computergesteuerte Skulptur „SEER“ (Simulative Emotional Expression Robot) des japanischen Künstlers Takayuki Todo
APA/dpa/Boris Roessler
Künstliche Intelligenz

Frankensteins Erben

Der Forscher Frankenstein sagt in Mary Shelleys gleichnamigem Roman, nachdem er sein Monster geschaffen hat: „Nun war ich selbst dazu in der Lage, lebloser Materie Leben zu schenken!“ Ist es das, was heute mit Künstlicher Intelligenz passiert? Wird Leben erschaffen? Ethische Fragen stellen sich heute wie damals.

Victor Frankenstein will einmal Gott spielen: Aus menschlichen Leichenteilen erschafft er einen künstlichen Menschen. Schön soll er sein, groß und stark. Aber das Experiment scheitert, die Kreatur ist hässlich. Voller Abscheu lehnt Frankenstein sein Wesen ab und erkennt zu spät, welche Kräfte er geweckt hat. Der Wissenschaftler verliert die Kontrolle über seine Schöpfung.

Shelleys Roman „Frankenstein – Oder der Moderne Prometheus“ aus dem Jahr 1818 ist Gothic Novel, Science-Fiction und Wissenschaftsroman in einem – und beschäftigt die Forschung bis heute. Mit dem Gedankenexperiment, künstliches Leben zu erschaffen, dem „Frankenstein-Effekt“ und dem damit einhergehenden wissenschaftlichen Größenwahn, war Shelley ihrer Zeit voraus. Heute ist es eine realistische Möglichkeit, die Entwicklung von menschenähnlichen Robotern schreitet voran. Die großen Fragen, die Shelley aufwirft, das Verständnis, was es bedeutet Mensch zu sein, die Beziehung zwischen Mensch und Maschine zu untersuchen, ist in der heutigen Robotikforschung aktueller denn je.

Künstliche Intelligenz von Frankenstein bis heute

Was dürfen Maschinen können? Wie menschenähnlich sind sie? Von „Frankenstein“ bis zur Forschung über Künstliche Intelligenz tauchen immer wieder dieselben ethischen Fragen auf.

Mary Shelleys Traum

Die Geschichte von „Frankenstein“ beginnt 1816 am Genfer See in der Schweiz. Hier verbringt die 18-jährige Mary Wollstonecraft mit ihrem späteren Ehemann Percy Bysshe Shelley ihren Urlaub. Das Paar ist zu Gast beim englischen Dichter Lord Byron in dessen Villa Diodati. Die Freunde beschließen, dass jeder von ihnen eine Horrorgeschichte schreiben soll.

Im Traum, so berichtet Shelley später, erscheint ihr das Bild eines jungen Studenten, der ein hässliches, zusammengeflicktes Wesen durch Elektrizität zum Leben erweckt. Es ist die Geburtsstunde von „Frankenstein – Oder der moderne Prometheus“. Der Roman erscheint am 11. März 1818 in England. Von Eliterezensenten wird das Buch als überreizt und unrealistisch kritisiert, jedoch gewinnt es schnell eine populäre Leserschaft. Große Bekanntheit erlangt der Roman schließlich, als er für die Bühne dramatisiert wird.

Die britische Schriftstellerin Mary Shelley
Public Domain
Ein Traum inspirierte Mary Shelley zu ihrem „Frankenstein“

Das wahre Monster

Verfilmungen und Bühnenadaptionen in der heutigen Popkultur haben dazu geführt, dass die Kreatur als Monster betrachtet wird, grün und ächzend. Aber für Shelley ist nicht das Wesen das Monster, sondern sein menschlicher Erschaffer. Der Unmensch ist der Wissenschaftler, der Kräfte auslöst, die sich seinem Einfluss entziehen. Die englische Literaturwissenschaftlerin Janet Todd sieht „Frankenstein“ als Warnung vor dem gefährlichen Umgang mit Forschung. Der Untertitel weist dabei auf die Gefahren das Gott-Spielens hin.

Das zentrale Problem ist nicht die Erschaffung des Geschöpfes, sondern die Tatsache, dass es verlassen wird, erklärt Todd im Interview mit ORF.at. Verstoßen von seinem Schöpfer und traumatisiert durch die Ablehnung, die das Wesen von der Gesellschaft erfährt, vereinsamt es – und wird böse. „Es wird betont, dass das Geschöpf gut ist, bis es durch Grausamkeit und Vernachlässigung zum Bösen gemacht wird“, erklärt Todd.

Literaturwissenschaftlerin Janet Todd
ORF
Literaturwissenschaftlerin Janet Todd sieht „Frankenstein“ als Warnung für die Wissenschaft

Fehlgeleitete Wissenschaft

Oliver Schürer forscht an der Technischen Universität Wien an humanoiden Robotern. Im Interview mit ORF.at sagt er: „Dass das Monster hässlich ist, ist Frankensteins ureigenste Verantwortung.“ Frankensteins Scheitern, Verantwortung für seine Schöpfung zu übernehmen, sieht er als ein Lehrstück für Wissenschaftler.

Im Forschungsprozess sei Frankenstein schlampig: „Er ist nur daran interessiert, dass es funktioniert, wie es funktioniert, ist für ihn sekundär. Und das fällt ihm auch sofort auf den Kopf, nämlich in dem Moment, als es funktioniert.“ Schürer fügt hinzu: „Das ist ein extrem wichtiger Moment, vielleicht der wichtigste Moment in dem ganzen Roman. Als er den kompletten Umfang seiner Schöpfung erkennt.“

Boris Karloff im Film „Frankenstein“
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„Frankenstein“ warf ethische Fragen auf – und fand Eingang in die Populärkultur; hier Boris Karloff in „Frankenstein“ (1931)

Menschenartige Roboter auf dem Vormarsch

Im Rahmen seiner transdisziplinären Forschungsgruppe H.A.U.S. (Humanoids in Architecture and Urban Spaces) erforscht Schürer die Beziehung zwischen Mensch und humanoiden Robotern. Ab wann ist eine Maschine menschlich? Ist es die Fähigkeit zu kommunizieren? Sich autonom fortzubewegen? Genaue Kriterien gibt es laut Schürer nicht: „Menschenartigkeit hat man zum Beispiel schon in irgendeiner digitalen Dose, die im Wohnzimmer herumsteht und die spricht“, so der Wissenschaftler. „Aber wenn diese sich mit Sprache an uns wendet, dann ist schon so viel Menschenartigkeit dabei, dass wir bereits beginnen, als Menschen in gewisser Weise auch menschlich auf diese Technologien zu reagieren.“

Neben der Sprache gibt es noch weitere Komponenten, die eine Maschine menschlich machen können – dazu zählen ein erkennbares Gesicht und der Blick: „Durch dieses Anschauen wird man direkt als Individuum angesprochen“, erklärt Schürer und fügt hinzu: „Da kann ich mich nicht erwehren, als Ich zu reagieren mit meiner ureigensten Persönlichkeit.“

computergesteuerte Skulptur „SEER“ (Simulative Emotional Expression Robot) des japanischen Künstlers Takayuki Todo
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Humanoide Roboter wie „Seer“ reagieren auf menschliche Emotionen

Ein Spiegelbild menschlicher Gefühle

Seer (Simulative Emotional Expression Robot) etwa, vor zwei Jahren bei der ars electronica in Linz präsentiert, ist ein humanoider Roboter und wurde vom japanischen Künstler Takayuki Todo entwickelt. Der Roboter wurde mit Hilfe eines 3-D-Druckers ohne geschlechts- oder ethnizitätsspezifische Merkmale gestaltet. Er interagiert mit dem Betrachter nicht nur durch Blickkontakt, sondern auch durch Nicken des Kopfes und Bewegung der Augen, Augenlider und Augenbrauen. Die Intensität der Bewegungen nimmt zu, wenn sich die Person Seer nähert.

Der japanische Künstler erforscht die Bedeutung von Blick und Gesichtsausdruck in der Mensch-Maschine-Interaktion. Todo arbeitet seit Jahren an anthropomorphen Figuren, die aus völlig synthetischen Materialien bestehen und durch ihren Blick etwas wie Lebendigkeit erhalten.

Pepper – Roboter mit „Emotionen“

Ein humanoider Roboter, mit dem Schürer im Rahmen seiner Forschung arbeitet, ist Pepper. In der Maschine sind laut dem Wissenschaftler alle momentan möglichen Eigenschaften verbaut, die Menschenartigkeit ausmachen können. Pepper kam 2014 auf den Markt und ist der erste soziale Roboter seiner Art, der Gesichter und grundlegende menschliche Emotionen erkennen kann.

Mit einer Kombination aus Software, einer „Emotion Engine“, und Hardware, kann der Roboter Gesichtsmimik, Stimmlage, Sprache und Gesten seines Gegenübers analysieren und sein Verhalten entsprechend anpassen. Die eigenen „Emotionen“ drückt Pepper durch Worte, Gesten und die Farbe der Augen aus. Mit Hilfe eingebauter Kameras und Richtmikrofone kann die Maschine Gesichter und Geräusche über mehrere Meter hinweg registrieren und so eigenständig wie aktiv mit Menschen Kontakt aufnehmen.

Roboter Pepper
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Pepper vereint an humanoiden Eigenschaften, was derzeit nach Stand der Forschung möglich ist

Roboter als Projektionsfläche

Kann man bereits behaupten, dass Pepper eine eigene Persönlichkeit hat? Auf diese Frage hat Schürer eine klare Antwort: „Wenn mir die Maschine gegenübersteht, sehe ich keine Persönlichkeit, da ist nichts außer maschineller Prozesse, die sehr raffiniert gesteuert sind.“

Aber es gibt die Bewegung, die Fortbewegung und den Blick der Maschine. „Das sind alles extrem starke Impulse, die den Eindruck vermitteln, dass dort Intention, Absicht existiert. Dass Wünsche vorhanden sind, Begehren existieren. Und all das sind meine eigenen Projektionen“, erklärt Schürer.

Sendungshinweis

ORF2 zeigt am Freitag um 23.05 im Rahmen von „Universum History“ die Dokumentation „Mythos Frankenstein – Vision und Warnung“.

Hochkomplexes Bewusstsein

Nachdem er von seinem Schöpfer verlassen wird, versucht Frankensteins Homunkulus, alleine in den Wäldern zu überleben. Er fühlt sich zu den Menschen hingezogen und beobachtet sie. Dadurch lernt er die Verhaltensweisen und Sprache der Menschen. So wird sich Shelleys Wesen nach und nach seiner selbst bewusst.

Das Nachbilden von menschlichem Bewusstsein in Robotern ist nach aktuellem Forschungsstand noch nicht möglich, denn das menschliche Bewusstsein ist hochkomplex und besteht aus mehreren Ebenen, die gar nicht bekannt, geschweige denn erforscht sind. Über ein Bewusstsein, das dem der Menschen äquivalent ist, würden Maschinen erst dann verfügen, wenn sie mentale Prozesse nicht nur abspielen, sondern diese auch erleben und empfinden könnten, erklärt Schürer. Davon sei die Technologie derzeit aber noch weit entfernt.

Gefahren der Roboterforschung

Die Peppers mit eigenem Bewusstsein sind also noch eine Zukunftsvision. Als erste Generation, die an solchen Technologien forscht, sollte man das Augenmerk aber nicht nur auf das Potenzial, sondern auch auf die Risiken und Gefahren legen, sagt Schürer. Die Forschung an humanoiden Robotern führe zum einen dazu, dass man ein besseres Verständnis von der Funktion des menschlichen Körpers bekomme. Zum anderen bestehe aber die Gefahr, dass die Maschinen die Menschen überholten und dort eingesetzt würden, wo der Mensch durch seine biologische Struktur begrenzt sei. Als Beispiel nennt Schürer die Kriegsrobotik.

Eine weitere Gefahr sieht der Wissenschaftler auch in sozialen Robotern, die als sogenannte Kameraden und Gefährten für den privaten Gebrauch entwickelt werden: „Wir werden simulierte Persönlichkeiten haben, die aus Katalogen ausgewählt werden können.“ Das könnte allerdings dazu führen, dass die Roboterpersönlichkeiten einen derartigen Perfektionsgrad erreichen, dass für manche Menschen der zwischenmenschliche Umgang zu schwierig und komplex werden könnte.

Die Feminisierung von Technik

Das Markenzeichen von Pepper sind die großen schwarzen Augen und die Stupsnase. In Kombination mit dem zu großen Kopf und dem kindlich anmutenden, schlanken Körper erinnert Pepper an japanische Manga-Figuren. „Pepper ist ein perfektes Beispiel von dem Designprinzip der Cuteness,“ erklärt Schürer. „Dazu kommt dann eben diese spezifische Feminisierung.“

Und genau darin sieht Schürer ein weiteres Risiko: Gesellschaftliche Stereotype und Rollenbilder werden in den Maschinen reproduziert und dadurch einmal mehr festgeschrieben. Eine Problematik, die an Pepper sichtbar wird: Pepper soll dienlich und harmlos sein, vertrauensvoll wirken – kurz gesagt, einer stereotypen Weiblichkeit entsprechen. Und nach diesem Prinzip wurde Pepper konstruiert: Die Maschine ist nur 1,20 Meter groß und wiegt rund 28 Kilogramm. Die Durchschnittsgröße sorgt dafür, dass in der Regel jeder auf Pepper hinabschauen kann. Das suggeriert Peppers Unterwürfigkeit und die menschliche Überlegenheit dem Roboter gegenüber.

Reproduktion von Rollenbildern

Janina Loh forscht im Bereich der Roboterethik an der Universität Wien. „In der Konstruktion von Robotern setzen wir häufig ganz selbstverständlich den gesellschaftlichen Common Sense weiter fort und bestätigen ihn dadurch. Das ist ausnehmend problematisch“, erklärt Loh im Interview mit ORF.at. Besonders in sozialen Berufen werden nach wie vor eher Frauen gesehen, da diese Positionen vermeintlich weiblich geltende Fähigkeiten wie Empathie erfordern. Werden für diesen Bereich humanoide Roboter entwickelt, entsprechen diese oft dem gesellschaftlichen Rollenverständnis, so Loh.

Janina Loh
Andrea Vollmer
Janina Loh forscht an der Universität Wien; sie widmet sich ethischen Fragen

Welchen Platz soll Pepper in unserer Gesellschaft einnehmen? Wer wird einmal die Verantwortung für die Handlungen des Roboters übernehmen? Zahlreiche ethische Fragen gehen mit der Entwicklung von humanoiden Robotern und Künstlichen Intelligenzsystemen einher, auf die es noch keine Antworten gibt. Im Jahr 2016 wurde vom deutschen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Ethikkommission für Automatisiertes und Vernetztes Fahren ins Leben gerufen, die weltweit erste ihrer Art. Die Kommission setzt sich dabei mit den ethischen Fragen auseinander, die durch die Entwicklung solcher Technologien entstehen, zum Beispiel, welchen Grad der Abhängigkeit von technischen Systemen wir Menschen zulassen möchten.

Shelleys Vermächtnis

Für Loh ist die Ethikkommission ein wichtiger Schritt, aber verantwortungsvolle Robotik könne nicht auf eine Stelle in der Gesellschaft beschränkt werden, so die Philosophin. Die Entwicklung eines ethischen Bewusstseins im Hinblick auf Technik müsse auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen stattfinden, auch in Schulen und Unternehmen. So sieht Loh zum Beispiel verpflichtende ethische Weiterbildungskurse in Robotikunternehmen vor, die serienmäßig produzieren.

Als Shelley vor rund 200 Jahren in der Villa Diodati saß, konnte sie nicht ahnen, wie stark ihr Roman die Wissenschaft und Kultur des 21. Jahrhunderts prägen würde. „Wir sind jetzt in einer großen, ausgedehnten ethischen Diskussion angekommen, schon seit einigen Jahren, und die wird noch für längere Zeit existieren: Man muss ausdiskutieren, wie denn mit diesen Maschinen umzugehen ist“, so Schürer.