Vier Tage lang musste ausgezählt werden, bis sich auch große US-Medienunternehmen mit einem Ergebnis an die Öffentlichkeit wagten. Am Samstag schließlich vermeldeten CNN und AP, dass Biden den Bundesstaat Pennsylvania holte – und damit die US-Präsidentschaftswahl für sich entschied. Biden konnte so 273 Wahlleutestimmen sammeln, 270 sind für einen Wahlsieg nötig. Wenig später erklärte auch der konservative US-Sender Fox Biden zum Wahlsieger. Auch Nevada konnte Biden später für sich gewinnen. Nach Prognosen von „New York Times“, Fox News, CNN und CBS kamen so noch sechs Wahlleute dazu.
Schon die Tage zuvor hatten die Zeichen zunehmend auf einen Sieg des Demokraten gedeutet, doch in entscheidenden Bundesstaaten gab es bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Biden erklärte in einer ersten Reaktion auf Twitter, er fühle sich geehrt. „Vor uns liegt harte Arbeit.“ „Aber ich verspreche Ihnen Folgendes: Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein.“ Am Abend (Ortszeit) wollte sich Biden in einer Rede an die Nation wenden.
„We did it, Joe“
Mit Biden wird Vizepräsidentin Kamala Harris ins Weiße Haus einziehen. Die Senatorin aus Kalifornien wird die erste Nichtweiße und die erste Frau im Amt sein. „Bei dieser Wahl geht es um so viel mehr als um Joe Biden und mich. Es geht um die Seele Amerikas und unsere Bereitschaft, dafür zu kämpfen“, schrieb Harris am Samstag. „Wir haben eine Menge Arbeit vor uns. Lasst uns anfangen.“ Auf Twitter verbreitete Harris ein Video, in dem sie freudestrahlend mit Biden telefonierte: „We did it, Joe“ („Joe, wir haben es geschafft“). Selbst mancher Republikaner gratulierte Biden. Der Senator Mitt Romney, der selbst 2012 Präsident werden wollte, sendete Glückwünsche. Biden und Harris seien von gutem Charakter. „Wir beten, dass Gott sie in den kommenden Tagen und Jahren segnen möge.“
Trump weigert sich, Sieg anzuerkennen
Der bisherige Amtsinhaber Trump, der die Amtsgeschäfte auf jeden Fall noch bis zur Inauguration im Jänner führen soll, reagierte wie zuvor schon angedeutet. Er will den Sieg Bidens nicht anerkennen. „Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist“, teilte Trump am Samstag mit. Biden stelle sich fälschlicherweise als Sieger dar, hieß es weiter: „Joe Biden ist nicht als Sieger irgendeines Bundesstaates bestätigt, ganz zu schweigen von den stark umkämpften Staaten, die auf obligatorische Nachzählungen zusteuern, oder Staaten, in denen unser Wahlkampfteam begründete und legitime rechtliche Schritte eingeleitet hat, die den endgültigen Sieger bestimmen könnten. In Pennsylvania zum Beispiel wurde unseren Rechtsbeobachtern kein ausreichender Zugang gewährt, um den Zählprozess zu verfolgen. Legale Wahlstimmen entscheiden, wer Präsident ist, nicht die Nachrichtenkanäle“, so Trump.
Ab Montag werde das Wahlkampfteam beginnen, „unseren Fall vor Gericht zu verfolgen, um sicherzustellen, dass die Wahlgesetze vollständig eingehalten werden und der rechtmäßige Gewinner bestimmt wird. Das amerikanische Volk hat Anspruch auf eine ehrliche Wahl: Das bedeutet, dass alle legalen und keine illegalen Wahlstimmen gezählt werden.“
Auf Twitter legte er später nach: „Die Beobachter durften nicht in die Zählräume. Ich habe die Wahl gewonnen und 71.000.000 legale Stimmen erhalten. Es passierten schlechte Dinge, die unsere Beobachter nicht sehen durften. Das ist noch nie zuvor passiert. Millionen von Briefwahlzettel wurden an Leute geschickt, die nie danach gefragt haben!“, schrieb Trump durchgehend in Großbuchstaben.
Ergebnis drehte sich in entscheidenden Bundesstaaten
US-Wahlen neigen immer wieder dazu, sich während der Auszählung zu einem Krimi zu entwickeln. Was seit dem Wahltag am Dienstag passierte, suchte in der jüngeren Vergangenheit aber seinesgleichen: Durch die heuer sehr stark genutzte Briefwahl gestaltete sich die Auszählung besonders langwierig. Anhänger der Demokraten neigten inmitten der Coronavirus-Pandemie eher dazu, ihre Stimmzettel per Post zu verschicken, als Wähler der Republikaner.
Entsprechend gestaltete sich die Auszählung in den vergangenen Tagen als Aufholjagd Bidens. Lag Trump anfangs in den letztlich wahlentscheidenden Bundesstaaten noch vorne, rückte Biden mit zunehmendem Auszählungsstand immer näher – und überholte den bisherigen Amtsinhaber schließlich. Trump hatte sich – als Teil seiner bereits am Mittwoch eingeschlagenen Strategie – schon vor der kompletten Auszählung aller Stimmen zum Sieger erklärt und angekündigt, seinen Anspruch vor den Obersten Gerichtshof zu bringen. Er hatte im Wahlkampf immer wieder suggeriert, dass es Wahlbetrug geben könnte, ohne dafür Belege zu liefern.
Feiern und Gratulationen
Bald nach Verkündung durch die US-Sender begannen Menschen in New York und Washington, D.C. zu feiern. Im Autoverkehr starteten Hupkonzerte, auch rund um das Weiße Haus versammelten sich Menschen zum Feiern. In Wilmington, der ruhigen Heimatstadt Bidens im Bundesstaat Delaware, kam es auch zu spontanen Feiern, ebenso wie in Philadelphia, der größten Stadt im bis zuletzt umkämpfen Schlüsselstaat Pennsylvania.
Aus der ganzen Welt kamen schnell Glückwünsche an Biden, etwa aus Paris, Berlin und London. Die Spitzen der EU riefen zudem zu einer engeren transatlantischen Partnerschaft auf. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb am Samstag auf Twitter: „Die EU-Kommission steht bereit, die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung und dem neuen Kongress zu intensivieren“, um Herausforderungen wie die Coronavirus-Pandemie, den Klimawandel, die digitale Transformation, Sicherheit und das multilaterale System anzugehen.
Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gratulierte per Twitter: „Europa und die USA teilen ein Wertesystem – Werte, für die wir gemeinsam aufstehen. Ich freue mich auf unsere künftige Zusammenarbeit!“, so Kurz. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen gratulierte Biden und Harris „herzlich zur Wahl“. Auf Twitter ließ Van der Bellen „@JoeBiden“ wissen: „Große Aufgaben unserer Zeit, wie die Bekämpfung der Klimakrise oder der Corona-Pandemie können wir als internationale Staatengemeinschaft nur gemeinsam lösen. Die USA und Europa tragen hier auch globale Verantwortung.“ Weiters hieß es in der deutschen Version des Tweets, der auch auf Englisch geschickt wurde: „Wir freuen uns auf eine starke transatlantische Zusammenarbeit in den nächsten Jahren – und darauf, die USA wieder im Pariser Klimaabkommen begrüßen zu können! Europa steht bereit.“
Erste Pläne Bidens
Biden hatte bereits in den vergangenen Tagen erste politische Pflöcke eingeschlagen. Nach seinem Amtsantritt am 20. Jänner werde er die Vereinigten Staaten zurück ins Pariser Klimaabkommen führen, so Biden in der Nacht auf Donnerstag. Nur Stunden zuvor waren die USA offiziell aus dem Vertrag ausgetreten.
Medienberichten zufolge will Biden auch schon am Montag einen Expertenrat zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie vorstellen. Die Einrichtung des Gremiums noch vor der Bekanntgabe der Personalwahl für erste Kabinettsposten unterstreichen, welche Bedeutung Biden dem Kampf gegen die Pandemie einzuräumen plane, berichtete am Samstag die Nachrichtenseite Axios. Dem Sender CNN zufolge soll es sich um ein zwölfköpfiges beratendes Expertengremium handeln.
Joe Biden im Porträt
Joseph Robinette Biden Junior wird in seiner Heimat Wilmington im US-Bundesstaat Delaware von allen nur „Joe“ genannt. Mit 77 Jahren – und damit so spät wie keiner vor ihm – wird der frühere Vizepräsident von Barack Obama nun also 46. Präsident der USA.
„Kampf um Seele der Nation“ entschieden
Mit dem 77-jährigen Biden geht nun wieder ein Berufspolitiker als Sieger der US-Wahl hervor, nachdem der Unternehmer Trump vor vier Jahren einen Überraschungssieg eingefahren hatte. Biden hatte die Wahl seit Bekanntgabe seiner Kandidatur gegen Trump zum „Kampf um die Seele dieser Nation“ erklärt.
Bei der Abstimmung am Dienstag standen auch die 435 Sitze des Repräsentantenhauses und rund ein Drittel der Sitze im Senat zur Wahl. Beim Regieren könnte Biden auf die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus setzen. Seine Partei konnte sich zunächst nicht die Kontrolle in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, sichern. Über die Mehrheit im US-Senat für die kommenden zwei Jahre entscheiden voraussichtlich erst zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia Anfang Jänner.