Peter Kruder und Richard Dorfmeister
Max Parovsky
Kruder & Dorfmeister

Neues Album frisch aus den 90er Jahren

Auf einem verstaubten Tonträger sind 15 alte Songs der Pioniere des legendären „Vienna Sound“ Peter Kruder und Richard Dorfmeister aufgetaucht: Mit 25-jähriger Verspätung erscheint nun das Album „1995“, eine Zeitreise in jene Ära, als das Produzieren elektronischer Musik ungleich zeitaufwendiger war – und DJs zu Popstars wurden.

Bereits im August hatten Kruder & Dorfmeister überraschend eine Single namens „Johnson“ veröffentlicht. Ein gefiltertes und wiederholtes Bluessample aus Robert Johnsons „Sweet Home Chicago“, ein atmosphärischer Akkord und ein spät einsetzendes Schlagzeug: Mehr braucht es nicht, um die Zeitkapsel zu öffnen, die sich auf dem neuen alten Album auftut.

Das legendäre Studio von Kruder & Dorfmeister in der Wiener Grundsteingasse war für damalige Verhältnisse gut ausgerüstet, wie die Musiker gegenüber ORF.at per E-Mail erzählen: „Das Equipment bestand vor allem aus einem Atari ST1040 und einem AKAI S1100 Sampler – dazu kam noch ein Technics 1210 Recordplayer, ein kleiner Linemixer und 2 Boxen + Amp. Dazu ein Wurlitzer Piano, eine 303 und ein Moog Prodigy.“

Pionierarbeit im Schlafzimmerstudio

Es war der Beginn der „Bedroom Production Revolution“, die bis heute andauert: „Plötzlich war es möglich, mit wenig Teilen ein professionelles Studio zu simulieren – und es war auch eine gute Schule: Wie lerne ich mit wenig Samplingzeit so umzugehen, dass ich trotzdem einen Song produzieren kann?“

Fotostrecke mit 4 Bildern

Artprint Akai S-1100
Kruder & Dorfmeister
Mit dem Akai S-1100 konnte man nur wenige Sekunden aufnehmen und mit Effekten bearbeiten
Artprint Atari Mega ST2
Kruder & Dorfmeister
Der Atari Mega ST2 fungierte als MIDI-Sequenzer, hatte nur 2 MB RAM und benötigte mehrere Stunden zum Speichern
Artprint Wurlitzer
Kruder & Dorfmeister
Das Wurlitzer-Piano aus dem Homestudio in der Wiener Grundsteingasse
Artprint Record case
Kruder & Dorfmeister
Das wichtigste Accessoire eines tourenden DJs in den 1990ern – ein stabiler Plattenkoffer

Zum Vergleich: Der Akai-Sampler konnte damals 16 Sekunden aufnehmen, die Basis für einen ganzen Song. Der Atari-Computer, auf dem die Samples und Noten per MIDI angesteuert wurden, hatte zwei MB RAM und acht MHz Prozessorleistung – rund 1.100 dieser Computer würde es brauchen, um die Rechenleistung eines aktuellen iPhone bereitzustellen. Kruder & Dorfmeister arbeiteten damals zwei bis drei Monate an einem Remix. Das gesamte Heimstudio passt heute in einen Laptop und verkürzt die Arbeitszeit von mehreren Monaten auf Tage oder gar Stunden.

Cover K+D 1995
Kruder & Dorfmeister
Kruder und Dorfmeisters Album „1995“ ist bei G-Stone erschienen.

Genau dieser Arbeitsweise ist aber auch der Charme des neuen Albums gedankt, finden die Schöpfer: „Nachdem wir die DATs gefunden und den DAT-Player wieder zum Laufen gebracht hatten, stand kurz die Idee im Raum, die Nummern im Computer nachzubauen und eventuell zu erweitern – aber schon bald war klar, dass der Charme der Tracks eben durch die alte Art des Produzierens entstanden ist und das sich so kaum nachstellen lassen würde. Daher blieb es beim Editieren und Mastern der Tracks, um die pure K&D Zeit von 1993–1995 zu erhalten.“

DJ-Dasein als Karrieremodell

Ab ihrer ersten Veröffentlichung, der nur vier Stücke umfassenden EP „G-Stoned“, genauso wie das eigene Label benannt nach der Studioadresse in der Grundsteingasse, waren Kruder & Dorfmeister gefragte Remixer und DJs. Der internationale Hype war bald größer als die Nachfrage in der Heimatstadt, und so begannen die beiden für Madonna und Co. zu remixen und in internationalen Clubs von Paris bis Rio aufzulegen.

Das Remixalbum „The K&D Sessions“ wurde zur Kultaufnahme und festigte die Wahrnehmung der tourenden DJs als Popstars. Das selbst produzierte Material, das man nun auf „1995“ hören kann, ist damals wegen des DJ-Jetsets liegen geblieben: „Mit der Veröffentlichung der K&D Session ging es dann durch die Decke – niemand hatte mit so einem Erfolg gerechnet – das führte dann zu noch mehr Tours auf internationalem Level. Das ursprüngliche Album geriet immer mehr in Vergessenheit, und irgendwie war es auch gar nicht notwendig, es zu releasen: Die K&D Session wurde von den Leuten wie das eigene Album angenommen.“

Kruder & Dorfmeister wurden so zum Vorbild eines aktuellen Wunschtraums vieler Jugendlicher: mit den eigenen DJ-Remixes aus dem Schlafzimmerstudio zum Popstar werden und Millionen für Auftritte bekommen, wie David Guetta, Steve Aoki, Tiesto oder der früh verstorbene Avicii.

Dub, Hip-Hop und Loops

Der Sound auf „1995“ ist jedenfalls unverkennbar Kruder & Dorfmeister und ohne ästhetische Abstriche gealtert. Das fast schon obsessive Verhältnis zu Loops ist zwar genauso dem eingesetzten Equipment geschuldet wie die dubbigen Filter, dennoch vermeiden die perfektionistisch ausgefeilten Stücke viele Eigenheiten, die bei Hip-Hop-Produktionen aus den 1990er Jahren in der Rückschau holprig klingen.

Die Drums klingen organisch und lebendig, der legendäre Moog-Synthesizer aus den späten 1970er Jahren klingt vertraut, und überhaupt hüllen Kruder & Dorfmeister in eine euphorisierende Schwermütigkeit, die zum Grundgefühl des „Vienna Sound“ wurde.

Albumpräsentation als digitale Ausstellung

Natürlich hatten sich die beiden DJ-Legenden die Albumpräsentation als rauschendes Fest vorgestellt, schließlich haben sie in Wien mühelos auch schon das vollbesetzte Burgtheater zum Tanzen gebracht. Jetzt wird „1995“ als digitale Ausstellung online präsentiert, umgesetzt vom auf 3-D-Animationen und Visuals spezialisierten Kreativstudio Formlos. Kruder & Dorfmeister: „Wir sind megastolz, wie einmalig das Ganze geworden ist. So gerne wir natürlich eine Live-Präsentation hätten, ist das zu dieser Zeit einfach nicht möglich. Umso passender ist diese Idee jetzt. Soweit wir wissen, ist es auch weltweit die erste Plattenpräsentation, die in dieser Form stattfindet.“

Screenshot von kruderdorfmeister1995.com
kruderdorfmeister1995.com
Durch die digitale Albumpräsentation kann man sich frei bewegen, hier der Raum zu „Lovetalk“

Das Konzept ist stimmig, man bewegt sich durch eine Szenerie, die an ein Computerspiel der 1990er Jahre erinnert. Jedem Song ist ein eigener Raum in der digitalen Ausstellung gewidmet, in dem sich die Besucherinnen und Besucher auch direkt unterhalten können. Von fantastischer Architektur über bunte Computergrafiken und Sonnenuntergangsszenarien findet man hier Stimmiges. Bei Kruder & Dorfmeisters „1995“ finden Gegenwart und Retrosound zwanglos zueinander – ob bei der Albumpräsentation oder auf dem Plattenteller.