Eine junge Frau mit Schutzmaske in der Stadt
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Junge besonders betroffen

CoV als Dauerbelastung für die Psyche

Eine schnelle Entspannung in der Coronavirus-Pandemie ist derzeit nicht in Sicht – ganz im Gegenteil wird sich noch diese Woche weisen, ob die Maßnahmen und damit der Anfang November in Kraft getretene zweite Lockdown weiter verschärft werden. Nicht absehbar sind die Folgen der Krise für die Psyche, wobei Jugendliche und junge Erwachsene offenbar besonders mit der CoV-Dauerbelastung zu kämpfen haben.

Wie aus einer umfassenden Untersuchung der Fakultät für Psychologie der Universität Wien hervorgeht, seien die Österreicherinnen und Österreicher aus psychologischer Sicht grundsätzlich zwar durchaus gut durch den ersten Lockdown gekommen. Bei bestimmten Untergruppen, darunter Erwachsenen zwischen 20 und 30 Jahren, habe man aber „sehr wohl extreme Werte gesehen“, wie der an der Wiener Universität lehrende Psychologe Claus Lamm sagte.

Lamm erklärt das damit, dass sich die Unsicherheiten in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt stärker auf junge Erwachsene auswirken. Außerdem sind sie vielfach stärker isoliert als andere Altersgruppen: „Junge Menschen, die möglicherweise gerade von zu Hause weggezogen sind, haben vermutlich deshalb eine höhere Belastung gezeigt, weil sie noch über kein stabiles soziales Netz verfügen.“

„In der öffentlichen Kommunikation ging es vor allem darum, dass man die Alten und Kranken schützen muss. Dann kamen Menschen mit psychologischer und psychiatrischer Vorgeschichte auf den Radar, aber dass die Jungen besonders stark betroffen waren und sind, wurde zu wenig beachtet.“ Die Erkenntnisse decken sich mit ähnlichen Studien aus den USA, Großbritannien und China.

„Keine Entwarnung“

Mit Blick auf die Pandemieentwicklung ist derzeit nicht mit einer Entspannung zu rechnen. „Nach einem raschen Anstieg psychischer Symptome im April gibt es nach neuerlichen Untersuchungen derselben Personen sowohl im Juni als auch im September bisher keine Entwarnung“, sagte dazu der Leiter des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit der Donau-Universität Krems, Christoph Pieh.

Es sei „besorgniserregend, dass ein so großer Teil der Bevölkerung psychisch dermaßen stark und lange belastet ist“, so Pieh mit Verweis auf die Erkenntnisse aus einer Studie, wonach sich auch ein halbes Jahr nach dem CoV-Ausbruch „keine relevante Verbesserung“ zeige.

Laut der jüngst im „Journal of Psychosomatic Research“ veröffentlichten Untersuchung zeigte sich, dass Personen über 65 Jahren mit Abstand am besten durch die Krise gekommen seien. „Junge Erwachsene zeigen seit dem Beginn der Krise hingegen eine auffallend hohe Belastung.“ Die Ursachen dafür seien „vielfältig und individuell sehr unterschiedlich“ und reichten von Sorgen um die Gesundheit über Zukunftsängste und Angst vor Jobverlust bis zu Einsamkeit.

Jeder Fünfte mit Symptomen

Auch nach Erkenntnissen der Medizinischen Universität Innsbruck hat die Coronavirus-Pandemie teils tiefgreifende Auswirkungen auf die Psyche. Rund ein Fünftel der Bevölkerung habe depressive Symptome entwickelt, hieß es dazu am Dienstag bei der Präsentation einer ersten Bilanz gleich mehrerer Forschungsprojekte.

Im besten Fall reagiere man in der Krise wie ein gesunder Baum, dessen Äste sich der Veränderung anpassen und sich biegen, statt zu brechen, sagte dazu Katharina Hüfner, Fachärztin an der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie. Als Beispiel verwies sie etwa auf eine überstandene Coronavirus-Erkrankung. „Da geht es um Dankbarkeit, dass man mit seiner Krankheit behandelt wurde, dass man sieht, wie wichtig familiärer Zusammenhalt ist oder eine Partnerschaft oder Freundschaft.“

Die psychische Dauerbelastung führe aber auch zu Stressreaktionen, die chronisch werden können. Damit gingen dann biologische Veränderungen einher. Das Immunsystem verändere sich, aber auch die Hormone. Sie seien die Botenstoffe, die auch im Gehirn mit den Nervenzellen kommunizieren und dann zu körperlichen Symptomen und Erkrankungen führen können.

CoV als „negativer Stimmungsverstärker“

„Ich merke bei mir in der Arbeit wahnsinnig viel Unsicherheit: Wie wird es bei mir weitergehen, wird es meinen Job noch geben, meine Arbeitsstelle noch geben, meinen Beruf in der Form noch geben?“, so der Psychotherapeut Lukas Wagner. „Mein Gefühl war da jetzt ganz oft in der Psychotherapie, dass Corona ein negativer Stimmungsverstärker ist und die Leute noch stärker das Negative erleben, das vorher schon da war“, sagte Wagner gegenüber dem ORF-Landesstudio Steiermark.

Vor allem Familienkonflikte seien „ein großes Thema“ – Stichwort Distance-Learning, geringe Ausweichmöglichkeiten und Jugendliche, die stundenlang Computer spielten. Angesichts des für Jugendliche „extrem wichtigen“ Kontakte zu Gleichaltrigen sei die Situation für diese besonders schwierig, so die Psychotherapeutin Monika Wicher, der zufolge der Bedarf an Therapien derzeit um 25 bis 30 Prozent höher sei als 2019.

Teenager wieder in Schule schicken

Auch Lamm verwies auf die Gruppe der Jugendlichen. Dass die Oberstufe ins Homeschooling geschickt wurden, hält er für einen Fehler. Aus Sicht des Neurowissenschaftlers stecken diese in einer kritischen Phase: „Das ist die Zeit der Identitätsfindung, da gibt es viel Unsicherheit im individuellen System.“ Die Jugendlichen wieder zu isolieren und auf sich selbst zurückzuwerfen sei nicht gut, so Lamm: "Ich würde sie wieder in die Schule zurückschicken.“

Kinder kämen mit der Ausnahmesituation vergleichsweise gut klar, konstatierte Lamm. „Vielleicht liegt es an der kindlichen Naivität oder daran, dass sie mehr von den Eltern hatten, wenn Mama und Papa im Homeoffice oder in Kurzarbeit sind.“

„Realität passt sich nicht an unsere Intentionen an“

Was den weiteren Umgang mit den CoV-Maßnahmen betrifft, sagte Lamm: „Das Gemeinschaftsgefühl nicht zu verlieren ist – denke ich – eine ganz wichtige Herausforderung.“ Allerdings brächten die mittlerweile lange Dauer der Krise, das anhaltende Gefühl des Nicht-Bescheid-Wissens und die komplexe und unübersichtliche Situation an sich das Gefühl mit sich, „dass die Gesellschaft ein Stück weit auseinanderdriftet“.

Das liege auch daran, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen recht unterschiedlich von den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen betroffen sind. Dazu komme auch eine Gruppe an Personen, die angesichts der Belastungen auf „einfache Lösungen“ setze. „Das ist natürlich eine fatale, aber auch verständliche Strategie aus der Sicht eines Psychologen: Wir haben hier eine hochkomplexe Situation mit vielen, sich teilweise widersprechenden Informationen. Das legt natürlich die Tendenz nahe, es sich einfach zu machen“ und alles mitunter als Erfindung, Humbug und Symptom von Zahlenmanipulationen abzutun.

Leider sei die Realität jedoch kompliziert, und das sollte auch deutlich so angesprochen werden, so Lamm: „Die Realität passt sich ja leider nicht an unsere Intentionen an.“