Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Statement zum Ausgang der US-Wahl
Reuters/Michael Kappeler
„Müssen zusammenhalten“

Merkel baut Brücke zu Biden

US-Präsident Donald Trump hat die transatlantischen Beziehungen mit Europa auf eine harte Probe gestellt. Zeit- und teilweise waren die Beziehungen tiefgefroren. Mit der Wahl von Joe Biden schöpft Europa neue Hoffnung. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, sie hat derzeit auch den EU-Ratsvorsitz inne, baute am Montag eine Brücke für Biden.

Merkel, die Biden bereits am Wochenende gratuliert hatte, betonte am Montag in einer Pressekonferenz, die USA und Europa müssten „zusammenhalten“. Amerika bleibe Europas „wichtigster Verbündeter“, so Merkel, deren Land derzeit auch turnusmäßig den EU-Ratsvorsitz innehat. Explizit bekannte Merkel, Deutschland und Europa wüssten, „dass wir in dieser Partnerschaft im 21. Jahrhundert mehr eigene Verantwortung übernehmen müssen“.

„Amerika ist und bleibt unser wichtigster Verbündeter, aber es erwartet von uns – und zu Recht – stärkere eigene Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und für unsere Überzeugungen in der Welt einzutreten.“ Merkel fügte aber gleich hinzu, Europa habe sich „längst auf diesen Weg gemacht“. Deutschland hat allerdings die 2014 eingegangene Verpflichtung, seinen Beitrag zum NATO-Budget auf zwei Prozent des BIP aufzustocken, bisher nicht umgesetzt. Das warf Trump Merkel wiederholt vor.

Neben dem Kampf gegen die Pandemie nannte Merkel als konkrete Bereiche der Zusammenarbeit dezidiert den Kampf gegen die Klimaveränderung und ihre Folgen, die Bekämpfung des Terrorismus und den freien Handel. Denn das seien die Grundlagen des Wohlstands auf beiden Seiten des Atlantiks.

Zweifel an Rückkehr zu Status quo ante

Nach knapp vier Trump-Jahren zweifelten viele auf dem europäischen Kontinent vor der Wahl noch, dass die Beziehung über den großen Teich hinweg je wieder gekittet werden kann. Es werde wohl „kein Zurück zum traditionellen transatlantischen Verhältnis“ geben, sagte der EU-Experte Stefan Lehne in einem Interview mit der APA am Wahltag.

Wer im Weißen Haus sitzt, sei für viele der offenen Baustellen dabei gar nicht so relevant, hieß es im Vorfeld von Politik und Fachleuten. Klar ist aber auch: Biden wird für Europa ein anderer Partner sein als sein Vorgänger. Nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses klang in Europa jedenfalls die Erleichterung über den Wechsel im Weißen Haus durch.

Vertrauen in die USA geschwächt

In Europa, so wirkt es, haben die letzten Jahre vor allem dazu geführt, dass man das Vertrauen in die „Pax Americana“, also das Konzept der friedlichen westlichen Nachkriegswelt mit den USA als Supermacht, langsam verloren habe. Freilich ist diese Entwicklung nicht allein auf die Trump-Präsidentschaft zurückzuführen. Zumindest seit der Jahrtausendwende hat sich das Verhältnis zwischen den USA und Europa verändert – eine Entwicklung, die mehr als die zwei unmittelbar beteiligten Kontinente umfasst.

Irak-Krieg spaltete Europa

So galt bereits die Zeit der US-Präsidentschaft des Republikaners George W. Bush, der von 2001 bis 2009 an der Staatsspitze stand, als Zerreißprobe für das transatlantische Verhältnis. Mit dem ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ nach den Anschlägen des 11. September 2001 trieb man nicht zuletzt auch einen Keil durch Europa.

US Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair bei einer Pressekonferenz in London im November 2003.
AP/Pablo Martinez Monsivais
Der ehemalige britische Premier Tony Blair (r.) unterstützte die Pläne für den Irak-Krieg von US-Präsident Bush

So positionierten sich Frankreich und Deutschland unter Kanzler Gerhard Schröder 2003 gegen den Irak-Krieg, das damalige EU-Mitglied Großbritannien unter Tony Blair hingegen unterstützte das Vorgehen der USA. Hier gab es also nicht nur Unstimmigkeit unter EU-Ländern, sondern in der Folge auch unter NATO-Partnern.

NATO-Forderungen seit jeher Streitthema

Und gerade beim Thema Verteidigung und Rüstung zeigten sich noch deutlich vor Trump Risse. Auch unter dem Demokraten Barack Obama, der nach Bush übernahm, waren die Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten ein Thema. 2016, unmittelbar vor dem Brexit-Votum, appellierte Obama an ein „geeintes Europa“ – und daran, die Verteidigungsausgaben nicht zu vernachlässigen. Er pochte darauf, dass die europäischen NATO-Mitglieder einen größeren Beitrag leisten, eine Forderung, die auch Bush stellte.

US Präsident Donald Trump und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen im Oval-Office im März 2017.
APA/AFP/Saul Loeb
Kein Handschlag für die EU – beim Treffen von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Trump kam es zum Eklat

Zum Eklat kam es aber erst unter Trump – dieser wiederholte die Forderung seiner Vorgänger, doch im Gegensatz zu Obama, der noch versicherte, dass sich Europa „immer“ auf die USA verlassen könne, stellte Trump unverblümt in den Raum, der NATO den Rücken zu kehren, wenn Länder wie Deutschland nicht deutlich mehr in das Bündnis investieren. Ein US-Alleingang wie der Truppenabzug in Syrien veranlasste Frankreichs Präsidenten Macron gar dazu, der NATO den „Hirntod“ zu bescheinigen.

Alle Augen auf China beim Handel

Auch bei Handelsfragen haben sich die Umstände in den letzten zwei Jahrzehnten wesentlich geändert, die Finanzkrise 2008 und der rasche Aufstieg Chinas haben praktisch für eine Neuordnung gesorgt. Bereits Obama setzte einen Asienschwerpunkt, um China in Schach zu halten. Mit Trump wurde dann der Protektionismus unter dem Motto „America First“ zum Motto der USA – mit der Folge, dass kaum noch Unterschiede zwischen Europa und den USA gemacht wurden. So wurden etwa Strafzölle verhängt, die sowohl die Union als auch die Chinesen erwiderten.

Auch hier sieht der EU-Experte Lehne keinen für die Europäer vorteilhaften Unterschied zwischen Trump und Biden: Während Trump alle Bündnispartner geringschätze, werde Biden „die Europäer als Allianzpartner gegenüber China gewinnen und instrumentalisieren wollen“, sagte er vor der Wahl gegenüber der APA. Der Wirtschaftsexperte Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass die China-Frage die „größte Herausforderung“ bei der transatlantischen Beziehung werde. Er erwarte, ähnlich wie Lehne, dass Washington fordern werde, sich „ganz eindeutig auf die amerikanische Seite zu schlagen“.

Brexit zwischen den Fronten

Eines der akutesten Probleme der Transatlantikpolitik – zumindest aus europäischer Sicht – liegt aber nicht in Ostasien, sondern direkt vor den eigenen Grenzen: Mit Großbritannien schied heuer erstmals ein Mitglied aus der EU aus. Während der Austritt selbst bereits im Jänner vollzogen wurde, steht die Zukunft der einstigen Partner noch in den Sternen.

Die USA spielen hier aber eine wesentliche Rolle – denn der britische Premier Boris Johnson hat in der Vergangenheit vor allem über den Atlantik geschielt. Das bestimmt freilich auch die Verhandlungsposition mit der EU – noch steht im Raum, dass es zu überhaupt keiner Einigung zwischen Brüssel und London kommt, die Folgen daraus sind nicht abzusehen. Attraktiv wird diese Option für Johnson aber wohl nur, wenn ihm die USA entgegenkommen.

US Präsident Donald Trump und der britische Premierminister Boris Johnson bei einem Meeting im UN Hauptqartier in New York im September 2019.
APA/AFP/Saul Loeb
Der britische Premier Johnson (l.) zählte bisher auf Trumps Unterstützung

Die USA seien der „wichtigste Verbündete“ Großbritanniens, sagte Johnson am Wochenende. Er freue sich auf die Zusammenarbeit bei „gemeinsamen Prioritäten vom Klimawandel über den Handel bis hin zur Sicherheit“. Schon unter der Woche hieß es aus der Downing Street, dass die transatlantischen Beziehungen stark seien und stark blieben, „welcher Kandidat auch die Wahl gewinnt“. In Sachen Handelsabkommen wirkt es also weiter so, als würde man sich von den USA einen lukrativen Deal erwarten – und pokert unterdessen hoch mit Brüssel, denn die Zeit für eine Einigung mit der EU ist praktisch um.

„Schicksal in die eigene Hand nehmen“?

Rund um die Wahl hörte man aus der EU-Spitzenpolitik im Rückblick auf die vergangenen Jahre vor allem eines: Europa müsse sich angesichts des ungewissen Verhältnisses zu den USA neu positionieren, ganz unabhängig davon, wer an der Spitze steht. Denn das von einigen erhoffte deutliche Zeichen in der US-Innenpolitik blieb aus – und wird wohl dafür sorgen, dass die USA auch und vor allem mit sich selbst beschäftigt sein werden.

Guy Verhofstadt, ehemaliger belgischer Premier und nunmehriger liberaler Europaabgeordneter, schrieb zuletzt auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass Europa erkennen müsse, dass man sich nicht auf Washington verlassen könne. „Egal, wie die Wahl ausgeht: Die EU muss ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen“, so Verhofstadt.

USA „waren kein freundlicher Partner“

Ähnliche Töne kamen aus Frankreich: Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte am Mittwoch, dass die USA „kein freundlicher Partner für die EU“ waren. „Ob Joe Biden oder Trump von den Amerikanern gewählt wird, ändert nichts an dieser strategischen Tatsache.“ Der amerikanische Kontinent habe sich „von Europa abgetrennt“, so Le Maire in einem Radiointerview. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian forderte unterdessen ein „neues transatlantisches Verhältnis“.

In Deutschland wiederum sagte der dortige Finanzminister Olaf Scholz, dass die USA „ein wichtiger Partner bleiben“ würden. Er sagte aber auch, dass die EU „gerade im Hinblick auf die Entwicklungen der Vereinigten Staaten in der internationalen Politik allen Grund“ habe, „darauf zu bestehen, dass Europa seine eigene Kraft entfaltet“.

Am Wochenende wurde das transatlantische Verhältnis vielerorts aber wieder gemäßigter betrachtet, auch aus der EU-Spitzenpolitik. EU-Parlamentspräsident David Sassoli rief zu einer „Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen“ auf. Ob es tatsächlich ein Zurück zum früheren Verhältnis gibt, ist aber unklar. Nach vier Jahren Trump ist man sich über eine Stärkung Europas jedenfalls einig, die Reaktionen nach der Wahl zeigen aber: Auf die eigene Kraft zu setzen geht vielleicht nur schwer mit, aber wohl nicht ohne USA.