Schüler mit Mund-Nasenschutz-Masken vor einem Schulgebäude
APA/Hans Punz
„Gefährlich eng“

Schulgebäude im Stresstest

Sollen Kinder während des Lockdowns in die Schule gehen? Diese Frage wird emotional diskutiert – mit guten Argumenten auf beiden Seiten. Wie risikoarm (und wie entspannt) Unterricht derzeit abläuft, hängt zudem stark vom Schulgebäude ab. Zukünftig pandemietauglich zu bauen ist laut Expertinnen aber gar nicht nötig – denn während es in vielen Schulen zurzeit „gefährlich eng“ wird, punkten zeitgemäße Schulen in Zeiten des Coronavirus ganz automatisch.

„Bildungslandschaften, die im Inneren atmen können, müssen Standard sein – nicht nur in pandemischen Situationen“, sagt die Architektin Hemma Fasch von fasch&fuchs.architekten in Wien. Und das bedeutet: „Ein möglichst offenes Raumsystem und eine hohe Durchlässigkeit zwischen Innen und Außen.“ Schulen brauchten zudem eine gute Lüftung und im besten Fall einen direkten Zugang von jeder Klasse ins Freie, etwa auf Terrassen.

Ein Schulgebäude sei schließlich kein Gefängnis. Es dürfe nicht aus einer Aneinanderreihung von Klassen bestehen – „mit einem engen, dunklen Gang davor, der ausschließlich als Gang oder Fluchtweg zu nutzen ist“.

Raumprogramme, die „gut in die Zukunft weisen“

In Österreich gebe es durchaus Bemühungen, diese „ohnehin schon alte Forderung“ umzusetzen. In der Bauabteilung des Bildungsministeriums würden Raumprogramme geschrieben, die „gut in die Zukunft weisen“, so Fasch im Gespräch mit ORF.at. Das gelte nahezu flächendeckend für neu gebaute öffentliche Schulen. Wenn man bedenke, dass etwa die innovativen Schulbauten im skandinavischen Raum meist Privatschulen sind, sei das durchaus beachtenswert.

Clusterschulen

In Clusterschulen werden zwei oder mehr Klassen zu einem räumlichen Verbund zusammengefasst. Dazwischen gibt es offene Bereiche, die je nach Form Marktplatz oder Lernstraße genannt werden. Teamarbeitsräume für die Lehrenden ergänzen die Einheit.

Viele dieser neu gebauten öffentlichen Schulen werden – ausgerechnet – als Clusterschulen bezeichnet. Cluster steht hier allerdings für den räumlichen Verbund, den Klassen miteinander bilden. Diese Bauweise hat laut Karin Schwarz-Viechtbauer, Direktorin des Instituts für Schul- und Sportstättenbau (ÖISS), während einer Pandemie einen großen Vorteil: „Clusterschulen beruhen ja auf der Idee, insbesondere große Schulen in überschaubare Einheiten zu gliedern. Diese räumlichen Strukturierungen teilen Personenströme und Personengruppen auf.“

Schultor als Nadelöhr

In vielen Schulen sieht es allerdings anders aus. Und bei all den Vorteilen, die der Präsenzunterricht bringt, sind viele Lehrende, Eltern und auch Schülerinnen und Schüler wenig glücklich über die Bedingungen: kleine Räume, zu wenige Waschbecken, Fenster, die sich nicht öffnen lassen, Staus in engen Gängen und am Schultor.

„Absolut nicht neu“ seien diese Themen, sagt Schwarz-Viechtbauer im Interview mit ORF.at. Der Begriff „Hygiene“ sei schon in historischen Schulbaurichtlinien wiederholt zu finden. Und gerade der Wunsch nach mehreren Eingängen sei schon lange vor der aktuellen Krise von Pädagoginnen und Pädagogen immer wieder geäußert worden – „um Stauzonen und Konfliktpunkte zu entschärfen“.

Auf der anderen Seite erleichtere ein gemeinsamer Eingang organisatorische Abläufe und werde „als wichtiges Symbol für Schuldemokratie, Kooperation und Miteinander angesehen“. Durch die Krise könnte es hier zu neuen Gewichtungen kommen, so Schwarz-Viechtbauer. Und auch die Themen Lüftung und Wasserentnahmestellen müsse man sich im Hinblick auf die Pandemie anschauen.

Schüler in Schulgebäude mit offenen Räumen und Terasse
Hertha Hurnaus
Viel Luft, Licht und Raum gibt es im Schulcampus in Neustift im Tiroler Stubaital, geplant von fasch&fuchs.architekten

Schnelle Verbesserungen nötig

2,4 Milliarden Euro sollen bis 2030 in Neubauten, Zubauten und die Sanierung von 270 Schulen fließen. Das kündigte die Regierung im Mai an. Das Investitionspaket soll die Schulen ökologischer, moderner und digitaler machen. Und dadurch sollen sie laut ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann auch besser an ganztägige Schulformen angepasst werden.

Eines steht aber fest: In sehr vielen Schulen müssen sofort bessere Bedingungen geschaffen werden. Werden die Räume jetzt „gefährlich eng“, müsse zusätzliche Fläche für den Unterricht vorhanden sein, sagt Fasch. Die Architektin rät dazu, Leerstände zu aktivieren – „zum Beispiel in Wien die Helmut-Richter-Schule, die meines Wissens zurzeit nicht für Unterricht genutzt wird“.

Zudem sollte nicht nur das Schulgebäude selbst als pädagogischer Ort genutzt werden. Auch vermehrter Unterricht im Freien, in Parks, im Wald, könne hilfreich sein. Das Problem dabei: „Wenn ich mir bekannten Lehrern und Lehrerinnen vorschlage, in den Wald zu gehen, ist die Antwort: ,Wie soll ich das innerhalb von einer Stunde machen?‘“ Es brauche auch begleitende Maßnahmen – wie längere Unterrichtseinheiten und mehr Lehrpersonal.

„Zeichen der Kapitulation“

Überhaupt laste auf den Lehrerinnen und Lehrern eine unglaubliche Verantwortung, so Fasch. „Sie sind derzeit vor allem damit beschäftigt, eine Gruppe von A nach B zu bringen, weil sich Gruppen nicht mischen dürfen und die Gänge zu eng sind.“ Gleichzeitig bleibe durch die räumlichen Defizite wenig Zeit zum Unterrichten.

Dennoch: „Schulschließungen sind ein Zeichen der Kapitulation. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten“, sagt die Architektin. Man müsse auf die Pandemie reagieren können, ohne die Kinder nach Hause zu schicken.

Dazu brauche es aber Schulgebäude, die nicht nur die Mindestanforderungen erfüllen. Denn es gebe noch „die traurigen Gebäude aus dem letzten Jahrhundert, denen man schon von außen ansieht, dass darin Lernen keinen Spaß machen kann“. Lehrerinnen und Lehrer müssten darin „gegen den Raum“ arbeiten – nicht nur während einer Pandemie.

Turnen in Straßenkleidung, Singen verboten

Für den Schulbetrieb gelten seit vergangener Woche strengere Regeln. Geturnt wird in Straßenkleidung, um gemeinsames Umziehen in der Garderobe zu vermeiden. Kontaktsportarten sind verboten, ebenso Singen im Musikunterricht. Es finden keine Schulveranstaltungen und Lehrausgänge statt. Schulexterne Personen wie Lesepatinnen oder Lehramtsstudierende im Rahmen ihrer Schulpraxis dürfen nicht mehr in die Schule kommen. Ausgenommen sind etwa Assistenzen für Kinder mit Behinderung, Schulpsychologinnen und Schulsozialarbeiter.

Anders als beim Lockdown im Frühjahr wurden vorerst nur die AHS-Oberstufen und die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) auf Distance-Learning umgestellt. Schülerinnen und Schüler von Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe werden weiter gemeinsam in der Schule unterrichtet – wie lange noch, werden wohl die nächsten Tage zeigen.