Kinder und Lehrerin während des Unterrichts mit Mund-Nasen-Schutzmasken.
Reuters/Leonhard Foeger
„Ultima Ratio“

Aufbäumen gegen Schul-Lockdown

Seit Tagen sorgen im Raum stehende Verschärfungen der Coronavirus-Maßnahmen und damit weitere Schulschließungen für heftige Debatten. Nach wie vor stemmt sich eine breite Front gegen einen Lockdown der noch offenen Pflichtschulen. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann bezeichnete diesen am Mittwoch als „Ultima Ratio“ – ob die Schulen offen bleiben, liege aber nicht in seiner Hand.

Als einzelner Fachminister könne er auch keine Garantien abgeben, dass nach den Oberstufen nicht weitere Schulen geschlossen werden. Das ist laut Faßmann „nicht eine Angelegenheit des Bildungsministers, sondern eine Sache des Gesundheitsministers in Zusammenarbeit mit der Regierungsspitze“.

Aktuelle Untersuchungen zeigen allerdings laut Volker Strenger von der Grazer Uniklinik für Kinder und Jugendheilkunde, dass das Infektionsgeschehen im Pflichtschulalter am niedrigsten ist. Die unter 14-Jährigen seien die am wenigsten betroffene Bevölkerungsgruppe, so Strenger unter Berufung auf AGES-Daten. Er stellt daher die Sinnhaftigkeit etwaiger Schließungen von Pflichtschulen infrage.

Wohl Entwicklung der Zahlen ausschlaggebend

Das Kriterium könnte allerdings ein anderes sein. Minister Faßmann betonte am Mittwoch jedenfalls, die Entscheidung werde sich an den Neuinfektionen und den Kapazitätsgrenzen in den Krankenhäusern vor allem im intensivmedizinischen Bereich orientieren. Die zentrale Frage sei, ob der seit einer Woche wirksame Lockdown schon eine Veränderung der Dynamik bei den Infektionszahlen bewirkt habe oder eben nicht.

Die aktuelle Entwicklung sei jedenfalls besorgniserregend, so Faßmann, der nicht ausschließen wollte, dass bereits am Freitag die Schließung weiterer Schulen beschlossen werden könnte: „Ende der Woche muss man wissen, wie es weitergeht – auch um entsprechende Planungsschritte setzen zu können.“

„Teil eines Diskussionsprozesses“

Sollte es zu weiteren Schulschließungen kommen, müssten diese laut Faßmann in weitere Maßnahmen eingebettet sein. Es ergebe keinen Sinn, nur die Schulen zu schließen, denn „dann haben wir das Treffen irgendwann, irgendwo, ohne weitere Kontrolle“.

Geklärt werden müsse auch der Umfang etwaiger neuer Schulschließungen. „Teil des derzeitigen Diskussionsprozesses“ sei, ob man die Schulen etwa nur für die Zehn- bis 14-Jährigen schließe und die Volksschulen offen lasse – oder gelindere Mittel wie ein Ausdünnen der Klassen, gestaffelter Schulbeginn und verstärkter Mund-Nasen-Schutz als Maßnahme ausreichen könnten.

Ob eine mögliche Schließung dann eher zwei Wochen oder zwei Monate dauern würde, könne man im Voraus schwer beantworten, da die Wirksamkeit nur anhand von Indikatoren wie den Infektionszahlen beobachtet werden könne. Auch ob die Oberstufenschüler vor Weihnachten noch einmal in ihre Klassen zurückkehren, ist deshalb für Faßmann nur schwer abzuschätzen.

Neue Teststrategie für Schulen

Die Frage, ob Schulen auch für Sieben- bis 14-Jährige offen bleiben sollen, ist derzeit heftig umkämpft. Am Mittwoch wurde eine neue Teststrategie für Schulen präsentiert, um noch rascher auf Verdachtsfälle zu reagieren.

„Virusrobuste Schule“ als erklärtes Ziel

Distance-Learning stelle aber keinen Ersatz für Präsenzunterricht dar, sondern sei lediglich ein „Hilfsmittel“, wie Faßmann am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Niederösterreichs ÖVP-Bildungslandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister sagte. Erklärtes Ziel sei eine „virusrobuste Schule“, in der „Covid-Verdachtsfälle den Schulalltag so wenig wie möglich stören“.

Voraussetzung dafür sei, Verdachtsfälle möglichst schnell abzuklären. Faßmann verwies auf ein seit Ende der Herbstferien in Niederösterreich, Tirol und Kärnten laufendes Pilotprojekt mit Antigen-Tests. „Nach Testung der Logistik soll das Projekt nun mit Anfang Dezember bundesweit ausgerollt werden.“

Lob und Kritik der Opposition

„Wir begrüßen die Pläne des Ministeriums, Tests im Bildungsbereich auszuweiten“, hieß es dazu in einer Aussendung von NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre. NEOS poche aber auch „darauf, dass alternative Maßnahmen umgesetzt werden“. Laut Künsberg Sarre sind etwa eine erweiterte Maskenpflicht und hybrider Unterricht denkbar.

Künsberg Sarre zufolge müsse „alles getan werden, damit Bildungseinrichtungen offen bleiben“. Was den digitalen Unterricht betrifft, ortete die NEOS-Politikerin schließlich schwere Regierungsversäumnisse: Nach wie vor würden die Voraussetzungen fehlen, dass dieser reibungslos und flächendeckend funktioniert.

SPÖ warnt vor „Kollateralschäden“

Auch laut SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid ist es weder gelungen, „einen sicheren Schulbetrieb im Herbst zu gewährleisten, noch ein funktionierendes Homeschooling für alle Schülerinnen und Schüler möglich zu machen“. Zudem habe sehr wohl „Minister Faßmann – und nicht Bundeskanzler Kurz“ – die Verantwortung, „wie es in den nächsten Wochen mit den Schulen weitergehen wird“.

Außer Frage stellte Hammerschmid, dass die Eindämmung des Virus und die Aufrechterhaltung der Kapazitäten in der Intensivmedizin höhere Ziele seien: „Aber besonders für Kinder und Frauen haben Schulschließungen langfristige und nachweisbare Kollateralschäden, die man unbedingt abwägen muss.“

Verweis auf Bildungsrückstände

Anhaltenden Widerstand gegen Schulschließungen und Distance-Learning gab es vonseiten der Kinder- und Jugendanwaltschaften (KJA), der Caritas, sowie der Wirtschaftskammer (WKÖ) und Industriellenvereinigung (IV). Stattdessen sollten gegebenenfalls flexiblere Lösungen wie Klassenteilungen, eine Mischform aus Präsenz- und Fernunterricht sowie zusätzliche Räume bzw. Lehrer angestrebt werden, so etwa die KJA in einer Aussendung.

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) verwies auf die Folgewirkungen für zahlreiche Betriebe: „Schließungen von elementaren Bildungseinrichtungen sind sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus gesellschaftspolitischer Sicht abzulehnen“, hieß es in einer Aussendung von Vizepräsidentin Martha Schultz. Wirtschaftsforschungsinstitute und Bildungsexperten hätten in den vergangenen Tagen „gewichtige Argumente auf den Tisch gelegt, warum eine neuerliche Schließung tunlichst vermieden werden sollte“, teilte IV-Präsident Georg Knill per Aussendung mit.

„Viele Kinder und Jugendliche haben während des ersten Lockdowns Bildungsrückstände aufgebaut, das haben wir auch in unseren Lerncafes in ganz Österreich beobachtet“, gab Caritas-Generalsekretärin Anna Parr per Aussendung zu bedenken. Der Präsident der Kinderfreunde, Christian Oxonitsch, bezeichnete es als „gute Nachricht", dass „die Allianz jener, die sich für offene und sichere Schulen aussprechen“, immer breiter werde.

Sonderbetreuungszeit fix

Der Rechtsanspruch auf bezahlte Sonderbetreuungszeit von bis zu vier Wochen bis Ende des Schuljahrs ist ein wichtiger Baustein im Fall einer Schließung der Primärschulen. Dieser wurde am Mittwoch im Sozialausschuss des Parlaments beschlossen und muss nun noch durchs Plenum.

Masken, Mindestabstände und flexible Start- und Schlusszeiten

Geht es nach der Österreichischen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (ÖGKiM) und dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) der Universität Wien, brauche es auch während der Pandemie keine Schulschließungen, wenn die Schutzmaßnahmen streng eingehalten werden. Konkret betreffe das etwa „ein durchgehendes Tragen von MNS-Masken, auch in der Klasse“.

Auch die Ärztekammer plädierte am Mittwoch in einer Aussendung für ein Offenhalten der Schulen. Kinder würden sich seltener infizieren, weniger häufig symptomatisch erkranken und das Virus seltener weitergeben als Erwachsene, verwies man auf eine Stellungnahme der Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Statt weitere Schulen zu schließen, solle daher auf weitere Präventionsmaßnahmen gesetzt werden, etwa eine Maskenpflicht der Lehrer außerhalb der Klassen, höhere Mindestabstände, flexible Schulstart- und -schlusszeiten und das Anbringen von Plexiglasscheiben.