Passantin vor einem Plakat zum Sicherheitsgesetz in Hongkong
APA/AFP/Anthony Wallace
Hongkong

Denunzierung von Nachbarn via Hotline

Die Überwachungsstrategie der Hongkonger Polizei hat eine neue Stufe erreicht. Mit einer eigens eingerichteten Telefonhotline werden Einwohnerinnen und Einwohner dazu angestiftet, Verstöße ihrer Nachbarn gegen das von Peking verhängte Gesetz zu melden. Dieses kriminalisiert jegliche Form politischer Unabhängigkeitsbestrebung von China und hat es geschafft, viele Protestierende zum Schweigen zu bringen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner Hongkongs können bei der Hotline nicht nur anrufen, sondern auch Bilder, Text-, Audio- und Videodateien an die Nummer schicken. Die Nummer funktioniert laut Hongkonger Polizei via SMS, Messaging-App WeChat und so weiter. Auf Facebook schrieb die Polizei, die Hotline ermögliche es den Menschen, Fragen der „nationalen Sicherheit“ aufzuwerfen, ohne ihre persönlichen Daten preisgeben zu müssen. Die Hotline antworte aber nicht auf Anrufe, sagte die Polizei und fügte hinzu, dass die Behörden keine persönlichen Daten von denjenigen sammeln würden, die Gesetzesverstöße melden.

Die Einführung der Hotline hat auf der Facebook-Seite der Polizeibehörde sowohl Lob als auch Kritik hervorgerufen. Eine Person schrieb: „Es ist wirklich schockierend. Sie können auch einen falschen Fall einfach sofort melden.“ Ein anderer schrieb: „Unterstützen Sie die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und dem Volk, um die Verräter vor Gericht zu bringen! Unterstützen Sie die Hongkonger Polizei, um das Gesetz strikt durchzusetzen!“

Scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisation

Für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) klingt gerade die Aussage der Polizei, dass keine Daten gespeichert würden, nach einem Widerspruch in sich, da die Menschen ja selbst über ein Handy verfügen müssen, um etwas zu senden. Somit sei es ein leichtes, auch die Daten des Senders abzugreifen, ohne dass dieser das merkt.

Straßenszene in Hongkong
Reuters/Tyrone Siu
Seit dem Hongkong-Gesetz ist in der Sonderverwaltungszone nichts mehr, wie es einmal war

Die Menschenrechtsorganisation sagt außerdem, sie sei besorgt, dass dieser Dienst dazu benutzt werden könnte, Personen mit anderen politischen Ansichten zu verpetzen, selbst wenn diese nicht aktiv ausgeübt würden, sondern möglicherweise nur Gedanken seien. „Informanten können diese Hotline gegen Personen benutzen, die sie nicht mögen oder die sich in einem anderen politischen Lager befinden“, so Maya Wang, Senior-China-Researcher bei HRW, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Berichte: Aktivist wollte in US-Konsulat Asyl beantragen

Peking hat im Rahmen des umstrittenen Gesetzes zur nationalen Sicherheit die Kontrolle über Hongkong die letzten Monate zunehmend verschärft. Peking argumentiert, das Gesetz sei notwendig, um Unruhen und Instabilität nach monatelangen Protesten zu bekämpfen. Doch das Gesetz wurde von westlichen Regierungen und Menschenrechtsgruppen weithin verurteilt. Kritikerinnen und Kritiker meinen, es beende die Freiheiten, die Hongkong nach dem Ende der britischen Herrschaft garantiert wurden.

Verhaftung von Aktivist Tony Chung
Reuters/Tyrone Siu
Der Aktivist Tony Chung wurde vor dem US-Konsulat festgenommen

Nachdem das Gesetz im Juni eingeführt worden war, löste sich eine Reihe prodemokratischer Gruppen aus Angst um ihre Sicherheit auf. In der vergangenen Woche wurde der junge Aktivist Chung nach dem Gesetz über die nationale Sicherheit angeklagt, Tage nachdem er vor dem US-Konsulat festgenommen worden war. Chung, 19 Jahre alt, hatte Berichten zufolge geplant, in das Konsulat einzudringen, um dort Asyl zu beantragen.

Oppositionspolitiker festgenommen

Ein halbes Jahr nach Tumulten im Hongkonger Parlament nahm die Polizei der chinesischen Sonderverwaltungszone zuletzt außerdem sieben Oppositionspolitiker fest. Den Politikern, darunter auch vier amtierende Abgeordnete, wird nach Polizeiangaben vorgeworfen, Anfang Mai eine Sitzung im Hongkonger Legislativrat gestört zu haben. Im Hongkonger Regionalparlament kommt es regelmäßig zu chaotischen Szenen, wenn Abgeordnete der Opposition versuchen, mit Dauerreden, Sprechchören und anderen Störungen die Verabschiedung von Gesetzen zu verhindern. Am 8. Mai war es zu einem handfesten Streit im Justizausschuss gekommen, der alle Gesetzesentwürfe prüft, bevor sie den Abgeordneten zur Beratung vorgelegt werden.

Abgeordnete beider Seiten hielten Protestplakate hoch und lieferten sich ein Handgemenge. Sicherheitsleute und pekingtreue Abgeordnete zerrten schließlich fast alle Oppositionsabgeordneten aus dem Sitzungsraum. Festgenommen wurden zuletzt aber nur Oppositionsabgeordnete, darunter auch der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Wu Chi Wai. Er warf der Hongkonger Regierung vor, einen Vorwand zu suchen, um die Opposition im Legislativrat zu unterdrücken und kritische Meinungsäußerungen der Abgeordneten zu kriminalisieren. Bei einer Verurteilung droht ihnen bis zu ein Jahr Gefängnis.

Handgreifliche Auseinandersetzung im Parlament von Hongkong
EBU
Raufereien im Parlament sind in Hongkong schon öfters vorgekommen

Die Wahlen zum Hongkonger Legislativrat, die eigentlich im September stattfinden hätten sollen, wurden um ein Jahr verschoben – offiziell wegen der Coronavirus-Pandemie. Kritikerinnen und Kritiker vermuten dagegen, dass die pekingtreue Regierung so eine drohende Niederlage verhindern will.

Kanada macht Pläne für den Notfall

Einige Staaten reagierten zuletzt schon auf die rigorosen Maßnahmen Pekings. Kanada etwa plant, seine Bürgerinnen und Bürger aus Hongkong in Sicherheit zu bringen. Jeff Nankivell, Generalkonsul in der Sonderverwaltungszone, sagte, Vorkehrungen für den Notfall seien bereits getroffen worden, um 300.000 in Hongkong wohnhafte Kanadierinnen und Kanadier nach Hause zu bringen.

„Wir verfügen über detaillierte Pläne und wir verfügen über verfügbare und identifizierte Ressourcen, um eine Reihe von Situationen abzudecken, bis hin zu einer Situation, in der die dringende Ausreise einer großen Zahl von Kanadiern notwendig wäre“, so der Generalkonsul. Doch fügte er hinzu: „Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Extremszenarios scheint im Augenblick gering zu sein, aber es ist unsere Aufgabe, für die extremsten Situationen zu planen.“

Generalkonsul schließt Asylmöglichkeit aus

Nankivells Aussage könnte die Spannungen zwischen China und Kanada weiter verschärfen. Nachdem Ottawa seine Unterstützung für die Aktivistinnen und Aktivisten in Hongkong zum Ausdruck gebracht hatte, sagte der chinesische Botschafter in Kanada, Cong Peiwu, dass jede „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas“ die „gute Gesundheit und Sicherheit“ der kanadischen Bürgerinnen und Bürger, die in dem Gebiet leben, gefährden könnte. Kanadas Premierminister Justin Trudeau verurteilte die Äußerungen des Botschafters und beschuldigte China der „Zwangsdiplomatie“.

Kanada habe zwar Pläne für eine großangelegte Evakuierung, aber Nankivell sagte auch, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien nicht in der Lage, Asylsuchenden, die im Konsulat Schutz suchen wollen, zu helfen. „Die globale Politik Kanadas besteht, ähnlich wie die der meisten anderen Länder, darin, dass unsere diplomatischen Vertretungen, einschließlich der Konsulate, in unseren Büros keine Asylanträge von Personen annehmen, die sich auf ihrem eigenen Territorium befinden“, sagte er und fügte hinzu, dass bisher noch niemand versucht habe, Asyl zu beantragen.

Großbritannien erwägt Ausdehnung der Reisefreiheit

Im Gegensatz zu Kanadas Evakuierungsplänen hat Großbritannien bereits erklärt, dass es die Einwanderungsrechte auf Hongkongs Bevölkerung ausdehnen würde, die im Besitz eines britischen Überseepasses (British National Overseas, BNO) seien. Gegenwärtig gibt es 300.000 BNO-Passhalterinnen und -halter in Hongkong – jene, die vor der Übergabe des britischen Territoriums im Jahre 1997 geboren wurden – aber bis zu drei Millionen Menschen könnten sich noch zusätzlich qualifizieren. Festlandchina kritisierte den Plan. Das Außenministerium der Volksrepublik forderte Großbritannien kürzlich auf, „seine Fehler sofort zu korrigieren“ und das Angebot zurückzunehmen, so Reuters.

Hongkong war 156 Jahre britische Kronkolonie. Hongkong waren bei seiner Übergabe an China 1997 für 50 Jahre Sonderrechte gewährt worden, darunter der BNO, aber auch Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Chinas Peking-Gesetz stellt den bisher schwersten Eingriff in den Autonomiestatus von Hongkong dar.