Ein Polizeibeamter im Bereich des Tatorts in Wien
APA/Herbert Pfarrhofer
Anschlag in Wien

Observation Mitte Juli abgebrochen

Zu dem Treffen mehrerer Terrorverdächtiger Mitte Juli in Wien sind am Montag weitere Details bekanntgeworden. Der spätere Attentäter von Wien und sein Netzwerk wurden tagelang vom Verfassungsschutz observiert – bis der 20-Jährige in die Slowakei reiste. Just als der Attentäter am 21. Juli in der Slowakei Munition für sein Sturmgewehr kaufen wollte, stellte der Verfassungsschutz die Observationen ein.

Dabei hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) nach APA-Informationen detailliert beobachtet, wie der 20-Jährige und sein Wiener Bekanntenkreis vier islamistische Gesinnungsgenossen aus Deutschland und der Schweiz in Wien-Schwechat abholten. Das BVT war von Kollegen aus Deutschland gewarnt worden, dass zwei mutmaßliche Dschihadisten auf dem Weg nach Wien sind. Weshalb der spätere Attentäter und sein engeres Umfeld nicht mehr überwacht wurden, nachdem die beiden Deutschen zurückgekehrt waren, ist unklar.

An dem Treffen hätten auch Personen teilgenommen, die im Zuge der Ermittlungen zum Anschlag vergangene Woche in Wien in Haft genommen wurden, bestätigte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, am Montag. Wie viele Personen genau an dem Treffen teilnahmen, sagte Ruf nicht. „Es war ein größerer Personenkreis, der sich getroffen hat.“ Einige hätten übernachtet, andere seien wieder abgereist.

Essen, Sightseeing und Übernachtungen

Der Attentäter und einige seiner Bekannten, die seit dem Wochenende wegen mutmaßlicher Mitwisserschaft bzw. Mittäterschaft am Anschlag in Wien in U-Haft sitzen, führten die Deutschen und Schweizer laut APA in unterschiedlicher Zusammensetzung zum Essen aus. Sie besuchten mit diesen Moscheen zum gemeinsamen Gebet und ließen sie in ihren Wohnungen übernachten. Auch einige Sehenswürdigkeiten der Stadt sollen sie ihnen gezeigt haben.

Laut Schweizer Medien waren die zwei Männer aus der Schweiz zwischen 16. und 20. Juli in Wien. Den Berichten zufolge könnte der Attentäter seinerseits in die Schweiz gereist sein. „Zusammen mit dem Bundesamt für Polizei, dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), der Jugendanwaltschaft Winterthur und der Staatsanwaltschaft Zürich und in ‚enger Zusammenarbeit‘ mit den österreichischen Behörden“ kläre die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) nun weiter ab, „in welchem Verhältnis die Männer zueinander standen“, heißt es in diesem Zusammenhang beim Schweizer Fernsehen (SRF).

Bei der Terrorattacke in Wien wurden am Montagabend vergangener Woche vier Menschen getötet und 22 zum Teil schwer verletzt. Der Schütze wurde von der Polizei erschossen.

Bestehende Anklage gegen möglichen Mittäter

Gegen einen der Männer, die als mögliche Mitwisser bzw. Mittäter in U-Haft sind, lag zum Zeitpunkt des Anschlag eine rechtswirksame Anklage wegen terroristischer Vereinigung (§ 278b StGB) vor, bestätigte das Landesgericht für Strafsachen in Wien. Anfang Oktober sei eine entsprechende Anklage eingebracht worden.

Innenministerium in der Kritik

Am Montag hat es in Österreich zahlreiche Razzien gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft gegeben. Laut Innenministerium ist damit ein „schwerer Schlag gegen den politischen Islam“ gelungen. Währenddessen kommen aber immer mehr Pannen rund um die Terrorermittlungen des Innenministeriums ans Tageslicht. So wurde am Montag bekannt, dass der Verfassungsschutz die Observation des Attentäters eingestellt hatte, bevor dieser im Juli in der Slowakei versuchte, Munition zu kaufen.

Darin wird ihm vorgeworfen, sich seit März 2018 für die radikalislamische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) betätigt und den späteren Attentäter bei dessen Plänen unterstützt zu haben, nach Syrien zu reisen, wo sich dieser dem IS anschließen wollte. Dem 18-Jährigen wird ein „psychischer Tatbeitrag“ angelastet. Er soll den um zwei Jahre Älteren in Chats bestärkt haben, seine Syrien-Pläne in die Tat umzusetzen. Darüber hinaus soll er IS-Propagandamaterial verbreitet haben.

Am nächsten Tag verhaftet

Der 18-Jährige war zum Zeitpunkt des Attentats auf freiem Fuß und wurde erst am nächsten Tag verhaftet – aus Sicht der Staatsanwaltschaft Wien „wäre eine U-Haft unverhältnismäßig gewesen“, hieß es Montagnachmittag. Zum Zeitpunkt der inkriminierten Tathandlungen war der Bursch 16 Jahre alt und unbescholten. Die Delikte, die man dem 18-Jährigen in der rechtswirksamen Anklage vorwerfe, seien zudem eher im niederschwelligen Bereich angesiedelt.

Den späteren Attentäter habe er zwar mit Zuspruch bestärkt, diesem aber keine darüber hinausreichende Unterstützung geboten. Da es überdies keine Hinweise auf gewalttätiges Verhalten gegeben habe, hätte es mit dem Wissensstand beim Einbringen der Anklage keine hinreichenden Haftgründe gegeben, so die Staatsanwaltschaft.

Der Attentäter wurde auf dem Weg nach Syrien im Herbst in der Türkei verhaftet und nach Wien zurückgeschickt. Im April 2019 wurde er wegen terroristischer Vereinigung gemeinsam mit einem 22-Jährigen verurteilt – dieser hatte allerdings nicht versucht, an der Seite des Jüngeren nach Syrien zu gelangen. Vielmehr hatten die beiden noch davor geplant, sich als Dschihadisten in Afghanistan zu betätigen, was ebenfalls scheiterte.

Hausdurchsuchungen in Deutschland

Erst am Freitag hatte das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) von Verbindungen des Wiener Attentäters nach Deutschland berichtet. Konkret seien Wohnungen und Geschäftsräume von vier Personen in Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein durchsucht worden, teilte das BKA am Freitag via Twitter mit. Die vier Betroffenen seien nicht tatverdächtig und wurden auch nicht verhaftet: Zwei der vier Personen sollen aber den Attentäter in Wien getroffen haben.

„Finale Abklärung“ zu U-Kommission

Die Untersuchungskommission, die Ermittlungsfehlern im Vorfeld des Anschlags von Wien nachgehen soll, könnte schon bald ihre Arbeit aufnehmen. Innen- und Justizministerium befänden sich in der Phase der „finalen Abklärung“, sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Montag am Rande einer Pressekonferenz in Wien.

Die Kommission soll Nehammer zufolge aus Gründen der Unabhängigkeit weder in seinem Ressort noch im Justizministerium angesiedelt sein. Wer sie leiten wird, ist noch nicht bekannt. Zur Kommission hatte es Ende der Vorwoche ein Treffen zwischen Nehammer und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) gegeben.

Die SPÖ forderte unterdessen eine neuerliche Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats. Der stellvertretende Klubobmann Jörg Leichtfried kündigte für den Auftakt der Budgetwoche Dienstag kommender Woche eine Dringliche Anfrage an Nehammer an. Es seien „skandalöse Fehler passiert, ohne die die Tat hätte verhindert werden können.“ NEOS forderte die sofortige Einberufung des Unterausschusses zum Innenausschuss („Geheimdienstausschuss“) und dort einen konkreten Fahrplan zur „überfälligen“ BVT-Reform. NEOS forderte auch, dass das Parlament den Vorsitzenden der U-Kommission bestimmt.

Grüne sehen ÖVP in der Verantwortung

Auch die Grünen halten Konsequenzen aus dem Wiener Attentat für nötig. Die Sicherungshaft für Gefährder ist für den Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch aber „kein Thema“. Er forderte am Montag die Neuaufstellung des BVT samt Infoverpflichtung gegenüber der Justiz.

Die Verantwortung dafür, dass das BVT ein „Scherbenhaufen“ sei, sieht Rauch nicht nur bei Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), sondern auch beim schwarzen Koalitionspartner in Land und Bund. Denn das BVT sei 15 Jahre lang in der Hand der niederösterreichischen ÖVP gewesen. Zudem kritisierte Rauch das „vorschnelle Fingerzeigen“ auf die Justiz: Das sei weder inhaltlich richtig noch staatspolitisch verantwortungsvoll gewesen – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Oberösterreich schnürt Anti-Terror-Paket

In Oberösterreich wurde unterdessen von den Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ ein Anti-Terror-Paket geschnürt. Ein Initiativantrag im Landtag sieht unter anderem den Entzug der Staatsbürgerschaft für Terroristen, die Auflösung von radikalisierenden Vereinen und die Aberkennung des Asylstatus und Abschiebung bei Unterstützung von Terrornetzwerken vor – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Von der oberösterreichischen ÖVP hieß es, es handle sich um Forderungen, die sich allesamt an den Bund richten. Der Entzug der Staatsbürgerschaft samt Abschiebung gelte nur für Doppelstaatsbürger, hieß es auf Anfrage bei der ÖVP, Personen mit nur österreichischer Staatsbürgerschaft könne man wohl nicht außer Landes bringen. Am Donnerstag soll der Zehnpunkteplan dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden.