Zwei Personen reinigen ein Reitergemälde
Daisuke Akita
Kulturgeschichte

Putzen als große Kunst

Bürste, Schwamm und Staubsauger: Wie halten wir uns und unsere Wohnungen sauber – und was sagt das über uns aus? Das künstlerische Duo Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter geht mit der Kulturtechnik Putzen in einem vielseitigen Buch auf Staubtuchfühlung.

Klopapier – das intimste aller Putzwerkzeuge – wurde als Mangelware weltweit zum Running Gag des ersten CoV-Lockdowns im März. Ein weiterer häufig gehörter Witz war angesichts des neuen Putzfimmels selbst von Faulenzern, Langeweile sei Dank: „Habe meine Fenster geputzt, und es ist auf einmal so hell in der Wohnung“. Oft wurde ironisch entgegnet, man solle sich die dreckigen Fenster doch gleich für den unvermeidlichen zweiten Herbst-Lockdown aufheben.

Der ist nun gekommen, und wer jetzt unfreiwillig mehr Zeit als geplant in den eigenen vier Wänden verbringt, hat es wieder ständig vor Augen: Der Haushalt macht sich leider gar nicht von allein, so hoch entwickelt können die Putzutensilien und Reinigungsmittel gar nicht sein.

Ein Mann reinigt sich mit einem Besen die Achseln
Ulrike Köb
Putzen, aber richtig

Putzen – wann, wenn nicht jetzt?

Stummerer und Hablesreiter, die sich seit Jahren in unterschiedlichen Medien und Kunstprojekten mit dem Thema Food Design befassen, haben sich in ihrem Buch „Putzen – eine Kulturtechnik“ des stiefmütterlich behandelten Putzthemas angenommen. Viele halten Sauberkeit für eine Selbstverständlichkeit und übersehen, wenn sie nicht selbst für Sauberkeit sorgen, dass Putzen eine konkrete Fertigkeit ist, die Kraft, Aufwand und Können erfordert.

In unserer Gesellschaft wird diese Arbeit allzu oft von Frauen erledigt, gratis oder schlecht bezahlt, und ist wenig angesehen. Das sei nicht immer so gewesen, so Hablesreiter gegenüber ORF.at: „Es gibt beispielsweise ein Haushaltsbuch, veröffentlicht von Catharina Elisabeth Goethe, der Mutter von Johann Wolfgang von Goethe, wo genau aufgegliedert ist, was sie alles tut. Es wird als wichtige, ehrenhafte und lebensnotwendige Arbeit beschrieben, den Haushalt zu organisieren. Unter anderem durch die Industrialisierung ist der Wert dieser weiblichen Arbeit gesunken.“

Vom Wert des Reinigungspersonals

Bei Familie Goethe daheim gab es allerdings Personal, Putzen ist also auch eine Klassenfrage – und eine sehr intime Sache: Wer anderer Leute Wohnungen putzt, weiß fast alles über sie. Vielleicht empfinden es genau deswegen manche Menschen als notwendig, Reinigungspersonal abzuwerten, denn sonst müsste man sich womöglich genieren. Am Beispiel des Putzens lässt sich viel über eine Gesellschaft aussagen, weil sich durch nähere Beschäftigung mit der Reinigungsthematik Hierarchie darstellen lässt, weil sich dadurch Kapitalismus und Fragen vom Umgang mit Ressourcen erklären lassen sowie Arbeitsverteilung und der Wert von Arbeit.

Warum also, und das ist die Grundsatzfrage, hat Putzen tatsächlich so einen schlechten Ruf? Die sprichwörtliche Drecksarbeit und die Abwesenheit einer formellen Ausbildung sind nur ein Teil der Wahrheit. Ausgehend von einem viel beachteten Tweet hat die 24-jährige Wiener Aktivistin und Studentin Emina Mujagic in den letzten Wochen eine Debatte losgetreten: „Ich rede eigentlich nie öffentlich darüber, aber ich arbeite derzeit als Reinigungskraft und jedes Mal, wenn ich es jemandem erzähle, kommt zuerst ein gesenkter Blick und ein ‚ah ok‘. Und
 ich habe das Gefühl, ich muss mich dafür schämen.“

Diese Frage wird auch im Buch von Hablesreiter und Stummerer aufgeworfen. Das Duo, das unter dem Namen „Honey & Bunny“ künstlerisch tätig ist, holt das Thema in den Kunstkontext: 2015 war das „Festival der Regionen“ in Ebensee für die beiden Anlass, an Haustüren fremder Menschen zu klingeln und zu fragen, ob sie denn bei ihnen putzen dürften. Hablesreiter und ein befreundeter Schauspieler putzten daraufhin im eleganten Smoking Küchen, Schlafzimmer und Badezimmer, während Stummerer mit den jeweiligen Menschen Interviews führte.

Die Welt im Putzkübel

„Eine Frau, die hauptberuflich Reinigungskraft ist, hat uns da erzählt, für sie sei es völlig unverständlich, dass sie als Putzfrau gesellschaftlich keinen Wert habe. Aber dennoch seien wir die ersten Menschen, die sich für ihre Arbeit interessieren“, so Hablesreiter. „Und es frustriert sie so, dass sie für jede Oberfläche ein eigenes Mittel haben muss, wo sie doch weiß, dass das umweltschädlich ist. Eigentlich seien Soda, Zitronen- oder Ameisensäure und Seife ausreichend, um alles zu putzen, aber der gesellschaftliche Druck ist so groß, all diese Produkte zu benutzen.“

Frauen beim Fönen, Schminken, Ankleiden und ein Mann beim Putzen
Daisuke Akita
In der Kulturtechnik Putzen laufen viele Themen zusammen. Fragen von Klasse, Geschlecht und Identität zeigen sich darin.

In diesem einen Gespräch über das Putzen war „alles drinnen“, sagt Hablesreiter, „die Kapitalismuskritik, die Nachhaltigkeitsdebatte, ihre Rolle als Frau und als entwertete Arbeiterin. Das Alltägliche ist das eigentlich Politische. Die wahren politischen Probleme bilden sich im Haushalt ab, das Patriarchat, der Zusammenhang mit Hierarchien, Migration, all das.“

Cover des Buches „Putzen- Eine Kulturtechnik“ von Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter
Verlag Böhlau
Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter: Putzen. Eine Kulturtechnik. Böhlau, 214 Seiten, 36 Euro.

Mit dem Wischmopp Leben retten

Saubermachen ist eine anstrengende Arbeit, die Kompetenz erfordert und ein leidiges Streitthema in Wohngemeinschaften, von der traditionellen Kernfamilie bis zur Studentenwohngemeinschaft – Schlagwort „Mental Load“ – mitsamt tausendfach gehörten Ausreden wie „Du hättest ja nur sagen müssen, dass du Hilfe brauchst“ oder „Mich stört der Dreck ja nicht“. Putzen ist Sorgearbeit und zugleich enorm intim: Das persönliche Sauberkeitsbedürfnis ist unterschiedlich, den Dreck anderer Leute zu benennen wird als Übergriff empfunden.

Putzen ist eine soziale Tätigkeit und Hygiene vielfach sogar lebensnotwendig, wie Hablesreiter mit einem Beispiel illustriert: „Wenn man am Operationstisch steht und einem Menschen das Leben rettet, ist das gesellschaftlich hoch angesehen – und das ist auch gut so. Aber wer danach eine beinahe ebenso wichtige, lebenserhaltende Tätigkeit in demselben Operationssaal verrichtet, nämlich ihn putzt, und dadurch das Leben des nächsten Patienten gewährleistet, gilt als wertlos.“

Habelsreiter: „Brutal gesagt: Das ist meistens eine Frau mit Migrationshintergrund, deren Namen niemand kennt und die ganz unten in der Hierarchie des Krankenhauses steht, obwohl sie auch dafür sorgt, dass das Krankenhaus ein Ort der Gesundheit ist.“

Der Pandemie entgegenputzen

Dass Hygiene in Coronavirus-Zeiten besonders wichtig ist, ist ein Mitgrund, weshalb dieses Buch genau jetzt erscheint. Doch nicht nur das Virus wird von Sauberkeit in Schach gehalten: Putzen und Aufräumen kann auch eine wichtige psychohygienische Aufgabe erfüllen. Saubermachen als Weltsortieren, als Chance, in einer unübersichtlichen, verwirrenden Wirklichkeit zumindest im eigenen Wirkungsbereich den Überblick zu behalten, kann helfen.

Ein Kreis aus lauter Putzutensilien
Ulrike Köb
Das Künstlerduo Honey & Bunny entdeckt den ästhetischen Wert von Putzmitteln – hier als Farbkreis

„Es gibt ja auch Kulturen, die das rituell einsetzen und wo das als wichtiger Prozess verstanden wird, der auch psychische Wirkung erzielt“, so Hablesreiter. Die Wirkung der eigenen Hände Arbeit zu sehen, das kann beruhigen: Zumindest der Dreck im Sichtfeld ist einzudämmen, wenn schon die Welt da draußen in Aufruhr ist.