wahrgenommen, es kam zu einem ersten Schusswechsel, dabei erlitt ein Polizist eine Schussverletzung am Bein. Um 20.09 Uhr kam es zu einem Schusswechsel mit der Sondereinheit WEGA, bei dem der Angreifer tödlich getroffen wurde.

Kein Hinweis auf zweiten Täter

Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt Montagabend hat vier Todesopfer gefordert. 22 Menschen wurden verletzt. Der Täter, der von der Polizei erschossen worden ist, hat mit der Terrormiliz IS sympathisiert. Aktuell gibt es keinen Hinweis auf einen zweiten Täter.

Die Wiener Innenstadt wurde nach dem Anschlag zur „roten Zone“ erklärt, die nach internationalen Erfahrungen am anfälligsten für weitere Taten sei. Auch werden in Absprache mit den Nachbarländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen, etwa zu Deutschland und Italien.

Menschen verlassen Burgtheater nach einem Terroranschlag in Wien
APA/Herbert Neubauer
Stunden nach der Tat konnten Besucherinnen und Besucher des Burgtheaters unter Polizeischutz nach Hause

Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, Fotos oder Videos des Einsatzes nicht in Social Media zu teilen, sondern sie direkt auf die Polizeiplattform hochzuladen. Vor einem Teilen der Videos warnte auch Digitalexpertin Ingrid Brodnig – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Das Bundesheer stellte neben Soldaten für den Objektschutz und Teilen des Jagdkommandos zur Terrorismusbekämpfung auch gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung. Das Militär hatte noch in der Nacht vollständig den Objektschutz in Wien übernommen und unterstützt und entlastet damit die Polizei.

IKG sperrt alle Einrichtungen

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) schloss nach dem Terroranschlag alle Synagogen. Betroffen seien in Wien zudem sämtliche Einrichtungen wie koschere Restaurants, Supermärkte und Schulen, sagte Erich Nuler, Sprecher des Krisenstabs. Zudem seien die Sicherheitsvorkehrungen österreichweit verstärkt worden. Gemeindemitglieder wurden weiters dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Weiters wisse man nicht, ob der Anschlag in der Seitenstettengasse, wo sich auch der Stadttempel befindet, der IKG gegolten habe. Gesichert sei allerdings, dass der Täter auf zwei Menschen vor dem Gebäude geschossen habe – mehr dazu in religion.ORF.at.