US-Präsident hält eine Rede
Reuters/Carlos Barria
Lügen und Attacken

Für Trump wird es eng

US-Präsident Donald Trump will sich mit einer Klagewelle gegen die drohende Wahlniederlage stemmen. Der Amtsinhaber stellte sich bei einem Auftritt im Weißen Haus als ein Opfer von Wahlbetrug dar, ohne dafür freilich irgendeinen Beleg zu bringen. Herausforderer Joe Biden betonte, die Bevölkerung werde sich von Trump nicht „schikanieren“ lassen – und bleibt im Auszählungskrimi weiter auf Siegeskurs.

In Pennsylvania und Georgia holte Biden den anfänglichen Vorsprung von Trump weiter auf, während dort die per Post eingegangenen Stimmzettel ausgezählt wurden. In Georgia lag Biden weniger als 2.000 Stimmen hinter Trump, in Pennsylvania waren es noch knapp über 40.000. Pennsylvania mit 20 Wahlleuten alleine würde reichen, um Biden ins Weiße Haus zu bringen. Georgia bringt 16 Wahlleute, nötig sind mindestens 270. Ob ein Erfolg dort für Bidens Sieg reicht, hängt noch von der weiteren Entwicklung in Arizona bzw. Nevada ab.

Arizona mit elf Wahlleuten wurde bisher nur von der Nachrichtenagentur AP und dem Sender Fox News Biden zugeschlagen. Biden käme damit auf 264 Stimmen von Wahlleuten – und jeder weitere Bundesstaat würde ihn über die Schwelle heben. Zugleich holte Trump in Arizona zuletzt auf. Zum Stand 4.00 Uhr MEZ lag Biden noch gut 46.000 Stimmen vor Trump. AP und Fox News behielten ihre Prognose aufrecht.

Schwere Vorwürfe, nicht der Hauch von Belegen

Trump prangerte bei seinem Auftritt am Donnerstagabend (Ortszeit) ohne jegliche Belege eine Reihe angeblicher Manipulationen der Abstimmung vom Dienstag an. Dabei sieht er sich weiterhin und trotz noch laufender Auszählung in einer Reihe von Staaten als legitimer Sieger. „Wenn man die legalen Stimmen zählt, gewinne ich mit Leichtigkeit“, sagte Trump, „wenn man die illegalen Stimmen zählt, dann können sie versuchen, uns die Wahl zu stehlen.“

Trump hat keine Beweise für seine Behauptungen vorgelegt, dass es schweren Wahlbetrug gegeben habe. Außerdem gab es keine Anhaltspunkte dafür: Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben eigenen Aussagen zufolge „keinerlei Hinweise auf systemische Probleme finden können“.

Trump kritisierte weiters, dass vor der Wahl zu seinem Schaden wissentlich falsche Umfrageergebnisse veröffentlicht worden seien. Tatsächlich sahen viele Umfragen Herausforderer Biden deutlich besser, als es die bisherigen Ergebnisse tun.

Mehrere US-Sender stoppen Übertragung

Mehrere US-Kommentatoren wollen in Trumps tatsächlich sehr zurückhaltendem Auftritt bereits einen „Abschiedston“ erkannt haben. In vielen Sendern wurden die Attacken Trumps auf den Wahlprozess und damit die Demokratie scharf verurteilt. Es sei unglaublich, dass ein amtierender US-Präsident derartiges – noch dazu von der Bühne des Weißen Hauses aus – sage.

Die großen US-Sender ABC, NBC und CBS taten dann auch tatsächlich etwas, was viele Medienkritiker in den USA seit Jahren forderten, doch kaum ein TV-Sender getan hat: Nach mehreren Lügen und falschen Behauptungen Trumps beendeten sie vorzeitig die Liveübertragung, während Trump noch redete.

Joe Biden und Kamala Harris bei einer Pressekonferenz
AP/Carolyn Kaster
Biden gibt sich siegesgewiss

Kontrastprogramm Biden

Die dritte Nacht nach dem Wahltag ließ den Kontrast zwischen Trump und Biden noch stärker hervortreten. Beide versuchen, mit kurzen Statements und Tweets während der laufenden Auszählung ihre Position zu behaupten. Freilich tun sie das auf völlig unterschiedliche Weise. Während Trump zunehmend mit Anwürfen und Beleidigungen um sich schlägt, gibt sich Biden betont präsidentiell und unterstreicht die Notwendigkeit, das Ende der Auszählung abzuwarten, und betont, dass er als Präsident überparteilich agieren werde. Auf Twitter reagiert er zudem auf Trump, freilich in aller Kürze und ohne diesen namentlich zu erwähnen.

Die amerikanische Bevölkerung werde sich „nicht zum Schweigen bringen lassen, nicht schikanieren lassen und nicht aufgeben. Jede Stimme muss gezählt werden.“ Und in einem zweiten Tweet sprach er vor allem besorgte und nervöse demokratische Anhängerinnen und Anhänger an: „Niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen.“

Trump-Unterstützer demonstrieren außerhalb des Philadelphia Convention Center
Reuters/Mark Makela
Trump-Anhänger vor einem Gebäude, in dem die Stimmen ausgezählt werden, in Philadelphia

Trump: „Wird eine Menge Klagen geben“

Trump kündigte erneut an, sich in großem Umfang vor Gericht gegen eine Niederlage zu wehren. „Es wird eine Menge Klagen geben. Wir können nicht zulassen, dass eine Wahl auf diese Weise gestohlen wird.“ Trumps Team hatte bereits in einigen Bundesstaaten Klagen gegen die Stimmauszählung eingereicht. In Michigan und Georgia wurden diese Beschwerden abgewiesen.

In einem in der Nacht auf Donnerstag bekanntgewordenen Brief forderten Anwälte von Trumps Wahlkampfteam Justizminister William Barr zu Ermittlungen auf. Sie behaupteten, sie hätten in Nevada 3.062 Personen festgestellt, die unrechtmäßig ihre Stimme in dem Bundesstaat abgegeben hätten.

Scharfe Kritik auch aus eigenen Reihen

Trump musste sich scharfe Kritik von Mitgliedern seiner Partei für sein Vorgehen gefallen lassen. „Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben“, schrieb der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, auf Twitter.

In einem Interview mit dem Sender PBS warf er Trump und dessen Lager vor, mit Warnungen vor der Briefwahl den Boden für das jetzige Vorgehen – das Anzweifeln der Ergebnisse – bereitet zu haben. Hogan ist der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Gouverneure.

US-Präsident hält eine Rede
Reuters/Carlos Barria
Es brauche Russland nicht, wenn Trump Verschwörungstheorien verbreite, meinte ein US-Kommentator

„Das wird langsam verrückt“

Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger forderte, für Betrugsvorwürfe Beweise vorzulegen und sie vor Gericht zu präsentieren. „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten … Das wird langsam verrückt“, schrieb er auf Twitter. Trumps Sohn Donald Trump Jr. reagierte verbittert auf die sich abzeichnende Absetzbewegung und forderte seinen Vater martialisch zum „totalen Krieg“ gegen Wahlbetrug auf und kritisierte das „völlige Fehlen“ von Unterstützung prominenter Republikaner für seinen Vater scharf.

Der einflussreiche Vorsitzende des Justizausschusses im US-Senat, Lindsey Graham, stellte sich auf die Seite von Trump und spendete 500.000 Dollar für dessen Anwaltsfonds.