Schulschließung für Forscher „allerletztes“ Mittel

Keine unmittelbare Veranlassung für Schulschließungen sieht Gerald Gartlehner, Experte für Evidenzbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems. Zahlreiche internationale Studien zeigten, dass sich Kinder teils erheblich seltener mit dem Virus infizieren als Erwachsene.

In Schweden und Belgien wurden bei Kindern weniger als halb so oft Antikörper gefunden. In regionalen Untersuchungen in Deutschland liegen die Werte im Vergleich teils noch niedriger.

„Das würde natürlich schon gegen derzeit diskutierte Schulschließungen sprechen, weil Kinder am Infektionsgeschehen in der Population offensichtlich weniger beteiligt sind“, so der Epidemiologe, der auch Teil der heute tagenden Kommission zur CoV-Ampelschaltung ist.

Er werde daher in dem Gremium dafür plädieren, breitere Schulschließungen nicht zu empfehlen: „Ich finde, die Schulen zu schließen ist das Allerletzte, was wir tun sollten.“

Warten auf Wirkung der Maßnahmen

Was die ersten Wirkungen des zweiten Lockdowns betrifft, hieße es aktuell noch abwarten: „Wenn die Maßnahmen wirken, dann müsste man gegen Ende der Woche eine Stabilisierung der Zahlen, im Idealfall vielleicht einen Rückgang sehen.“ Sei dem nicht so, müsse über weitere Maßnahmen nachgedacht werden.

Dass sich Tausende Menschen bei einer Geschäftseröffnung oder in Einkaufszentren zusammenrotten, „ohne dass das gegen irgendwelche Regeln verstößt“, sollte es jedenfalls nicht mehr geben. Er plädierte auch für mehr Homeoffice.

Dass sich zuletzt die epidemiologische Situation derart aufgeschaukelt hat, sei jedenfalls keineswegs in erster Linie ein Versäumnis der Bevölkerung, sondern zumindest auch dem „Nichtfunktionieren des ganzen Systems“ geschuldet. Die Verzögerungen bei Tests und Absonderungsbescheiden seien ja auch bei deutlich niedrigeren Verdachts- und Fallzahlen da gewesen.

Fehlende Evaluation

Die Politik habe sich in eigentlich allen Ländern leider kaum damit beschäftigt, Möglichkeiten zur Evaluation zu schaffen, welche Maßnahmen in welcher Kombination tatsächlich wirksam sind, so der Forscher weiter. Ob und wie Schulschließungen wirken, lasse sich erst dann sagen, wenn das bei sonst gleichen Maßnahmen zufällig ausgewählt in manchen Region gemacht wird und in anderen nicht.

Würde Derartiges einmal durchgespielt, entstünde nicht immer die gleiche Grundsatzdiskussion. Weiters brauche es hierzulande auch eine gesellschaftspolitisch-ethische Diskussion darüber, wie sehr man die Chancen junger Menschen insgesamt im Verlauf der Krise schmälern darf.

„Sinnlose Tests im Tourismus“

Kaum Sinn ergibt laut diversen Studien jedenfalls Fiebermessen an den Grenzen und beim Betreten von Krankenanstalten sowie Tests an Bevölkerungsgruppen, bei denen nicht mit einer Infektion zu rechnen ist, in Österreich etwa die Programme in der Hotellerie und Gastronomie. Nicht zuletzt koste das Testressourcen und trage zu längeren Wartezeiten auf Ergebnisse dort bei, wo es echte Verdachtsfälle gibt, so der Experte.

Er verstehe nicht, warum Millionen „in sinnlose Tests im Tourismus“ gesteckt werden und es gleichzeitig für wissenschaftliche Forschung kaum Mittel gibt. „Wir fischen immer im Trüben, solange wir nicht die Zahlen haben, die uns belegen, ob eine Maßnahme wirkt oder nicht wirkt.“ Das zu ändern sei auch eine Bringschuld der Entscheidungsträger gegenüber der Bevölkerung.

Nachdenken, „wie man Schulen schützen kann“

Michael Wagner, der Leiter des österreichischen Schulmonitorings, hält Schließungen nur für die letzte Option: „Es wäre viel wichtiger, darüber nachzudenken, wie man Schulen schützen kann.“

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