Nationalrat im Parlament
APA
Anschlag in Wien

Rufe nach Aufklärung

Im Parlament ist am Donnerstag über den Terroranschlag in der Wiener Innenstadt debattiert worden. Im Mittelpunkt standen freilich die zuletzt bekanntgewordenen Fehler im Vorfeld des Attentats. Die Regierungsspitze und ihre Fraktionen verwiesen auf die Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Die Opposition kritisierte gegenseitige Schuldzuweisungen und forderte, Verantwortung zu übernehmen.

Die Sondersitzung begann mit einer einleitenden Erklärung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der den „feigen“ Anschlag verurteilte und zum Zusammenhalt aufrief. „Selbstverständlich braucht es eine umfassende Aufklärung“, sagte er. Gleichzeitig mahnte er, die Debatte nicht zuzuspitzen. In einer „stillen Minute“ gedachten die Abgeordneten zum Nationalrat der Opfer von Wien, Paris und Nizza.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach von einem „brutalen Terroranschlag“, der einen „dunklen Schatten“ über das Land werfe. Er dankte erneut den Einsatzkräften und den „Österreichern und Österreicherinnen und allen Menschen in Österreich“, die Verletzten geholfen, Menschen Schutz gegeben und Videos an die Polizei übermittelt haben. Nun müsse man herausfinden, wer den Täter radikalisiert habe, ob er Unterstützer hatte und ob hinter ihm ein Netzwerk stehe.

Kurz will bessere Handhabe im Umgang mit Gefährdern

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will mehr rechtliche Möglichkeiten im Kampf gegen Extremisten. Es brauche eine bessere Handhabe im Umgang mit Gefährdern, meinte der Regierungschef in der Sondersitzung des Nationalrats nach dem Anschlag in der Wiener Innenstadt.

Aufklärung „ohne voreilige Schuldzuweisungen“

„Zum Zweiten braucht es auch Prävention“, sagte er. Dazu gehöre, das BVT zu reformieren. Am Mittwoch hatte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) Fehler im Vorfeld des Terroranschlags zugegeben. Slowakische Behörden hatten Informationen über einen versuchten Waffenkauf des Attentäters an Österreichs Sicherheitsbehörden übermittelt. Das BVT hatte zwar die Identität geprüft, aber offenbar nicht weiter gehandelt. Die Justizbehörden erhielten die Informationen jedenfalls nicht.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) äußerte sich ähnlich wie Kurz. Er dankte den Einsatzkräfte und der Bevölkerung. „Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass viele Personen, die couragiert handelten, einen Migrationshintergrund haben“, so Kogler. Er sagte, dass man sich nun nicht spalten lassen dürfe. Als Regierung werde man konsequent, entschlossen und besonnen auf den Anschlag reagieren. Er kündigte erneut an, dass eine unabhängige Kommission die Vorfälle im Vorfeld des Anschlags untersuchen soll. „Nicht nur ein paar Tage, sondern den gesamten Zeitraum, der relevant ist“, sagte der Vizekanzler.

Auch Kogler nahm das BVT in den Fokus, in dem „natürlich auch Missstände“ behoben werden müssen. Es sei Aufgabe der Behörden die Hintergründe aufzuklären – „ohne voreilige Schuldzuweisungen“, so der Vizekanzler. Innenminister Nehammer versprach, dass es eine umfassende Aufklärung geben werde. Wenn nötig, würden Stellen neu besetzt, sagte der Ressortchef, der mit Kritik der Opposition konfrontiert war.

Rendi-Wagner: „Verantwortung übernehmen“

„Wir sind keine Insel der Seligen in Österreich“, sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger und wiederholte, dass es den Polizeikräften binnen weniger Minuten gelungen sei, den Täter auszuschalten. Berichten zufolge waren bereits am Montag Razzien in Wien geplant. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl vermutete, dass der Täter davon Wind bekommen habe. Vonseiten des Innenministeriums gab es keine Bestätigung für die Aktion, laut Informationen der „Kleinen Zeitung“ waren aber weder der Täter noch die Festgenommenen das Ziel. „Heute“ und „Kurier“ schreiben allerdings, dass Freunde des Täters auf der Liste der Aktion „Ramses“ gestanden seien.

Rendi-Wagner kritisierte Regierung

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat am Donnerstag die Regierung – allen voran die ÖVP – wegen gegenseitiger Vorwürfe kritisiert.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte die Regierung. Man poche zwar auf Zusammenhalt, weise sich aber gegenseitig Schuld zu. Sie sprach dabei Nehammer an, der an einem Tag die Justiz kritisierte, weil der Täter vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, am nächsten Tag dann sagte, dass es Kommunikationsprobleme beim BVT gegeben habe. „Herr Bundeskanzler, Herr Bundesminister, wann verstehen Sie, dass es nicht um Abschieben von Verantwortung geht?“, so Rendi-Wagner. Die Regierung müsse Verantwortung übernehmen.

Viele Fragen seien auch im Nationalen Sicherheitsrat, der am Mittwoch stattfand, offengeblieben. „Aber feststeht, dass die Behörden des Innenministers Wissen über die Gefahr hatten. Fest steht, dass vier unschuldige Menschen getötet wurden“, sagte die SPÖ-Klubobfrau in Richtung Nehammer. Rendi-Wagner beklagte mangelnde Fehlerkultur im Innenministerium.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner im Rahmen einer Sondersitzung des Nationalrates zum Terroranschlag in Wien im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg
APA/Herbert Neubauer
Rendi-Wagner forderte eine umfassende Aufklärung der Hintergründe

Kickl fordert Rücktritt von Nehammer

So groß die Trauer über den Anschlag sei, so groß sei auch seine Wut über die Fehler im Bereich Sicherheit und im Bereich Integration, sagte FPÖ-Klubchef Kickl. Es sei notwendig, „zwei Dinge“ zu tun: Man müsse die Hintergründe aufklären, dafür benötige es Ehrlichkeit und Offenheit. „Das sind wir den Opfern und den Hinterbliebenen der Opfer schuldig“, sagte Kickl. Und man müsse erkennen, dass dieser Anschlag hätte verhindert werden können.

Kickl fordert Rücktritt von Nehammer

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hat am Donnerstag den Rücktritt von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gefordert. Er, Kickl, wüsste, was er tun würde, wäre er Innenminister.

In Richtung Nehammer sagte Kickl: „Das, was Sie, Herr Innenminister ‚Kommunikationsfehler‘ nenne, war ein Todesurteil für vier Menschen.“ Nehammer trage als Innenminister die Verantwortung. „Ich bin den Medien sehr dankbar, dass sie die Warnungen der slowakischen Behörden öffentlich gemacht haben. Sie haben das erst dann gestanden, als es aufgeflogen ist“, so Kickl weiter: „Sie werden auch noch zugeben, dass der spätere Täter sehr wohl unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden ist und er trotzdem töten konnte.“

Kickl forderte den Rücktritt von Nehammer als Innenminister. „Ich an Ihrer Stelle wüsste, was ich heute an Ihrer Stelle tun würde.“ Einmal mehr betonte der FPÖ-Klubobmann, dass es unter der FPÖ „keine vorzeitige Entlassung“ von Gefährdern geben würde. „Die Ereignisse haben uns bestätigt“, sagte er und kritisierte unter anderen die Wertekurse für eine Deradikalisierung. Seine FPÖ-Kollegin Dagmar Belakowitsch brachte einen Misstrauensantrag gegen Nehammer ein, der von der Mehrheit im Nationalrat abgelehnt wurde.

Bundeskanzler Kurz im Nationalrat im Parlament
APA/Herbert Neubauer
Die gesamte Regierung war am Donnerstag im Plenum vertreten

Kritik an gegenseitigen Vorwürfen

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer dankte wie ihre Vorredner und ihre Vorrednerin den Einsatzkräften und Menschen, die geholfen haben. „Wir haben ein Problem mit jungen Männern, die sich radikalisieren“, sagte sie. „Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob dieses Attentat verhindert hätte werden können. Wir wissen noch zu wenig über die Hintergründe dieser Tat“, so die grüne Klubchefin. Der Innenminister habe bereits ehrlich eingestanden, dass dem BVT ein gravierender Fehler unterlaufen sei. Maurer verwies auf die Kommission unter der Führung von Nehammer und Justizministerin Alma Zadic, die die Vorgänge „schonungslos“ aufklären werde.

Justizministerin Alma Zadic und Innenminister Karl Nehammer im Rahmen einer Sondersitzung des Nationalrates zum Terroranschlag in Wien im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg
APA/Herbert Neubauer
Im Mittelpunkt der Aufklärung stehen Justizministerin Zadic und Innenminister Nehammer

„Unsere Gesellschaft und unsere demokratische Institutionen müssen immer wachsam und wehrhaft sein“, mahnte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Freiheit sei nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht, diese Freiheit zu verteidigen. Sie sei entsetzt, dass sowohl Kurz als auch Nehammer 20 Stunden nach dem Attentat die Justiz wegen der frühzeitigen Entlassung des Täters kritisiert haben. Denn gleichzeitig habe es auch erste Berichte über den versuchten Munitionskauf in der Slowakei gegeben.

„Das Attentat hätte verhindert werden können – auch schon mit den vorhanden rechtlichen Möglichkeiten“, sagte die NEOS-Politikerin. In Richtung Justizministerin Zadic sagte Meinl-Reisinger, dass sie sich erhofft habe, dass sich die Ministerin stärker vor die Justiz stelle. Zadic wiederum versprach, alles aufklären zu wollen. „Der Täter hat versucht, das Land zu spalten“, sagte sie. Man werde weiterhin „unsere Demokratie und unsere Werte“ hochhalten. Es werde nötig sein, die Ereignisse vor der Tat zu beleuchten, verwies sie auf die Kommission.