Justizanstalt Stein
APA/Hans Klaus Techt
Anti-Terror-Paket

Fachleute sparen nicht mit Kritik

Strafrechts-, Opferschutz- und Resozialisierungsfachleute warnen im Bereich der Terrorismusbekämpfung vor „emotionalen Schnellschüssen“. Die Politik laufe Gefahr, „auf der Suche nach Schuldigen Gesetze zu rasch und überschießend zu verschärfen und Grundrechte auszuhöhlen“, so das Netzwerk Kriminalpolitik am Donnerstag. Die „Lebenslang“-Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stieß auf Widerstand.

Dem Netzwerk Kriminalpolitik gehören die Richtervereinigung, die Vereinigung der Staatsanwälte, der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, die Opferschutzvereinigung Weißer Ring, der Verein Neustart und mehrere Strafrechtsfachleute an. Es gelte auch in Zeiten wie diesen, „angemessen und mit Bedacht zu reagieren“, hieß es in einer Stellungnahme mit Blick auf das von der Regierung präsentierte Anti-Terror-Paket. Laut der im Ministerrat beschlossenen Punktation sind etwa die vorbeugende elektronische Überwachung entlassener Gefährder und die Unterbringung terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug vorgesehen.

Das von der Regierung präsentierte Paket bedürfe einer „eingehenden Diskussion“, eine Forderung, der sich auch Richtervereinigung-Präsidentin Sabine Matejka anschloss. Die Unterbringung von potenziell terroristischen Rückfalltätern bzw. Rückfalltäterinnen im Maßnahmenvollzug sei verfassungskonform sehr schwierig umzusetzen, sagte sie. „Als psychisch krank kann man diese Täter in der Regel nicht bezeichnen.“

Richterpräsidentin skeptisch

Zur bereits jetzt bestehenden Möglichkeit, wonach vorverurteilte Täter und Täterinnen in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden können, sagte Matejka, dazu brauche es zwei einschlägige Vorverurteilungen, was bei einem Terrortäter wohl zu spät sei. „Wenn ich die Frau Minister (Justizministerin Alma Zadic, Grüne, Anm.) verstanden habe, möchte man hier etwas ändern. Da ist der verfassungsrechtliche Rahmen sehr eng. Die Gefährdungseinschätzung wird der wesentliche Punkt sein – und wie stelle ich fest, ob das verhältnismäßig ist?“

Zur Aussage von Kurz, derartige potenzielle Rückfalltäter sollten „lebenslang weggesperrt werden“, sagte die Präsidentin: „Alle Terrortäter lebenslang in Haft zu nehmen wird nicht gehen.“ Es werde Personen geben, „die tatsächlich von der Einschätzung so sind, dass man Lösungen finden muss, wie man sie von der Gesellschaft fernhält“.

Für alle andere müsse es andere Möglichkeiten geben – „das schließt verstärkte Resozialisierungsmaßnahmen und Deradikalisierungsmaßnahmen mit ein“. Auch Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff sieht diesen Punkt besonders kritisch: „Das geht in einem Rechtsstaat nicht.“ Lebenslange Haft sei nur bei jenen möglich, die zu lebenslanger Haft verurteilt sind, sagte er im Ö1-Mittagsjournal.

„Verfassungsrechtlich sehr problematisch“

Skeptisch äußerte sich auch der Strafrechtsexperte Alois Birklbauer von der Universität Linz, der ebenfalls dem Netzwerk angehört. „Es stimmt mich sehr bedenklich, auf diese Schiene des Maßnahmenvollzugs auszuweichen“, sagte er im Ö1-Morgenjournal. Denn man sperre damit Leute weg, „unabhängig von einer Schuld“, wobei das immer mit einer Therapie verknüpft sei. „Ein therapeutisches Konzept kann ich bei der Forderung der Regierung nicht erkennen, insofern halte ich das auch verfassungsrechtlich für sehr, sehr problematisch.“

Zum Vorschlag einer vorbeugenden elektronischen Überwachung von entlassenen Gefährdern, etwa durch eine Fußfessel oder ein Armband, sagte Birklbauer, der elektronisch überwachte Hausarrest gelte immer für Personen, „die die Strafe noch nicht vollständig abgesessen haben“. Dass man diese Überwachung auch für verurteilte Straftäter, die die ganze Strafe abgesessen haben, vorsehe, sei ebenfalls „verfassungsrechtlich bedenklich“.

Das Netzwerk Kriminalpolitik betonte, vor neuen Maßnahmen sollten jedenfalls die Ergebnisse der geplanten Untersuchungskommission in Zusammenhang mit dem Terroranschlag abgewartet werden. Auch bedürfe es vor der Schaffung neuer Straftatbestände für terroristische Straftaten einer „genauen wissenschaftlichen Evaluierung der vorhandenen Tatbestände“.

Maßnahmenvollzug „notleidender Bereich“

Dringend umgesetzt werden müsse auch die „seit Jahren versprochene Reform des Maßnahmenvollzugs in Österreich“ – und zwar durch legistische und auch bauliche Maßnahmen. Matejka sagte dazu, der Maßnahmenvollzug sei ein „notleidender Bereich in der Justiz, wo es schon lange Reformbestrebungen gibt. Da noch zusätzlich Leute zuführen in dieses System ist sehr schwierig. Man müsste Voraussetzungen schaffen, bevor man noch zusätzliche Tätergruppen in den Vollzug bringt.“ Auch brauche ein Terrortäter andere Betreuung als ein psychisch kranker Täter, betonte sie.

Kritisch gesehen wird vom Netzwerk auch der von der Regierung vorgeschlagene Entzug der finanziellen Ressourcen für verurteilte Straftäter. Das sei ein „Nährboden für deren weitere Radikalisierung und trägt nicht zur Sicherheit der Gesellschaft bei“. „Das wäre kontraproduktiv“, so Matejka.

Die Präsidentin der Richtervereinigung betonte, dass der Regierungsvorschlag auch Positives enthalte, etwa Vorschläge zur besseren Zusammenarbeit zwischen den involvierten Behörden und zur Prävention und den Plan, bei der Risikoeinschätzung effizientere Methoden zu entwickeln.

Einheitliche EU-Definition geplant

Auf EU-Ebene dürften Anfang Dezember Maßnahmen, um gewaltbereite Islamisten und andere Extremisten besser im Blick zu behalten, debattiert werden. Das geht aus einem Entwurf für die Beratungen der EU-Innenminister und -Innenministerinnen hervor. Bereits am Freitag wollen sie in einer Videokonferenz eine gemeinsame Erklärung zum Kampf gegen Terror verabschieden, die einige im Entwurf genannte Aspekte aufgreift.

In dem Entwurf heißt es, bisher existiere neben der Kategorie des „Ausländischen Terrorkämpfers“ („Foreign Terrorist Fighter“) keine spezielle gemeinsame Kategorie, um Informationen zu Menschen, von denen eine Terrorgefahr ausgehen könnte, entsprechend in europäischen Datenbanken zu speichern und anderen Staaten zugänglich zu machen.

Darüber hinaus sollten aber auch Informationen zu Menschen, von denen nach Einschätzung der nationalen Behörden eine ernsthafte Bedrohung von Terror oder gewaltbereitem Extremismus ausgehe, in die gemeinsamen europäischen Datenbanken eingepflegt werden. Es sei sehr wichtig, dass das geschehe, falls keine rechtlichen oder operativen Erwägungen dagegen sprächen.