Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Helmut Fohringer
Schulschließungen

Anschober legt sich noch nicht fest

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich am Donnerstag noch nicht festgelegt, ob die Regierung wegen der anhaltend hohen CoV-Neuinfektionszahlen weitere Schulschließungen verfügen könnte. Er verwies auf die nun geplante Prüfung der Auswirkungen der aktuellen Maßnahmen.

„Ich habe immer gesagt, wir werden nach zehn Tagen beginnen zu evaluieren. Wir haben heute Tag zehn“, sagte Anschober bei einer Pressekonferenz. Berücksichtigt wird laut dem Gesundheitsminister aber nicht nur das Infektionsgeschehen in den Schulen, sondern auch, welche Auswirkungen weitere Maßnahmen auf das „Gesamtsystem“ hätten. Der „große Erfolg im Frühling mit dem damaligen Lockdown“ wurde aus Sicht des Gesundheitsministers nämlich deshalb erzielt, weil damit ein „drastisches Verringern der Kontakte und Begegnungssituationen“ erreicht worden sei.

Im Frühjahr sei eine Verringerung der „Bewegungsintensität“ auf die Hälfte bis ein Viertel erreicht worden, sagte Anschober. Nun werde man sich quer durch alle Bereiche ansehen, wie viele Infektionsfälle in einem bestimmten Bereich auftreten und wie diese Bereiche auf die Bewegungsintensität wirken – von der Gastronomie über den Handel bis zur Schule, so Anschober über die Beurteilungskriterien für weitere Maßnahmen. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann hatte am Mittwoch betont, die Frage der Schulschließungen liege in der Hand Anschobers und der Regierungsspitze.

Kein Kommentar zu möglichen Verschärfungen

Die Regierung wollte sich bisher nicht zu möglichen weiteren Verschärfungen äußern. Erst Ende dieser Woche, wenn die jüngsten Maßnahmen 14 Tage in Kraft seien, werde man diese evaluieren und dann weitere Vorhaben kommunizieren, hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch nach dem Ministerrat gesagt.

Es gehe um die richtige Krisenkommunikation angesichts der Pandemie, so der Kanzler. Er werde sich nicht dazu verleiten lassen, sich an Spekulationen, Andeutungen oder Mutmaßungen zu beteiligen. Konkret gefragt wurde er zu möglichen Schließungen im Handel. Eine konkrete Antwort darauf gab es von ihm also nicht.

Wann über weitere Maßnahmen entschieden werden könnte, ließ auch Anschober am Donnerstag offen. In die Entscheidung einbezogen werden sollen jedenfalls auch die Prognoserechnungen für die Krankenhauskapazitäten. Hier geht es vor allem um die Frage der verfügbaren Intensivbetten. Diese Zahlen werden jeden Vormittag gemeldet, wobei nicht nur die Zahl der verfügbaren Betten bewertet wird (bzw. die Frage, wie viele Betten für Covid-19-Patientinnen und -Patienten umgeschichtet werden können), sondern auch, wie viele Erkrankungen es im medizinischen Personal gibt.

Breiter Widerstand gegen Schulschließungen

Gegen mögliche Schulschließungen wird der Widerstand immer breiter. Neben der Opposition sehen auch Experten Schulschließungen mehr als skeptisch.

Rendi-Wagner strikt gegen Schulschließungen

Die SPÖ bekräftigte indes ihre Ablehnung von möglichen Schulschließungen. Das wäre „eine Maßnahme von geringem Nutzen und großem Schaden“, sagte Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Sowohl die AGES als auch internationale Studien und Erfahrungen würden zeigen, dass Schulkinder bis 14 Jahre keine wichtige Rolle in der Verbreitung des Virus spielen.

Die SPÖ-Chefin verwies auch darauf, dass zusätzlich zu den Oberstufenschülern rund 700.000 Kinder und deren Eltern mit der Betreuung betroffen wären. Rendi-Wagner forderte daher die Bundesregierung auf, dem Virus durch wirksame Maßnahmen die Tür zu versperren, den Kindern aber die Tür zu den Schulen offen zu halten.

An Sicherheitsmaßnahmen für ein Offenhalten der Schulen plädierte SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid für regelmäßig Tests und Screenings der Lehrer sowie für eine Maskenpflicht für die Pädagogen. Weiters sollten die Gurgeltests ausgeweitet werden, zusätzliche Räume angemietet und die Räume alle 20 Minuten kurz gelüftet werden. „Fassungslos“ zeigte sich Hammerschmid über die Aussage von Bildungsminister Faßmann, wonach Schulschließungen nicht seine alleinige Entscheidung seien.

FPÖ: Auch Oberstufe muss zurück ins Klassenzimmer

Die FPÖ sprach sich erneut vehement gegen Schulschließungen aus. „Für uns ist das keine Option, die Schulen müssen offen bleiben“, so FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Auch die Oberstufen, deren Unterricht seit knapp zwei Wochen auf Distance-Learning umgestellt ist, müssten in die Klassenzimmer zurückgeholt werden.

Die FPÖ habe sich als einzige Parlamentspartei von Anfang an gegen Schulschließungen gestellt. Diese seien eine große Belastung für die Familien und würden für die Schüler soziale Isolation, den Verlust von Motivation und Tagesstruktur bedeuten, schon jetzt würden immer mehr Schüler unter Beschwerden wie Schlaflosigkeit und Zukunftsängsten leiden. Noch dazu seien die Schulen keine Treiber der Pandemie. „Wir sind dabei, eine Lost Generation zu schaffen“, warnte er. Und: „Die Eltern haben mittlerweile mehr Angst vor Homeschooling als vor Corona.“ Sollte Kurz die Schulen schließen, sei jedenfalls auch Faßmann, der sich stets für offene Schulen starkgemacht hatte, rücktrittsreif.

NEOS: Entscheidung über Verschärfungen verschieben

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger forderte, eine Entscheidung über Verschärfungen der Maßnahmen und mögliche weitere Schulschließungen erst nach dem Wochenende zu treffen. Der Peak der Infektionen aus der Zeit vor dem Lockdown sei erst dieser Tage zu erwarten, und es gebe ausgerechnet jetzt ein „Zahlenchaos“ bei den Daten der Neuinfektionen. Damit fehle die Grundlage für eine evidenzbasierte Entscheidung.

Eine Schließung der Schulen müsse „der aller-allerletzte Weg“ sein, wenn das Gesundheitssystem wegen der Zahl der Infektionen zu kippen drohe. „Das Ende des Unterrichts in der Schule für Pflichtschulkinder ist nicht der Beginn des Unterrichts zu Hause, es ist das Ende des Unterrichts und das Ende von Bildung und sozialen Kontakten, die so wichtig sind“, so Meinl-Reisinger, die auch auf die negativen Auswirkungen der Schulschließungen auf Schüler aus sozial benachteiligten Familien, auf die Psyche der Kinder, auf Arbeitnehmer und Arbeitsplätze verwies.

Dabei drohe das Ausbrennen der Eltern, vor allem der Mütter, und die noch geöffneten Betriebe könnten durch die Betreuungspflichten der Beschäftigten in Bedrängnis kommen. Eltern müssten außerdem für die Betreuung möglicherweise auf Großeltern zurückgreifen und könnten damit potenziell deren Gesundheit gefährden.

Experte: Kein unmittelbarer Anlass für Schulschließungen

Keine unmittelbare Veranlassung für Schulschließungen sieht Gerald Gartlehner, Experte für Evidenzbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems. Zahlreiche internationale Studien zeigten, dass sich Kinder teils erheblich seltener mit dem Virus infizieren als Erwachsene. In Schweden und Belgien wurden bei Kindern weniger als halb so oft Antikörper gefunden. In regionalen Untersuchungen in Deutschland liegen die Werte im Vergleich teils noch niedriger.

Schüler und Schülerinnen am ersten Schultag des Schuljahres 2020/21
ORF
Schulschließungen sollten das „allerletzte Mittel“ sein, sagt Experte Gartlehner

„Das würde natürlich schon gegen derzeit diskutierte Schulschließungen sprechen, weil Kinder am Infektionsgeschehen in der Population offensichtlich weniger beteiligt sind“, so der Epidemiologe, der auch Teil der am Donnerstag tagenden Kommission zur CoV-Ampelschaltung ist. Er werde daher in dem Gremium dafür plädieren, breitere Schulschließungen nicht zu empfehlen: „Ich finde, die Schulen zu schließen ist das Allerletzte, was wir tun sollten.“

Warten auf Wirkung der Maßnahmen

Was die ersten Wirkungen des zweiten Lockdowns betrifft, heiße es aktuell noch abwarten: „Wenn die Maßnahmen wirken, dann müsste man gegen Ende der Woche eine Stabilisierung der Zahlen, im Idealfall vielleicht einen Rückgang sehen.“ Sei dem nicht so, müsse über weitere Maßnahmen nachgedacht werden.

Dass sich Tausende Menschen bei einer Geschäftseröffnung oder in Einkaufszentren zusammenrotten, „ohne dass das gegen irgendwelche Regeln verstößt“, sollte es jedenfalls nicht mehr geben. Er plädierte auch für mehr Homeoffice.

Günther Mayr (ORF) über CoV und Schule

Günther Mayr aus der ZIB-Wissenschaftsredaktion spricht über wissenschaftliche Daten in Bezug auf die Verbreitung von CoV an Schulen und über das Hin und Her bei einer Entscheidung über Schulschließungen.

Dass sich zuletzt die epidemiologische Situation derart aufgeschaukelt hat, sei jedenfalls keineswegs in erster Linie ein Versäumnis der Bevölkerung, sondern zumindest auch dem „Nichtfunktionieren des ganzen Systems“ geschuldet. Die Verzögerungen bei Tests und Absonderungsbescheiden seien ja auch bei deutlich niedrigeren Verdachts- und Fallzahlen da gewesen.

Fehlende Evaluation

Die Politik habe sich in eigentlich allen Ländern leider kaum damit beschäftigt, Möglichkeiten zur Evaluation zu schaffen, welche Maßnahmen in welcher Kombination tatsächlich wirksam sind, so der Forscher weiter. Ob und wie Schulschließungen wirken, lasse sich erst dann sagen, wenn das bei sonst gleichen Maßnahmen zufällig ausgewählt in manchen Region gemacht wird und in anderen nicht.

Würde Derartiges einmal durchgespielt, entstünde nicht immer die gleiche Grundsatzdiskussion. Weiters brauche es hierzulande auch eine gesellschaftspolitisch-ethische Diskussion darüber, wie sehr man die Chancen junger Menschen insgesamt im Verlauf der Krise schmälern darf.

Michael Wagner, der Leiter des österreichischen Schulmonitorings, hält Schließungen nur für die letzte Option: „Es wäre viel wichtiger, darüber nachzudenken, wie man Schulen schützen kann“ – mehrdazu in science.ORF.at .